Montag, 13. August 2012

"INSIDE NSU - Details aus der Anklage!" - Was die Bundesanwaltschaft Zschäpe, Wohlleben und Em*ng*r vorwirft! - Teil 5

(ZONO Radio Jena) - In wenigen Wochen wird die Bundesanwaltschaft dem Bundesgerichtshof ihre Anklage gegen Beate Zschäpe als Mitglied der rechtsradikalen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" / "NSU" vorlegen; eine weitere Anklage gegen Ralf Wohlleben als Unterstützer des "NSU" folgt noch im Jahre 2012.

Sechs Wochen lang  berichtet ZONO Radio Jena in seinem lokalen Hörfunkprogramm und auf "Lichtstadt.Netz" über den Abschluss der Ermittlungen, listet Details der einzelnen Anklagepunkte auf und gibt den chronologischen Ablauf der "NSU"-bezogenen Ereignisse zwischen Januar 1998 und November 2011 wieder. Im vorletzten Teil ist es heute...


"INSIDE NSU" - Teil 5
Januar 2007 bis Januar 2008: Heilbronn und die Folgen
(zusammengestellt von Tim Schwarz)

August 2012: Seit Monaten sitzt Beate Zschäpe / Z im Kölner Untersuchungsgefängnis Ossendorf in der Rochusstraße. In ihrer Einzelzelle verfügt die Gefangene mit der Nuimmer 4876/11/3 über ein Fernsehgerät und kann, zusammen mit ihren Anwälten, die gegen sie zusammengetragenen Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft in mehreren Dutzend Aktenordnern nachlesen. Am 18. August 2012 findet ein weiterer Haftprüfungstermin statt, bei dem möglicherweise eine erste Fassung der Anklageschrift vorgelegt werden könnte. Sicher ist dies aber nicht, denn als Ziel für den Abschluss ihrer Arbeit hat sich die Bundesanwaltschaft Ende Oktober 2012 gesetzt. Zusammengetragen werden die Beweise und Indizien von Ermittlern der "Besonderen Aufbauorganisation Trio" / "BAT" des Bundeskriminalamtes.

Einmal jeden Tag hat Z eine Stunde Ausgang ohne Kontakt zu Mitgefangenen. Die Gefahr, dass ihr in der Stadt, in welcher der "NSU" zwei Bombenanschläge verübt hat, etwas zustößt, soll damit minimiert werden. Seit ihrer Festnahme schweigt Z eisern; ihre beiden Anwälte Heer und Stahl bestärken sie darin.

Fünf Jahre zuvor, war dies ganz anders. Z war da noch ein äußert kommunikativer Mensch, der viel mit Nachbarinnen gesprochen hat, gelegentlich sogar deren Seelsorger war. Das "Lisa" oder "Liese" einmal eisern schweigen würde, das können ihre früheren Bekannten immer noch nicht fassen, "...die hatte so was Unbeschwertes und Lustiges“ sagen sie. Einer Unschuldsvermutung ist aber das Schweigen nicht unbedingt zuträglich, das weiß auch Z. Welcher Taktik soll also das Schweigen untergeordnet werden?

Die Beweis- und Indizienlast gegen Z, die Zeugenaussagen von ehemaligen Helfern wie Max-Florian Bu., Holger Gerlach / HG und Carsten Sch., scheint kaum zu erschüttern zu sein und wird zudem mit jedem Tag eindeutiger. Eine wichtige Rolle spielt in der Anklage gegen Z eine Diskussion, die das Trio Anfang der 2000er-Jahre mit seinen Unterstützern HG und Ralf Wohlleben / RW geführt haben soll. Es ging dabei um die Frage bewaffneter Aktionen, für die sich, nach Aussage von HG, sowohl Uwe Böhnhardt als auch Uwe Mundlos und Beate Zschäpe / BMZ ausgesprochen hätten.

Januar 2007: Seit neun Jahren sind BMZ auf der Flucht, leben im Untergrund. Mit den bei den zwei Überfällen in Stralsund erbeuteten rund 280.000 Euro ist ihr Leben nun jedoch mindestens für die nächsten fünf Jahre gesichert. Und doch wird ihr Leben in der Zwickauer Polenzstraße 2 immer unsicherer.

