(lsn) - Nachdem Rainer Sauer die ersten fünfzehn Jahre in Jena die Synthesizermusik eher nebenbei pflegte, hat er nun alle seine Instrumente und Klangerzeuger (und deren hat er viele) ausgepackt um mit einem neuen Projekt die alte Musik wieder in die Ohren begeisterter Synthesizermusik-Fans zu bringen. Lichtstadt.Netz sprach mir ihm.
HIER FINDET MAN TEIL 1 DES INTERVIEWS. Im zweiten Teil des Interviews gibt er weitere Auskunft zu seiner elektronischen Passion namens A-U-T-O-B-A-H-N.
Frage: Haben Sie von Mike Oldfield etwas lernen können? Oder er vielleicht etwas von Ihnen?
Rainer Sauer: Ich denke, niemand kann einem Mike Oldfield etwas beibringen. Wenn, dann macht er dies selbst. Unser Kontakt 1981 bis 1983 beschränkte sich auf technische Dinge und ich half ihm bei Fragen zu deutschen Musikinstrumenten, vermittelte ihm Kontakte und so weiter. Dafür hat er sich mit einer handgeschriebenen Widmung auf einer Velvet Universe Platte bedankt und das hat uns beim Plattenverkauf in Großbrittanien sehr weiter geholfen. Gelernt habe ich von ihm, dass man sich bei seiner musikalischen Arbeit nicht verfransen, verzetteln darf. Jeder Synthesizer, hat er mir mal erklärt, hat nur drei gute Klänge. Auch wenn es sich so anhört, als seien es 300, sagte er zu mir. Und das beherzige ich heute noch. Selbst wenn ein neues Gerät so verlockend ist, hundertfach damit zu experimentieren, ich nutze von jedem meiner Geräte nur drei Sounds. Das spart wirklich viel Zeit und das habe ich Mike Oldfield zu verdanken.
Wie stehen Sie zu Sampling und Copyright-Debatten bzw. was waren Ihre ersten Gedanken, als Anfang der 90er die kreative Nutzung von Musik- und Gesangssamples rechtlich gesehen bereits deutlich eingeschränkt wurde? Und inwieweit plädieren Sie vielleicht sogar für eine unentgeltliche Nutzung von urheberrechtlich geschätztem Material in Form von Samples?
Ich habe das damals hautnah miterlebt. Schon Ende der 80er Jahre war das ja nicht frei. Als ich für Westside Records gearbeitet habe und das Mayday-Projekt aus der Taufe hob, hatte zum Beispiel die Band OKAY! - auch eine Entdeckung meiner Nachwuchsförderung - Probleme, als sie Sprachfragmente vom 1954er Fußball-WM-Endspiel verwendeten, "...aus dem Hintergrund müsste Rahhn schießen, Rahn schießt - Toor, Toor, Toor", diesen Schnipsel kennt wohl jeder. Die mussten sich erst mit der Familie Zimmermanns auf die Verwendung von dessen Stimme finanziell einigen, bevor sie das verwenden durften. Aber das ist doch klar: wenn ich etwas haben möchte, was andere geschaffen haben, muss ich nachfragen und für die Nutzung natürlich bezahlen. Das ist weder Bosheit noch Geldgeilheit von der Rechteinhabern, sondern normal. Es handelt sich ja auch meist nicht um Riesen-Summen. Wenn allerdings nur mit und wegen dieser Fremdmusik Hunderttausende Tonträger verkauft und viel Geld eingenommen wird, dann sollte man auch einen Batzen davon dem eigentlichen Urheber bezahlen. So ging es mir mit Jam & Spoon, die auf einer ihrer Platten musikalische Teile der ersten Velvet Universe Platte verwendet haben und dafür zahlen mussten...nachträglich. Es ist wie im richtigen Leben. Wenn mir ein Auto gefällt, vielleicht ein Ferrari, dann kann ich den auch nicht einfach klauen. Ich muss zu einem Autoverleih gehen und bei denen einen Ferrari ausleihen und dafür natürlich auch bezahlen.
Jetzt haben sie das Projekt A-U-T-O-B-A-H-N in's Leben gerufen, sind, soweit ich weiß, sogar bei der Deutschen Gesellschaft für Sprache offizieller Wortpate geworden für das Wort 'Autobahn'. Was hat der Hörer hier zu erwarten? Hat das viel mit der Gruppe Kraftwerk zu tun?
Letzteres eher weniger. Die haben mal eine LP veröffentlicht, die "Autobahn" heißt und weltweit erfolgreich war. Das ist nun auch schon Jahrzehnte her und das wäre schlichtweg blöd, wenn ich die nachspielen würde. Meine 4-KLANG A-U-T-O-B-A-H-N ist eine Metapher für den Weg, den die Elektromusik zurückgelegt hat von den 1960er Jahren bis heute. Ich habe das in vier Zeitphasen unterteilt:1960 bis 1974, 1975 bis 1989, 1990 bis 2004 und dann ab 2005. Das sind für mich die vier Strecken der Synthesizerautobahn und die stelle ich in den Livekonzerten akustisch dar.
Ist Ihre heutige Musik, die SIe im Rahmen des A-U-T-O-B-A-H-N Projektes spielen, anders, als die Musik , die Sie früher gemacht haben?
