Dienstag, 26. Juli 2011

Wie kommt die A-U-T-O-B-A-H-N in den Spiegelsaal? (Ein Lichtstadt-Interview mit einem elektronischen Geschichtenerzähler / Teil 1)

(lsn) - Es berührt einen schon, wenn man heute Klängen lauschen kann, die vor mehr als dreieinhalb Jahrzehnten entsanden sind, aber erst heute aus einem Lautsprecher den Weg ins menschlische Ohr finden. Sich wiederholende, leicht modifizierte Sequenzmuster, kombiniert mit ausgefallenen Improvisationen ergeben jenen Sound, der in der Siebziger Jahren von einigen Plattenfirmen mit der Genrebezeichnung "Kosmische Musik" versehen wurde und der für die internationale Musikszene eine außerordentliche Bereicherung war.

Ohne die heute als "Elektronikmusik" bezeichnete Musikbewegung, die damals abseits von gängigen, deutschen Krautrock-Bands agierte, wäre die heutige, Popmusik einer Lady Gaga oder von Ich + Ich kaum denkbar. Daher ist es für die Lichtstadt eine große Freude, in ihrem Zentrum seit zwei Jahrzehnten einen Musiker zu beherbergen, der dieses Genre eine gewisse Zeit lang mitgestaltet hat.

Nachdem dieser Mann die ersten fünfzehn Jahre in Jena die Synthesizermusik eher nebenbei pflegte, hat er nun alle seine Instrumente und Klangerzeuger (und deren hat er viele) ausgepackt um mit einem neuen Projekt die alte Musik wieder in die Ohren begeisterter Synthesizermusik-Fans zu bringen. Sein Name: Rainer Sauer - sein Projekt: A-U-T-O-B-A-H-N Synthesizer Live. In einem zweiteiligen Interview gibt Rainer Sauer Auskunft zu seiner elektronischen Passion.

Frage: Wie geht es Ihnen zur Zeit? Wie verbringen Sie momentan Ihre Tage?

Rainer Sauer: Danke der Nachfrage. Mir geht's inzwischen gut, nachdem 1999 bei mir eine doch recht schwere Krankheit festgestellt wurde; oh mein Gott, ich war vielleicht abgemagert, war irgend wann einmal wieder so schlank und rank wie in den 70ern. Dank meinem Arzt, Dr. Hans-Martin Reuter aus Jena, geht es heute fast wieder wie zuvor. Naja, man wird eben nicht jünger. Aber um die zweite Frage zu beantworten. Ich arbeite weiterhin für die Stadt Jena, mache meine Hörfunksendungen bei Radio Jena, habe meine Familie, die mir sehr viel bedeutet und arbeite auch künstlerisch. Ich mache ja bekanntlich literarisches Kabarett, nehme weiterhin Synthesizermusik auf und ich denke nach... denn Musik und Texte schreiben ist ja nicht nur Spontaneität, sondern auch lange und harte Kopf- und Sitz-Arbeit.

Apropos 'Spontaneität': Was fällt Ihnen spontan zum Begriff 'Synthesizermusik' ein?


Das ist etwas, durch das Deutschland die Musikwelt verändern konnte.

Mitte der 70er Jahre, zu der Hoch-Zeit der Krautrock-Ära, haben sie angefangen Musik zu machen. Aber das war zu Anfang keine Synthesizermusik. Was hat den Ausschlag gegeben, dass sie sich der elektronischen Musik zugewandt haben?

Nun ja, das ist nicht so ganz richtig. Meine erste Band war eine Folkrockgruppe und die zweite eine Politrockband. Aber ursprünglich war bei mir doch die Elektromusik. Das war schon 1974, als ich mir, mangels finanzieller Möglichkeiten, meinen ersten Synthesizer selbst gebaut habe. Und den habe ich dann auch in der Folkrockband und der Politrockgruppe live eingesetzt. Das war viel Geknarze und Gepiepe und Soundgewusel, fast so als ob man einen EMS VCS 3 Synthi hört, aber es war live und war elektronisch.

Warum entschieden Sie sich kurze Zeit später, Ende der 1970er, nicht mehr Rockmusik zu spielen?

Ach mein Gott, das war das Übliche. Außerdem habe ich in der Politrockband auch gesungen und nicht nur gespielt. In Kürze: Ich war kein wirklich guter Sänger, hatte eigene Ideen, die man nicht endlos mit anderen diskutieren wollte. So kam ich darauf, es mit Synthesizermusik zu versuchen.

...und gründeten schon 1980 wieder eine Band: Velvet Universe, eine Elektronik-Rockband.


Das war 1979. Ich mochte damals den Sound von Ash Ra mit Manuel Göttsching und den von Klaus Schulze, der Sequenzer und menschlisches Schlagzeug kombinierte. Manchmal spielten beide auch zusammen. Also entschloss ich mich, nachdem ich Velvet Universe zusammen mit Axel "Pino" Grzybowsky, der heute als Elektro-DJ zwischen Moskau und Johannisburg aktiv ist, schnell, eine Rockformation zu finden mit meinem alten Freund Thomas Kapke an der Gitarre und Seppl Niemeyer von Octopus an den Drums. So war das.

