Donnerstag, 28. Juni 2012

DIE "V"-AFFÄRE (XIII): Neue Erkenntnisse über Behördentelefonate und die Vernichtung von Akten

(lsn) - Es klingt angesichts der immer noch kursierenden Verschwörungstheorien, der Verfassungsschutz könne aktiv in die Angelegenheit der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" / "NSU" verwickelt gewesen sein - dies wird von den Behörden nach wie vor vehement bestritten - unglaublich, was in den letzten Tagen in diesem Zusammenhang an das Licht der Öffentlichkeit gelangt ist.

Wie der BERLINER KURIER unter Berufung auf ihm vorliegende Informationen berichtete, sei Beate Zschäpe kurz nach der Explosion der "NSU"-Wohnung in Zwickau auf ihrem Handy angerufen worden und zwar von einer Telefonnummer, die beim sächsischen Innenministerium registriert sein soll. Allerdings wäre es auch möglich, dass der Anruf von Polizeikräften vor Ort angeordnet worden ist, die die Handynummer Zschäpes von Nachbarr erhalten hatten, um zu klären, ob sie evt. noch im Gebäude ist.

Unzweifelhaft fest steht inzwischen jedoch, dass beim neunten Mord der "NSU"-Terrorzelle im April 2006 in Kassel ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes zum Tatzeitpunkt am Tatort, einem Internetcafe, gewesen ist. Er sei "zufällig" dort gewesen und habe die Erschießung des Besitzres des Internetcafes "nicht mitbekommen", so die hessischen Behörden zur Erklärung.

Dieser Tage wies das sächsische Innenministerium Fehler in der eigenen Arbeit weit von sich. "Zu keinem Zeitpunkt lagen der sächsischen Polizei vollständige bzw. zusammenhängende Informationen vor, welche eine Festnahme der gesuchten Personen ermöglicht oder begünstigt hätten", heißt es in einem Bericht an das Parlamant, den Innenminister Ulbig (Foto rechts) vorstellte Schuld daran seien die Behörden in Thüringen gewesen. "Die sächsische Polizei war lediglich punktuell in die Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen des Freistaates Thüringen eingebunden", resümierte das Innenministerium in Dresden und sprach von einer "schlechten Informationspolitik" zwischen den Geheimdiensten.

Ein Untersuchungsausschuss im Parlament soll seit einiger Zeit Aufklärung bezüglich der Verwicklung der verschiedenen Behörden in die Geschehnisse rund um den "NSU" bringen. Vor ihm trat am heutigen Morgen der Chef des Bundeskriminalamts (BKA) und was Jörg Ziercke dort erzählte, verschlug den Parlamentariern den Atem.

"Wir haben versagt", sagte Deutschlands oberster Polizeiermittler für alle beteiligten Sicherheitsbehörden. Auch wenn er für das BKA keine konkreten Fehler sehe, so Zierke, habe es "Ungereimtheiten" gegeben. So seien kurz nach dem Auffliegen der Terrorzelle Anfang November 2011 im Bundesamt für Verfassungsschutz / BfV sieben Akten gelöscht worden, die möglicherweise für die weiteren Ermittlungen relevant gewesen seien, dies just an dem Tag, als die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen im Falle des "NSU" übernommen hatte.

"Solche Vorkommnisse machen es schwierig, Verschwörungstheorien überzeugend entgegenzutreten", sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy im Nachgang, denn es halten sich hartnäckig Gerüchte, der Inlandsgeheimdienst oder eines seiner Landesämter hätten Mitglieder des Trios möglicherweise als Quellen geführt. Die Aktenvernichtung sei ein "beispielloser Vorgang", der offensichtlich "durch die eklatante Instinktlosigkeit eines Einzelnen" erfolgt sei, jedoch nach bisherigen Erkenntnissen nicht aufgrund eines Löschbefehls von oben.

Ein Referatsleiter für Rechtsextremismus des BfV habe am 10. November 2011 den Auftrag bekommen, seine Akten auf die Namen "Uwe Böhnhardt", "Uwe Mundlos" und "Beate Zschäpe" sowie mögliche Querverbindungen in die rechte Szene hin durchzusehen. Fündig wurde der Referatsleiter in seinen Akten angeblich nicht, jedoch meldete er einen Tag später - dem "närrischen" 11.11.11 - er habe sieben sogenannte "Beschaffungsakten" entdeckt, die schon "zu lange beim Dienst archiviert" worden seien. In diesen Akten, so stellte sich später heraus, wurden alle Details der "Operation Rennsteig" von der Anwerbung einer Quelle bis hin zu Decknamen und Einschätzungen der Person vermerkt; bei der Operation "Rennsteig" hatten das BfV und der Militärische Abschirmdienst / MAD zwischen 1997 und 2003 mit V-Leuten aus der "NSU"-Vorgängerorganisation "Thüringer Heimatschutz" zusammengearbeitet. Der Verfassungsschutz muss Beschaffungsakten nach einer Frist von bis zu zehn Jahren löschen. 

Diese Frist sei überschritten gewesen, berichtete der Referatsleiter, weshalb er umgehend die Löschung angewiesen habe, die ein Mitarbeiter seines Referats auch "bereits auftragsgemäß durchgeführt hat". Die Aussage des BfV-Referatsleiters, in den Akten seien die Namen Böhnhardt und Mundlos nicht genannt gewesen, scheint aber eine dreiste Lüge zu sein, denn die Namen von Mundlos und Böhnhardt standen sehr wohl in den Akten, wie der MAD inzwischen mitgeteilt hat. Sie hätten mindestens auf einer Liste von 73 Männern im wehrpflichtrelevanten Alter gestanden, die Bestandteil der sieben Akten war. Es wird sogar davon ausgegangen, dass in den am 11. November 2011 vernichteten Akten sowohl über Böhnhardt als auch Mundlos jeweils ein Dossier enthalten war bzw. eine Kurzeinschätzung der Person.

Die "V."-Affäre hat damit das Bundesamt für Verfassungsschutz frontal erwischt und sein Präsident Heinz Fromm wurde von Innenminister Hans-Peter Friedrich aufgefordert, (Zitat) "diesen Vorfall lückenlos aufzuklären und mir so rasch wie möglich zu berichten". Dies muss der Präsident des Amtes auch tun, denn bereits in einer der nächsten Sitzungen des Untersuchungsausschusses wird Heinz Fromm als Zeuge aussagen.

Die früheren Artikel unserer Serie "Die Terrorzelle 'NSU' - Wer inszenierte hier was?" findet man hier: Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4 / Teil 5 / Teil 6 - Weitere Artikel unserer Serie "Die 'V' Affäre" findet man hier: DIE "V"-AFFÄRE (I) / Die "V"-Affäre (II) / DIE "V"-AFFÄRE (III) / DIE "V"-AFFÄRE (IV) / DIE "V"-AFFÄRE (V)

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