Die drei "NSU"-Terroristen haben "Kripo Live" im MDR gesehen und wissen von der Fahndung nach ihnen in Chemnitz, Zwickau und Stralsund. Sie ahnen, dass man ihnen unter Umständen mit jedem weiteren Überfall auf eine Sparkasse, Bank oder Postfilliale, näher kommen wird, da man nun die Zusammenhänge innerhalb der Serie von Überfällen seit 1998 recherchiert.

Auch im Rahmen der neun "NSU"-Morde wird immer noch ermittelt, werden verstärkt Gemeinsamkeiten gesucht: zwei Täter, die Basecaps tragen, Rucksäcke haben, auf Fahrrädern geflohen sind. Inzwischen haben drei Zeuginnen bzw. Zeugen recht gute Beschreibungen der Täter abgegeben, Phantrombilder, die Böhnhardt und Mundlos / BM sehr ähnlich sind.

Einer der Profiler ist sich sogar sicher: die Täter sind zwischen 22 und 31 Jahre alt, müssen früher bereits in der rechten Szene durch Gewalttaten oder eine schwere Sachbeschädigung als "stellvertretendes Agressionsdelikt" aufgefallen sein und es handele sich bei ihnen wahrscheinlich um ein "sehr enges Vertrauensverhältnis im Sinne einer verschworenen Gemeinschaft", schreibt er im Täterprofil" mit dem Tenor: "Ausländerfeindlichkeit". Besser könnte man auch heute B, M und Z nicht beschreiben.

Doch das Thema "Ausländerfeindlichkeit" wird damals nur inoffiziell behandelt, offiziell wird von der SoKo "Bosporus" weiter in Sachen der "Döner Morde" ermittelt. Das ZDF z. B. hatte 2006 in "Aktenzeichen XY" eine Zusammenfassung der Mordserie gezeigt und Moderator Rudi Cerne durfte sich und die Zuschauer fragen: "Haben sich die Opfer selbst in kriminelle Geschäfte verwickelt?" Auch im Falle des zehnten Mordes gehen die Ermittlungen in die völlig falsche Richtung: das BKA sucht in späteren Jahren "das Phantom von Heilbronn", eine Mörderin, die europaweit agiert. Dies erscheint aus heutiger Sicht noch kurioser als damals, da man BMZ schon 2007 als Täter hätte ermitteln können.

Frühjahr 2007: Der kritischste Teil ihrer Aktionent schienen BMZ die Überfälle auf Geldinstitute zu sein. Im Internet konnten sie nachlesen, dass Fährtenhunde eingesetzt worden waren, die urplötzlich die Spur von BM verloren. Wenn es noch nicht geschehen war, so würde die Polizei schon bald auf die Idee eines Fluchtfahrzeugs kommen, das groß genug ist, um zwei Fahrräder schnell "verschwinden" zu lassen und zudem den Tätern Schutz bietet, also ein Multivan, ein Sprinter oder ein Wohnmobil.

André Em*ng*r / AE kommt 2007 oft mit seiner Frau Susann zu Besuch in die Polenzstraße; er betreibt inzwischen eine Videothek und eine Firma für Mediengestaltung sowie einen Onlineshop für Messer und andere Waffen. Die "BAT" ermittelte auch dahingehend, wie BMZ ihrem Freund AE beim Aufbau von dessen Selbständigkeit finanziell geholfen haben könnten, und ist fündig geworden, wie man der Anklageschrift gegen AE entnehmen kann, die im späten Herbst 2012 veröffentlicht werden soll. Es scheinen Hilfen nach dem Motto "Eine Hand wäscht die andere" gewesen zu sein, Geld für Gegenleistungen. Ein Beispiel:

Im Januar 2007 war Wasser in die "NSU"-Wohnung in der Polenzstraße eingedrungen. Wie sich herausstellte, wurde in der Wohnung über BMZ eingebrochen und der oder die Täter hatten, um Spuren zu verwischen, Wasserhähne aufgedreht. Bei der Zwickauer Polizei wurde seinerzeit dem Verdacht nachgegangen, dass ein Nachbar am Einbruch beteiligt gewesen sein könnte. Brisant für BMZ wird es, als die Polizei "die Mieter der Erdgeschosswohnung" (also: bundesweit gesuchte Mörder und Bankräuber) vorläd, wie es in dem Schreiben der Polizei zu lesen ist. Doch niemand erscheint. In diesem Moment ist die Wohnung in der Polenzstraße fast schon zu einer Falle für die drei "NSU"-Terroristen geworden.