Was faszinierte sie so an Manuel Göttsching und Klaus Schulze?

Ich mag sie eben, den Manuel und den Klaus. Ihre Musik, die Art wie beide - unabhängig voneinander - ihre Leben, auch in Extremen, führten und noch führen. Ich respektiere es, dass und wie Schulze "sein Ding" durchgesetzt hat. Und an seiner Musik faszinieren mich nach wie vor diese Klangflächen, diese unglaublichen Ideen für Sequenzen und Rhythmen.

Und die ersten Alben von Velvet Universe nahmen Sie in Klaus Schulzes Studio auf.

Das war das Tonstudio Panne in Frankfurt mit dem begnadeten Elektromusik-Tonmeister Eberhard Panne. Dort nicht aufzunehmen wäre ein Frevel gewesen, denn ich wohnte ja damals in Frankfurt am Main. Auch die Auswahl der Plattenfirma war so eine lokal-globale Sache. Rockport Records hieß der Laden und wurde von dem ehemaligen Schallplattenverkäufer Mr. Bernd Gruber geschmissen. Und der suchte sich aus dem Rhein-Main-Gebiet die erfolgversprechendes Acts für sein Label zusammen: die Rodgau Monotones und Flatsch! - aus beiden ging später das Comic-Duo Badesalz hervor - und Bernd Scholl und wir als Elektromusik-Vertreter für das Unterlabel Blubber Lips. Später haben dann sogar Leute wie Kevin Coyne, Peter Hammil von Van Der Graaf Generator oder Heinz Rudolf Kunze für Rockport Records gearbeitet.

Wollten Sie damals sofort zu Rockport?

Nicht die Bohne. Es war fast wie im Pop&Rock-Lehrbuch: Die im Frühjahr 1981 fertige Produktion "Voyager" haben wir allen deutschen großen Labels angeboten und es kamen nur Absagen. Von der WEA, von CBS, Ariola, Polygram, wie sie alle hießen. Bernd Gruber kam dann auf uns zu und sagte, und das mit ein wenig Trotz in der Stimme: Warum kommt Ihr nicht zu mir? Und der Rest ist deutsche Musikgeschichte.

Sie haben Heinz Rudolf Kunze erwähnt, mit dem haben Sie ja auch zusammengearbeitet, sogar in Jena. Kam das auch durch Rockport Records?

Nein. Als unsere erste Platte vor der Erstveröffentlichung stand, war Kunze noch gar nicht auf dem deutschen Musikmarkt präsent, das kam erst später. Wir lernten uns 2001 richtig kennen und ich machte damals Hörfunkdokus über Kunze bei Radio Jena. So lernte er übrigens auch seine jetzige Frau Gabi kennen, die damals mit mir bei "Planet Jena" zusammenarbeitete und z. B. für die Langzeit-Doku "Es war einmal und war doch nicht - 13 Monate im Leben von Heinz Rudolf Kunze" die Zwischentexte sprach. Nun sind beide von ihren Ex-Partnern gescheiden und miteinander verheiratet - so kann es kommen. Nein, die Zusammenarbeit mit Kunze hatte andere Gründe. Ich hatte ja damals schon meine literarischen Kabarett-Programme und hätte gerne etwas mit Hanns Dieter Hüsch, dessen Webseite ich ja heute betreibe, gemacht, aber der war da schon sehr krank und bekam auch noch einen Schlaganfall. Da hatte ich die Idee einer Zusammenarbeit mit Max Goldt, aber das klappte nicht und Kunze war dann meine nächste Wahl. 2005 und 2006 machten wir große Galas in der Aula der FSU in Jena mit Gastmusikern und das war dann schon großartig. Vor allem die 2005er Veranstaltung zu Tucholsky hat Kunze damals sehr beeindruckt.

Galas, literarisches Kabarett, Konzerte: organisieren Sie das alles selbst?

Ja, leider. Ich muss zugeben, dass ich in dieser Hinsicht immer noch, auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert, blutiger Laie und Anfänger bin, nicht wirklich "independent", unabhängig. Ich kann zwar die verrücktesten Sachen machen, ohne jemanden fragen zu müssen. Aber die Erlöse sind in der Regel nie so "dolle", wie man in Berlin sagt.

Sie werden heute als ein kreativer "Impulsgeber" der elektronischen Musik in Deutschland gesehen. Woran lag das? War es Ihre Arbeit mit Velvet Universe oder eher die Radioarbeit beim hr?

