Montag, 2. Juli 2012

"Die V-Affäre XV": Verfassungsschutz-Präsident Fromm tritt zurück, nachdem bekannt wurde, dass seine Behörde bereits seit 2003 konkrete Hinweise auf eine militante Nazi-Terrorzelle aus dem Umfeld von Ralf Wohlleben hatte

(lsn / berlzeit) - Jetzt wird die Affäre der einzelnen deutschen Verfassungsbehörden im Zusammenhang mit dem "nationalsozialistischen Untergrund" / "NSU" schmutzig. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz / BfV hat heute überraschend seinen Rücktritt eingereicht. Zuvor waren der "Berliner Zeitung" Unterlagen zugespielt wurden, die belegen, dass das BfV bereits vor Jahren konkrete Hinweise auf ein Netz rechten Terrors in Deutschland hatte.

So habe, den Unterlagen nach, der italienische Staatsschutz "AISI" am 14. Dezember 2011 das BfV darauf hingewiesen, dass er dem Kölner Bundesamt bereits im Frühjahr 2003 ein Schreiben übermittelt habe, in dem es um ein Treffen europäischer Neonazis im belgischen Waasmunster vom November 2002 gegangen sei. Damals hätten italienische Rechtsextremisten (Zitat) "...bei vertraulichen Gesprächen von der Existenz eines Netzwerks militanter europäischer Neonazis" erfahren. Aus dem "AISI"-Schreiben des Jahres 2003, das ebenfalls der "Berliner Zeitung" übergeben worden ist, gehe hervor, dass deutsche Neonazis insbesondere aus Bayern und Thüringen seit Jahren enge Beziehungen nach Italien pflegen würden.

Weiter heißt es in dem Schreiben vom 21. März 2003 ganz konkret, dass etwa Ralf Wohlleben, der seit November 2011 als mutmaßlicher Unterstützer der "NSU" in Untersuchungshaft ist, mehrfach an Treffen der italienischen Gruppen "Skinhead Tirol - Sektion Meran" und "Veneto Fronte Skinheads" (Foto oben) in Italien teilgenommen und ihnen Geld übergeben habe (Zitat) "...für die Unterstützung von Kameraden, die sich in Schwierigkeiten befinden".

2008, so schreibt die "Berliner Zeitung" weiter, hätten zudem Südtiroler Skinhead-Gruppen dem "AISI"-Bericht zufolge, bei einem Treffen mit deutschen Neonazis aus Bayern und Franken (Zitat) "über die Möglichkeit der Durchführung fremdenfeindlicher 'exemplarischer Aktionen' diskutiert und eine detaillierte Kartenauswertung vorgenommen, um Geschäfte ausfindig zu machen, die von außereuropäischen Staatsangehörigen geführt werden".

Seit November 2011 weiß die deutsche Öfffentlichkeit, dass die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe eine Terrorzelle gegründet hatten, die u. a. für die Morde an neun Migranten und einer Polizistin verantwortlich gemacht wird. Die drei sollen gemeinsam jahrelang als "Nationalsozialistischer Untergrund" operiert, gemordet und geraubt haben. Auch sie hatten für ihre Mordpläne gezielt Geschäfte ausgespäht, die von außereuropäischen Staatsangehörigen geführt wurden. Zudem sollen von dem vom "NSU" bei Sparkassen- und Banküberfällen geraubten Geld rechtsradikae Projekte unterstützt worden sein, so z. B. die Publikation "Der weiße Wolf".

Die bundesdeutschen Verfassungsschutzorganisationen stehen seit dem Aufdecken der Terrorzelle im November des vergangenen Jahres in der Kritik. Zuletzt wurde bekannt, dass ein BfV-Mitarbeiter kurz nach der Enttarnung des "NSU" Akten über V-Leute beim rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" vernichten ließ, die eigentlich an die Bundesanwaltschaft hätten abgegeben werden müssen. Dem "Thüringer Heimatschutz" gehörten seinerzeit u. a. die späteren Mitglieder des Zwickauer Terrortrios sowie Ralf Wohlleben an.

BfV-Präsident Heinz Fromm räumte gestern in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL einen (Zitat) "erheblichen Vertrauensverlust" ein, der seiner Behörde durch diese Aktion entstanden sei; Fromm: "Nach meinem derzeitigen Erkenntnisstand handelt es sich um einen Vorgang, wie es ihn in meiner Amtszeit bisher nicht gegeben hat". Wie die "Rheinische Post" berichtet, habe der Verfassungsschutzpräsident nun am heutigen Morgen Innenminister Hans-Peter Friedrich um seine Entlassung gebeten.

UNd auch in Thüringen selbst bahnt sich eine Veränderung an der Spitzes des dortigen Verfassungsschutzes an. Thomas Sippel, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, steht seit Monaten massiv in der Kritik, muss wegen der Affäre um die Neonazi-Terrorzelle um sein Amt fürchten. Dies um so mehr nach der heutigen Aussage des Thüringer Innenministers Jörg Geibert: dass "der Verfassungsschutzpräsident nicht mehr das Vertrauen des Parlaments" habe.

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