In meiner Musik ist, abgesehenen von einigen klanglichen Parametern, die das Soundspektrum erweitern, alles beim Alten geblieben. Technisch betrachtet sind es aber anstelle des EMS VCS 3 Synthesizers, den ich in den 80ern recht intensiv verwendet habe, inzwischen meine drei roten CLAVIA Nord Racks, virtuell-analoge Klangerzeuiger, die ich oft einsetze. Es ist jeweils ein Nord Rack 1, ein Nord Rack 2 und ein Nord Rack 3, weil jedes dieser Geräte zwar ähnlich zu den anderen aussieht, aber eine völlig differente Klangerzeugung hat. Dann setzte ich heute auch vermehrt auf andere virtuell-analoge Geräte wie Creamware Synthesizer und Doepfer Sequencer. Virtuell-analog heißt, dass die Geräte digital funktionieren, aber echte Dreh- und Schieberegler haben und man mit diesen den Klang real beeinflussen kann, so wie es früher bei den analogen Synthesizern die Regel war. Und dann habe ich bei jedem Konzert meine ARTURIA Sachen dabei, das große MOOG Modularsystem oder die Analog Factory. Wunderbare Klangerzeuger.
Ist die aktuelle Musikbewegung für Sie heute relevant?
Die aktuelle Musikbewegung - bei der ich mich manchmal frage: wo ist da überhaupt die Bewegung? - interessiert mich nur insoweit, wie ich mich darin wiedererkenne. Bei Brian Eno kann das zum Beispiel der Fall sein oder bei den Gorillaz.
Wie beurteilen Sie den grundsätzlichen Werdegang der elektronischen Musik in die heutige Zeit, speziell in Deutschland? Wo sehen sie noch Potential?
Ach du Schreck, was für eine allumfassende Frage. Vor allem das mit dem "Werdegang". (Sauer denkt nach!) Ich habe da leider keine Antwort parat. Hätte ich eine, könnte ich damit viel Geld verdienen. Um es abzukürzen: Klaus Schulze ist heute Mitte Sechzig, Edgar Froese von Tangerine Dream wird bald Siebzig, Jean Michel Jarre und Ralf Hütter von Kraftwerk sind auch schon im Rentenalter, Kraftwerk-Epigone Florian Schneider hat sich sogar schon zur Ruhe gesetzt. Im Grunde sollte man zu diesen Fakten auch noch sagen, dass es - wohl auch aufgrund der langen Zeit, in der diese Leute aktiv sind - zwischen ihnen oft genug verbale und non-verbale Auseinandersetzungen gibt. "Froese ist böse" war einmal in den Siebzigern eine Schlagzeile im Fachblatt Musikmagazin und war darauf bezogen, dass man dort Fotos von Ihm verwendet hatte und er dies nicht in Ordnung fand. Auch heute noch gibt es von seiner Seite viele Kämpfe, zum Beispiel mit Christopher Franke, seinem früheren TD-Mitstreiter und heutigem Besitzer der Tangerine Dream Mehrspurbänder. Froese dagegen hat die Namensrechte und spricht Franke im Rückblick alle musikalischen Fähigkeiten ab, weshalb der ihm die Bänder nicht herausgibt. Ähnlich war es bei Kraftwerk, wo sich Teile der Band nicht als Zeitarbeitsmusiker sondern als kreativer Teil der Gruppe sahen, was von Ralf Hütter und Florian Schneider vehement bestritten und bekämpft wurde. Ich will damit sagen: solche Dinge passieren eben in einem langen elektronischen Musikerleben, aber sie rauben künstlerische Kraft. Zudem haben alle diese Leute ihre goldenen Zeiten hinter sich und man muss froh sein, dass es sie überhaupt noch gibt. Das ist die Erwartung, mit der man in die Konzerte gehen sollte. Neues wird aus dieser Richtung kaum noch kommen. Ich hatte die Gnade der späten Geburt im Jahre 1958 und habe vielleicht noch zehn aktive Jahre vor mir, aber dann war es das auch. Ergo wird aus der 'Generation Kraftwerk' kaum noch etwas Innovatives kommen und aus meiner Generation wohl auch nicht. So ist die Zukunft der Elektromusik in den Händen neuer Generationen und die werden das Genre mit Sicherheit weiter entwickeln und neu beleben. Potential ist immer da, solange junge Leute den Drang verspüren, Musik machen zu wollen mit elektronischen Klangerzeugern. Die große Frage kann auch lauten: bleibt die Elektromusik eine Domäne der Männer? Schon beim hr konnte ich festellen, dass in der Hörerpost von 100 Briefen höchstens mal ein weiblicher Fan schrieb. Heute ist dieses Mengenverhältnis bei den E-Mails, die mich erreichen, immer noch so.
Was konkret dürfen wir von Rainer Sauer in nächster Zeit erwarten?
Nun ja, im Grunde tatsächlich nur das A-U-T-O-B-A-H-N Projekt. Ich wollte das schon so lange auf die Bühne bringen, dass ich froh bin, es jetzt endlich geschafft zu haben. Und dann möchte ich natürlich gesund bleiben, denn ich liebe es, Konzerte zu spielen.
Vielen Dank für das ausführliche Interview und weiterhin frohes Schaffen und viel Erfolg.
Ich bedanke mich ebenfalls für das freundliche Interesse.
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