Sonntag, 3. Juni 2012

"Produkte, die im Unrecht entstanden sind, demütigen die Enteigneten und bringen den Erzeugern keinen Segen": Jenas Oberbürgermeister bezieht Position zu dem Vorwurf, ein "Antisemit" zu sein

(lsn) - Ein Artikel in Israels größter Tageszeitung "Jerusalem Post" vom 30. Mai 2012, in dem Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter als (Zitat) "Antisemit" verunglimpft worden ist, allein weil dieser zum Boykott gegen Waren aus Israel aufgerufen hatte, die in den sog. "besetzten Gebieten" erzeugt werden oder wurden, hat den Jenaer Oberbürgermeister veranlasst, in einem offenen Brief folgendes zu seiner Position zu erläutern:

"Anlass der Kritik ist meine Unterstützung der Aktion von pax christi 'Besatzung schmeckt bitter', deren Ziel es ist, eine Kennzeichnungspflicht von Waren aus völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen auf besetztem palästinensischen Gebiet einzufordern - so wie sie z.B. in Großbritannien schon seit längerem besteht. Der Verbraucher soll selbst entscheiden können, ob er Waren mit völkerrechtswidrigem Ursprung kaufen will oder nicht. Dort, wo die Herkunft unklar ist, wird ein Kaufverzicht empfohlen (!) - aber auch nur dort - und zwar solange, bis die Kennzeichnungspflicht auch in Deutschland gilt. Die Aktion wird übrigens von prominenten Juden in Deutschland unterstützt.

Aus diesem Ansatz den Schluss zu ziehen, pax christi rufe zu einem pauschalen Boykott aller israelischen Waren auf, ist falsch und irreführend. Insbesondere durch die unsachliche Verbindung mit der schlimmem Parole der Nazis 'Kauft nicht bei Juden', wird das Anliegen von pax christi bewusst entstellt. Dieser Vorwurf muss entschieden zurück gewiesen werden! Er soll ganz offensichtlich vom eigentlichen Anliegen der Aktion ablenken.

Meine Position ist ganz klar: Ich werbe ausdrücklich für den Kauf israelischer Produkte, deren Herkunft unzweifelhaft ist. Ich selbst werde z.B. auf den von mir sehr geschätzten Karmel-Wein nicht verzichten und freue mich über jedes Glas Macabee-Bier oder über die berühmte Sharon-Frucht! Israel muss unterstützt werden - auch wirtschaftlich. Aber Produkte, die im Unrecht entstanden sind, demütigen die Enteigneten und bringen den Erzeugern keinen Segen - das ist meine Meinung.

Entschieden weise ich den böswillig gegen mich erhobenen Antisemitismus-Vorwurf zurück! Seit vielen Jahren engagiere ich mich aktiv gegen den Antisemitismus: 1985 habe ich den 'Jenaer Arbeitskreis Judentum' zur Aufarbeitung der Geschichte der Verfolgung der Juden in meiner Stadt gegründet, habe das Buch 'Juden in Jena' mit verfasst und mit herausgegeben. Stadt und Arbeitskreis erinnern auf meine Initiative hin seit 1985 jährlich am 9.11. in einer öffentlichen Veranstaltung an den faschistischen Pogrom „Kristallnacht“ und den Holocaust. Ich habe im Jahr 2000 unser 'Stadtprogramm gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz' angeregt und mit verfasst. 2001 habe ich in Yad Vashem die Mitschuld meiner Stadt an der Verfolgung und Ermordung von Juden öffentlich bekannt.

Mein kompromissloser Einsatz gegen die Neonazis, der im letzten Jahr mit dem 'Preis für Zivilcourage' des Förderkreises des Holocaust-Denkmals in Berlin und der dortigen Jüdischen Gemeinde geehrt wurde, ist vor allem durch meinen Einsatz für die Würde des Menschen (Art. 5 GG) und meinen Kampf gegen den Antisemitismus der (Neo)Nazis motiviert. Ich habe viele Freunde in Israel, die mich darin bestärken, mich gegen das Unrecht der Besatzung und gegen die Siedlungspolitik zu engagieren.

Meine Haltung zum palästinensisch-israelischen Konflikt wird durch das Wort eines Freundes aus der Westbank treffend zum Ausdruck gebracht: 'Das Glück des einen Volkes hängt vom Glück des anderen ab. Es kann den Palästinensern nicht gut gehen, wenn es Israel nicht gut geht, und es kann Israel nicht gut gehen, wenn es den Palästinensern nicht gut geht.' Dem ist nichts weiter hinzuzufügen als der Hinweis darauf, dass es den Palästinensern als Volk tatsächlich nicht gut geht.

In einer Reihe von Reisen nach Israel und in die Westbank habe ich persönlich soviel gesehen und erlebt, dass ich nicht mehr schweigen kann, wenn jüdische und palästinensische Freunde unter Verletzungen von Menschen- und Völkerrecht leiden.

Ich habe das Verhalten von Soldaten und Siedlern gegenüber Palästinensern erlebt, unnötige Demütigungen an den Checkpoints, Zerstörung von Häusern. Dazu kann ich nicht schweigen. Allein in den fast zwanzig Jahren, in denen ich Israel immer wieder besucht habe, sind große Gebiete enteignet und entgegen Völkerecht bebaut worden. Olivenhaine sind mutwillig zerstört worden, Bauern kommen durch die Mauer nicht mehr an ihr Land, das dann enteignet wird, weil es eine Zeit lang nicht bewirtschaftet wurde. Dazu kann ich nicht schweigen. Es zerreißt mich innerlich. Wie sehr viele engagierte Menschen bin ich enttäuscht darüber, dass die Gespräche über eine Friedens- und eine Zweiten-Staaten-Lösung nicht voran kommen sondern die Hoffnung immer mehr sinkt. Der israelisch-palästinensische Konflikt wird von der jetzigen israelischen Regierung heruntergespielt.

Die Pax-Christi-Aktion will und soll vor allem Diskussionen über die Zukunft der israelisch-palästinensischen Nachbarschaft auslösen. Wenn Menschen, die sich diesem Ziel verpflichtet fühlen, gezielt diffamiert werden, ist das kein Signal der Hoffnung. Ich habe mich immer schon gegen Unrecht und für Menschenwürde eingesetzt - vor allem im Hinblick auf das jüdische Volk. Das werde ich auch weiterhin tun. Aber niemand kann mir das Recht nehmen, mich aktiv dafür einzusetzen, dass das Recht des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat endlich umgesetzt wird. Dies ist auch die Position der Bundesrepublik Deutschland.”

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