Der Druck wird um so höher, als zeitgleich mit dem Wassereinbruch Beamte des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen AE observieren, der zusammen mit seinem Zwillingsbruder Maik als Mitglied der "Weißen Bruderschaft Erzgebirge" in der rechten Szene Sachsens bekannt ist. Man vermutet, AE und Maik Em*ng*r könnten die Absicht haben, eine Zwickauer Kameradschaft aufzubauen. Dass AE die Wohnung in der Polenzstraße besucht, interessiert die Verfassungschützer aber ganz offensichtlich nicht, denn das Objekt steht nicht auf deren Observierungsliste.

Und so betritt im Januar 2007 ein Beamter des Kommissariats 23 (nicht ahnend, dass er bereits in wenigen Augenblicken durch BM ermordet sein könnte) das Treppenhaus der Polenzstraße 2 und klingelt, um die Bewohner der Erdgeschosswohnung als Zeugen zu vernehmen. Z öffnet und zeigt sich überrascht, sagt, sie wisse nichts von einer Vorladung. Gegenüber dem Poliziebeamten gibt sie sich als "Susann Dienelt" aus, die Schwester des Mieters Matthias Dienelt / MD. Und sie sagt ihm, dass sie "heute keine Aussage" machen könne, demnächst aber "im Kommisariat zu einer Vernehmung vorsprechen" wolle, wie er es notiert. Dann geht der Beamte wieder unverrichteter Dinge.

Tatsächlich erscheint kurze Zeit später AE (und da er sich ausgewiesen hat, spricht einiges dafür, dass es sich bei ihm um den echten André Em*ng*r handelte / siehe Foto rechts) auf der Polzeiinspektion Zwickau. Mit dabe ist Z, die sich den Beamten nun als als "Susann Em*ng*r" und "Ehefrau des AE" ausgibt. Die Namensungleichheit der beiden "Susanns" fällt dabei nicht auf. Z erzählt den Beamten bei ihrer Zeigenvernehmung, dass die Wohnung nicht ihr sondern einem Bekannten gehöre, der als Lkw-Fernfahrer arbeite. Sie kümmere sich in der Polenzstraße nur um dessen Katzen, sagt Z., und zwar immer dann, wenn der Mieter unterwegs sei. Im  Gespräch und festgehalten im Protokoll spricht Z allerdings von "zu Hause" und sagt, dass "wir" nach dem Wasserschaden "neue Badmöbel gekauft" hätten.

Dem Beamten fällt an diesem Morgen allerdings weder die Namensungleichheit gegenüber dem Besuch seines Kollegen, noch die Widersprüche in den Erzählungen von Z auf, auch nicht, dass die Frau, die ihre Aussage zu Protokoll gibt, nur eine geringe Ähnlichkeit mit der Ehefrau von AE hat. Schlampigkeit oder Überlastung des Polizeiapparates?Um 7.15 Uhr enden die Vernehmungen. Z verlässt das Dienstzimmer mit ihrem angeblichen Ehemann. Erst im November 2011 bemerken die Beamten, dass Zs Unterschrift auf dem Vernehmungsprotokoll von der der echten Susann Em*ng*r erheblich abweicht.

Im Frühjahr 2007 besuchen BMZ nochmals HG in Hannover. "Böhni" und "Mundi" hätten auch ihn gefragt, so HG gegenüber den Ermittlern der "BAT", ob er Geld brauchen würde; mittlerweile hätten sie genug davon. Als Gegenleistung sollte HG "Böhni" seinen Führerschein übergeben und andere Papiere.

