Dienstag, 26. Juni 2012

"Die netten Camper vom Stellplatz 80": Uwe Böhnhardts Eltern reden heute Abend in der ZDF-Doku "Brauner Terror - Blinder Staat"

 (lsn) - Ein zufällig aufgenommenes Luftbild des Campingplatzes "Wulfener Hals" zeigt viele Details des Campinglebens auf Fehmarn. Und es zeigt einen Wohnwagen auf Mietstellplatz 80, von dem man heute weiß, dass er die letzten Jahre der Stammplatz der drei Mitglieder der Terrorzelle "NSU" war.

Vierzehn Jahre lang lebten die Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (Foto rechts: Mundlos mit Fotoapparat) im Untergrund. Die Männer fuhren mit gemieteten Wohnmobilen durchs Land, stiegen dann auf Mountainbikes um und verübten Morde, Bombenanschläge und Raubüberfälle; die Frau half ihnen dabei, deckte die biedere Fassade des Terrortrios nach außen ab, damit die Ermittler ihnen nicht auf die Spur kamen. Und die Drei machten auch immer wieder Urlaub von ihren Taten, mieteten Wohnmobile an - diesmal mit Surfbrett und Campingstühlen - und machten auf ihren Mountainbikes ausgedehnte Radtouren an der Ostsee entlang, campten oft drei, manchmal vier Wochen am Stück auf ihrem Stellplatz am "Korvettenweg".

Heute Abend zeichnet die "Frontal 21"-Dokumentation "Brauner Terror - Blinder Staat" im ZDF das Leben und die Taten der Jenaer Terroristen nach und belegt das Versagen von Verfassungsschutz und Polizei. Angehörige der Täter und der Opfer, Zeugen der Taten sowie verantwortliche Ermittler nehmen Stellung zu einer in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Verbrechensserie.

War es die Eitelkeit einzelner Ermittler, die verhinderte, dass das Trio gefasst werden konnte? Weshalb wurden viele Aussagen der Angehörigen von Opfern oder von Opfern selbst über die beobachteten Täter bewusst ignoriert? Warum gingen Spuren, die direkt zu den Neonazis hätten führen können, immer wieder verloren? Die ZDF-Doku stellt heute Abend klar: Wären die Ermittler der richtigen Spur zum Nazi-Trio gefolgt, hätten sie den Fall an übergeordnete Behörden abgeben müssen. Das aber, so belegen Dokumente, sollte verhindert werden.

Auch die Eltern von Uwe Böhnhardt (Foto oben links) kommen in der Dokumentation, die um 21.00 Uhr ausgestrahlt wird, zu Wort. Kurzzeitig hatte der Verfassungsschutz angefragt, ob Brigitte und Jürgen Böhnhardt die Ermittler unterstützen wollten - im Gegenzug könnten die Untergetauchten mit Strafmilderung rechnen. Sie habe "mit aller Macht" versucht, sagt sie, ihren Sohn und dessen Freunde zur Aufgabe zu überreden. Doch die drei weigerten sich und der Verfassungsschutz habe sein Angebot anschließend zurückgezogen. "Warum?", fragt die Mutter heute abend. "Alles, was dann folgte, hätte man verhindern können."

Der frühere Thüringer Verfassungsschutzchef Helmut Roewer gesteht heute Abend Fehler des Geheimdienstes bei der Observation des Neonazi-Trios ein. Etwa die Beschaffung der Mordwaffen. "Das haben wir nicht gesehen", sagt er lapidar in der ZDF-Dokumentation. Nur ein erfolgreicher Zugriff der Ermittlungsbhörden und viele Menschen wären nicht getötet, Familien nicht ins Unglück gestürzt worden. "Damit muss man leben", sagt Roewer scheinbar emotionslos und meint mit "man" ganz offensichtlich sich.

Drei Mal hatten sich die Böhnhardts mit den Untergetauchten treffen konnten, ohne dass Polizei und Verfassungsschutz eingriffen. Dabei wurden die Telefone der Familien Böhnhardt und Mundlos intensiv abgehört und der Bekanntenkreis des Trios jahrelang überwacht. "Wenn wir als Eltern Gelegenheit haben, sie zu treffen, mit ihnen zu telefonieren, dann ist es nicht vorstellbar, dass die Behörden das nicht mitbekommen haben", sagt Brigitte Böhnhardt im ZDF-Interview.

Beate Zschäpe (Foto links), die langjährige Freundin ihres Sohnes, habe sie nicht der rechten Szene zugeordnet. "Sie war für mich ein ganz normales Mädchen, nett, höflich", sagt Brigitte Böhnhardt. "Ich mochte sie." Die Urlaubsfotos ihres inzwischen toten Sohnes und seiner Begleiter tuen Brigitte Böhnhardt weh. Sie zeigen drei braungebrannte Freunde, die fröhlich in die Kamera schauen und stehen für eine andere Welt, die für sie als Mutter nicht zu vereinen ist mit den Nazi-Morden. "Leute die im Untergrund leben, lassen sich doch nicht fotografieren", sagt sie ungläubig.

"Brauner Terror - Blinder Staat" schildert mit Hilfe von Zeitzeugen den Werdegang des Trios Zschäpe, Böhnhardt. Mundlos von den frühen neunziger Jahren bis zum Ende der Terrorzelle im November 2011, dokumentiert auch ihr Leben als "Die netten Camper von Stellplatz 80" und zeigt das Scheitern der Ermittlungsbehörden auf, deren Fahnung über ein Jahrzehnt erfolglos blieb. HIER finden Sie zudem eine vom ZDF erstellte "Chronik des Versagens".

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