Mit Betonung auf der Vergangenheitsform. Das war sicher nur eine kurze Zeit lang so gewesen. Und es lag fast ausschließlich an der Möglichkeit, die sich mir im Rahmen meiner Radiosendung beim hr bot und die ich genutzt habe. Es war mal was anderes. Eine für mich ganz andere Welt. Sowas reizte mich. Der hr kam auf mich zu und bot mir die Sendung an, das war 1984. und ich habe zugegriffen, habe dann gleich, in ahnungslosem Leichtsinn auf dünnem Eis, denn man hätte mich als freier-freier Mitarbeiter ja jederzeit rausschmeißen können, vieles eingeführt, was im eher verstaubten hr damals innovativ war. Als erster hr-Moderator habe ich Jingles eingespielt, die auf spätere Sendungen oder auf Serien in der Sendung aufmerksam machten. Ich habe beim hr natürlich auch viel Musikalisch-Technisches gelernt. Tontechnik war vor der hr-Zeit für mich eher etwas Nebensächliches, das ich intuitiv gemacht habe. Seither mache ich das leidenschaftlich engagiert. Und ich schneide heute noch meine 38cm-Masterbänder selbst. Auch das habe ich beim hr gelernt. Und keine Angst vor Liveshows zu haben...

Was war der genaue Impuls den Sie damals geben konnten?

Die Sendung "Sounds vom Synthesizer" an sich. Das war bei uns, ich meine damit meinen damaligen, inzwischen leider schon verstorbenen, Redakteur Jörg Eckrich und mich, keine elitär verstaubte Sache im Kulturprogram von hr2, wo man damals hören konnte "...und jetzt kommt der Titel 'Segment 4' von Karl Heinz Stockhausen, interpretiert von Rupert Erdmann auf einem Trautonium. Sie hören Satz 1: Gewitter", sondern ich war auf der Synthipop-Höhe der Zeit, spielte Depeche Mode oder interviewte Howard Jones, Spliff und Propaganda, mischte das Ganze aber gut durch, indem ich mir auch die traditionellen Elektroniker wie Schulze, Jarre, Michael Rother oder TD ins Studio einlud, interviewte und ihrer Musik in der Sendung Raum gab. Ich weiß noch wie heute, als Jörg Eckrich von der Flut an Einsendungen zu "Neue Leute braucht das Land", einer Nachwuchsförderung für Synthimusikbands, die meine eigene Idee war, überwältigt sagte, so viel Post hätte die hr3-Toptime Redaktion in so kurzer Zeit noch nie bekommen.

Sind Sie damals mit der späteren Techno- und Industrial-Szene in Berührung gekommen?

Man sagt, ich hätte die Rhein-Main-Technoszene aus der Wiege gehoben - "aus der Wiege gehoben" finde sich sogar ganz gut umschrieben, weil es ja nicht mein "Kind" war. Fakt ist, dass die Sendung von Leuten wie Sven Väth, Talla 2XL oder Michael Münzing von Snap! regelmäßig gehört wurde. Ich habe heute noch deren Briefe an mich aufgehoben. Und bei der Nachwuchsförderung, aus der dann letztendlich Camouflage (Anm.: bekannt u. a. durch Hits wie "Love Is A Shield" oder "The Great Commandment") als größter Star hervorging, haben mir einige von denen Demobänder zugeschickt. Das war fünf Jahre bevor die Rhein-Main Technoszene losging. Da waren die "Sounds vom Synthesizer" sicher einer der Impulse, denn ich war jemand der gesagt hat: Leute macht euer eigenes Ding, nutzt Synthesizer um populäre Musik zu machen. Eine meiner Serien hieß ja "We Are Producers" und dort gab es Tips für eine eigene Musikproduktion im stillen Kämmerchen zuhause.

Stimmt es, dass Sie einige Ihrer wichtigtsen Synthesizer der 70er und 80er Jahre verkauft oder bei ebay versteigert haben? Brauchten Sie das Geld oder etwa den Platz und sind Sie heute traurig darüber?

Ich habe viele alte Instrumente weggegeben, das ist richtig. Das tat ich eigentlich schon immer. Instrumente waren und sind für mich Handwerkszeuge. Aber irgendwann gibt es neue und bessere Werkzeuge. Und ich benötige natürlich auch den Platz bei mir zuhause. "Wir sind ja kein Museum", sagt meine Frau immer. Aber einige der alten Monster habe ich auch heute noch. Die sind gut gewartet und funktionieren nach wie vor fast einwandfrei.

Hatten oder halten Sie Kontakt zu internationalen Musikern wie Brian Eno oder Robert Fripp, deren Musik ja durchaus mit Ihrer verwandt ist?

Nein. Nur mit Mike Oldfield verband mich eine kurze Zeit lang eine recht intensive Verbindung, aber das ist inzwischen auch schon wieder fast drei Jahrzehnte her...wie die Zeit vergeht. Trotzdem verfolge ich seine Arbeit mit großem Interesse. Natürlich auch die von Tangerine Dream, Kraftwerk oder Klaus Schulze.

[...Fortsetzung folgt...] Infos erhält man im Internet unter www.a-u-t-o-b-a-h-n.de

Das Interview führte Tim Schwarz für das Lichtstadt.Netz © 2011

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