Nach mehreren Stunden in seinem Garten hätten sich BMZ dann von ihm verabschiedet. Was BMZ mit seinem Führerschein vorgehabt hätten, weiß er nicht, sagte HG zu den Ermittlern. Wahrscheinlich hätten sie sich damit ab und zu ein Auto mieten wollen. - Die Erklärungen der an den Taten des "NSU" beteiligten Helfer sind stets einleuchtend einfach.

Wenn man sich die Tatorte der "NSU" ansieht, dann ist die Häufung von Morden in Nürnberg (der Stadt der Reichsparteitage) und München (der Stadt der Bewegung) auffällig. Ende April 2007 rückt eine Stadt in Baden in den Fokus von BM, deren Name allein schon eine Offenbarung zu sein scheint: HEILBRONN. Wie es der Zufall will: im nur 25 km entfernten Kochersteinsfeld besaß der ehemalige Chef des "Thüringer Heimatschutzes" (und zugleich V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes) Tino Brandt damals eine Doppelhaushälfte, wie es die Grundbuchakte belegt. Wohnen hätte er in Baden nicht gewollt, sagte Brandt hierzu. Auch seine Erklärung ist einleuchtend einfach. Brandt erklärte inzwischen, er habe nur als Strohmann für jemanden agiert, dem das Haus zuvor gehört hatte. Dieser Mann sei in "juristische Schwierigkeiten" gekommen und er, Brandt, habe die Doppelhaushälfte lediglich "aus Gefälligkeit" erstanden. Wie es zu dem Kontakt zwischen Kochersteinsfeld und ihm kam, sagte Tino Brandt nicht.

Mit dem Führerschein von HG mietet "Gerry" / B am 16.04.2007 erneut ein Wohnmobil an. Der besondere Kick der geplanten Tat: wieder wollen B und M morden, doch soll es dieses Mal nicht gegen Ausländer gehen. Polizeikräfte sind das Ziel ihrer Aktion. Wohlwissentlich, dass Polizeibeamte in ihren Streifenwagen niemals alleine unterwegs sind, planen BM zugleich einen Doppelmord. Hierauf bereiten sie sich - wie immer bei ihren Taten - akribisch vor. M ist der "Anführer", wird die Fahrertür öffnen, B greift zugleich von rechts an.

Am Mittwoch, den 25.04.2007, machen die Bereitschaftspolizistin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin Ahlendorf* in ihrem Dienst-BMW mit dem Kennzeichen "GP - 3464" auf dem Parklatz der Heilbronner Theresienwiese eine Pause. Martin ist ein neuer Kollege für Kiesewetter, sie soll in Heilbronn herumfahren und ihm bestimmte Orte zeigen. Außerdem sollen beide Personen kontrollieren.  Michéle ist zwar erst 22 Jahre alt, aber mit Haut und Haaren Polizistin. So hat sie bereits mehrfach als verdeckte Ermittlerin Heroin gekauft und damit zur Verhaftung von Drogendealern geführt. Oder sie hat verdeckt in Diskotheken ermittelt, ihre uniformierten Kollegen über Notausgänge zu Razzien hereingelassen.

Auf der Theresienwiese, drei Gehminuten vom Heilbronner Hauptbahnhof entfernt, bauen an diesem Tag erste Schausteller ihre Buden und Fahrgeschäfte für das "Heilbronner Maifest" auf. Kiesewetter und Ahlendorf sind bereits um 11 Uhr 30 zum ersten Mal auf der Theresienwiese, gewesen. Da beide keinen konkreten Auftrag haben, fahren sie nach der Einsatzbesprechung im Polizeirevier um 13 Uhr 45 nochmals an den Neckar um den Schaustellern beim Aufbau zuzusehen. Außerdem können beide dabei ihre Mittagspause machen; die Theresienwiese ist ein bei Heilbronner Polizisten beliebter Rastplatz, wird fast täglich von Streifenwagen angefahren, die dort eine kurze Pause einlegen. - Konnten BM dies ohne fremde Hilfe herausgefunden haben?

