Mittwoch, 10. November 2010

Neues Buch des "Collegium Europaeum Jenense" der FSU zur friedlichen Revolution 1989

Die Zwieback-Produktion der DDR war ins Stocken geraten. Grund genug für Erich Honecker, seine Genossen anzuweisen, es möge moderne Technik aus dem „KA“, dem kapitalistischen Ausland, beschafft werden. - Der mächtigste Mann der DDR entscheidet über die Produktion von Zwieback: Diese kuriose Situation schildert Günter Schabowski, einst Mitglied der mächtigen Führungsriege im „Arbeiter- und Bauernstaat“, in seinem Text „Vergesellschaftete Wirtschaft - der Krebsschaden des Sozialismus“. Schabowskis Analyse findet sich in dem neuen Buch des Collegium Europaeum Jenense (CEJ) „Zwanzig Jahre friedliche Revolution. Warschau / Leipzig / Berlin / Jena“, das Prof. Dr. Martin Hermann von der Universität Jena herausgegeben hat.

Schabowski, einst selbst an den Hebeln der Macht, seziert mit nüchternem Blick den „Krebsschaden des Sozialismus“, den er in den Mechanismen einer staatlich gelenkten Wirtschaft ausgemacht hat. Nicht die Gesetze der Ökonomie, das simple Einmaleins unbestechlicher Zahlen, sondern die Beschlüsse des 8. Parteitages wurden zur „Richtschnur“ der sozialistischen Wirtschaft erhoben. Das Resultat ist hinlänglich bekannt.

Das neue Buch des CEJ versammelt unterschiedliche Perspektiven zu den Ereignissen des Jahres 1989. Von außen blickt Friedrich Bauer auf das Geschehen. Der einstige Botschafter Österreichs in der BRD und der DDR spricht von den komplizierten Beziehungen zwischen der Alpenrepublik und den beiden deutschen Staaten. Nüchtern-analytisch liest sich der Beitrag von Ilko-Sascha Kowalczuk. Der Historiker bettet die Ereignisse in der DDR in den großen Zusammenhang der Erosion des Ostblocks ein, der mit der Solidarnosc-Bewegung in Polen begann. Ulrich Erzigkeit, Chefredakteur der „Ostthüringer Zeitung“, erinnert an die ersten Schritte einer freien Presse im „gewendeten“ Land.

Die Aufforderung, der Letzte möge das Licht ausmachen, steht über dem Beitrag von Erich Loest zur Friedlichen Revolution 1989. Der Leipziger Schriftsteller Loest bewundert den Mut der Bürgerrechtler in der DDR, konstatiert jedoch, dass sie gewähren durften, weil die Macht im Lande erodierte: „Die DDR wurde nicht freiheitlicher, sie wurde schlampiger – das ist etwas gänzlich anderes.“
Der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter, damals Pfarrer in Jena und selbst Akteur der friedlichen Revolution, vergleicht die Einsichten von heute mit den Tagebuchnotizen von damals. Schröter erweitert zudem den Blick, indem er über die Grenzen Deutschlands hinweg nach Europa und in die Welt schaut.

Ein spezielles Jenaer Thema bringt der letzte Beitrag des Bandes: Gerd Schuchardt erinnert an die Carl-Zeiss-Stiftung in der Wendezeit. Deren Überleben, so der Tenor des einstigen Thüringer Wissenschaftsministers, legte den Grundstein für die positive Entwicklung der Stadt Jena. Das handliche Büchlein ruft die Ereignisse von 1989 ins Gedächtnis und gibt interessante Einblicke in das Denken und Handeln der Akteure von einst.

Bibliographische Angaben: Martin Hermann (Hg.): „Zwanzig Jahre friedliche Revolution. Warschau / Leipzig / Berlin / Jena“, Verlag IKS Garamond, Jena 2010, 129 Seiten, Preis 14,90 Euro, ISBN 978-3-941854-30-7

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