15 Minuten zuvor nimmt eine Überwachungskamera des Heilbronner Bahnhofs ein junges Paar auf, das durch die Bahnhofshalle läuft. Die Frau, die in Zs Alter ist und schwarze schulterlange Haare trägt, und der fast glatzköpfige Mann unterhalten sich und verlassen dann das Gebäude.

Bei deren Bekleidung fällt den Ermitlern auf: sowohl die gefilmte Frau als auch der Mann tragen Kleidungsstücke, wie sie so oder so ähnlich später in der Zwickauer Wohnung des "NSU" gefunden wurden. Auch Körperhaltung und Gesichtsmerkmale des Pärchens wurden analysiert und könnten auf Z und B hindeuten. Die Kleidungsstücke des "NSU" spielen überhaupt eine wichtige Rolle in diesem Mordfall, ganz besonders die von M.

BM sind in Heilbronn nun wieder mit ihren Fahrrädern unterwegs, haben ihr Wohnmobil in der Nähe des Neckars geparkt. Bahnarbeitern fallen an diesem Tag kurz vor 14 Uhr zwei Mountainbikefahrer auf, die miteinander diskutieren; wenn es M und B gewesen waren, dann kann es nur um die Frage gegangen sein: "Machen wir es jetzt oder warten wir noch ab?". Michéle Kiesewetter und Martin Ahlendiorf unterhalten sich derweil über die Karrieremöglichkeiten bei der Polizei. Gegen 14 Uhr zündet sich Ahlendorf eine Zigarette an, während Kiesewetter in ihr Brötchen beißt. Im Rückspiegel sieht er wie sich jemand dem BMW nähert.

Gerade als Michelé Kiesewetter zu ihrem Kollegen sagt: "Da will jemand eine Auskunft." wird sie von einer Kugel in den Kopf getroffen. Im gleichen Moment sackt auch Ahlendorf nach einem Kopfschuss zusammen. Die Auswertung des Tatorts ergab später, dass BM dabei eine Tokarew TT-33 Pistole (= Mordversuch an Ahlendorf) und eine Schusswaffe des Typs Radom VIS 35 (= Mord an Kiesewetter) verwendet hatten. Beide Waffen werden später in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung aufgefunden, die Radom im Zimmer von M. Die Polizistin ist nach den Kopfschuss sofort tot, ihr Kollege schwer verletzt. Wie durch ein Wunder überlebt er den Kopfschuss, verbringt rund drei Monate in Spezialkliniken, wird danach unter Hypnose zum Tathergang befragt.

BM reißen die beiden Türen des BMW auf, wobei A. aus dem Wagen fällt und auf den Boden stürzt. B und M entwenden die beiden Dienstwaffen vom Typ HK P2000, die Magazine, die Handschellen und weitere Ausrüstungsteile wie etwa eine Taschenlampe. Allerdings läuft manches in diesem Moment nicht so, wie die beiden Terroristen es zuvor wochenlang geplant hatten, vor allem, weil sie nach neun Morden in Folge ohne Körperkontakt ihre Opfer zum ersten Mal anfassen müssen und die Situation, sich dabei mit Blut zu besudeln, offenbar völlig unterschätzen.

Anschließend flüchten beide auf ihren Fahrrädern, ziehen sich um und packen die blutverschmierte Kleidung ein, damit sie in Heilbronn keinerlei DNA-Spuren hinterlassen. Schon damals sahen einige Ermittler die Tat "als eine solche, bei der den Tätern die Wegnahme der Gegenstände ebenso wichtig war, wie der Schusswaffenangriff selbst." Das BKA konnte auf der Festplatte des "NSU"-Rechners einen Ordner wiederherstellen, der von BMZ "aktion polizeipistole" betitelt wurde. Über seinen Inhalt gibt der Generalbundesanwalt bis heute keine Auskunft. In dem Bekenner-Video "Frühling" ist jedoch eine Luftbildaufnahme mit den eingefügten Textfeldern "Tatort" und "Heilbronn", ein Foto von der Spurensicherung am Trafohäuschen sowie Szenen der Trauerfeier für Kiesewetter eingebaut. Am Ende des Videos ist schließlich die Dienstpistole von Martin Ahlendorf mit der Seriennummer 116-010514 zu erkennen. Doch kann man wirklich rekonstruieren, wer sie ihm abgenommen hat? War es "Max", der Rechtshänder oder "Gerry", der Linkshänder?

Der abschließende Ermittlungsbericht des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg vom 29.04.2010 besagt: Beide beschmierten sich bei der Tat mit Blut. Nur so sei es ihnen gelungen, die beiden Dienstpistolen an sich zu nehmen, denn die Waffen steckten in Holstern, die mit Sicherungsbügeln versehen waren. Es wird davon ausgegangen, dass B auf Ahlendorf geschossen hat, denn dessen Polizei-Waffe wurde mit großer Gewalt samt einer massiven Befestigungsschraube aus dem Lederholster gerissen. Bei  Kiesewetter ergaben die Untersuchungen, dass deren Oberkörper an der Schulter- und Halspartie gepackt und so lange hin und her gezogen wurde, bis die Waffe mühelos aus dem Holster genommen werden konnte. Dies deutet nach Feststellungen von Profilern auf M als Täter hin. Dies hat sich inzwischen insoweit bestätigt, denn an einer, in der Zwickauer Wohnung in der Frühlingsstraße gefundenen, Joggingshose von M konnte, selbst fünf Jahre nach dem Mord an Michelé Kiesewetter, tatsächlich deren DNA gesichert werden.

Wieder zurück im Wohnmobil mit dem Kennzeichen "C - PW 87" fahren BM nach Norden, geraten jedoch schnell in die sofort angelaufene Ringfahndung der Heilbronner Polizei und werden um 14 Uhr 37 kontrolliert.

Dort sagen sie auf die Frage, wohin sie wollen, dass sie nach Heilbronn-Stadtmitte fahren würden, was sie anschließend auch tun, denn die beiden Mörder erregen offensichtlich keinen Verdacht und dürfen weiterfahren; lediglich das Kennzeichen des Wohnmobils wird registriert. Vor Ringfahndungen nehmen sich BM allererdings zukünftig in Acht. Denn durch die Ringfahndung hätten die Ermittlungsbehörden dem "NSU" schon 2007 auf die Spur kommen können - die Gründe hierfür sind folgende:

In Heilbronn Stadtmitte packen BM an diesem 25.04.2007 ihre eigenen Waffen sowie die erbeuteten Pistolen und weitere Gegenstände in ihre Reisetaschen, dazu noch die mit Blut beschmutzte Kleidung. Sie fahren zum Heilbronner Hauptbahnhof und stellen dort das Wohnmobil ab. Alle gemieteten Fahrzeuge der letzten Jahre wurden bei ein und derselben Autovermietung in Chemnitz bestellt, abgeholt und wieder zurück gebracht. Dieses Mal ruft B jedoch in Chemnitz an und erklärt der Autovermietung, dass man das Fahrzeug wegen eines Krankheitsfalls nicht zurückbringen könne. Der Autovermieter muss daraufhin persönlich nach Heilbronn fahren und dann sein Fahrzeug nach Chemnitz überführen. Dies verärgert in so sehr, dass er danach nie wieder ein Fahrzeug an BMZ vermietet. Hätten die Ermittlungsbehörden aber seinerzeit das Kennzeichen des in der Ringfahndung kontollierten Wohnmobils überprüft, währen sie auf die ungewöhnliche Rückführung des Fahrzeugs gestoßen, zudem auf eine Handynummer, die der falsche "Gerry" am 16.04.2007 in Chemnitz bei der Autovermietung angegeben hatte: 0160 98474372.

Weiter wäre das LKA dann auf HG als Anmieter des Wohnmobils gestoßen und man hätte herausfinden können, dass dieser in Hannover einer geregelten Arbeit nachgegangen war, während in Chemnitz auf seinen Namen das Wohnmobil angemietet wurde. Auch am Tattag war HG in Hannover und nicht in Heilbronn gewesen. Fingerabdrücke im Wohnmobil (vielleicht sogar DNA des Blutes der Polizisten) hätten die Ermittler schon damals auf die Spur vom BMZ führen können; während der ganzen Jahre im Untergrund waren die Voraussetzungen für eine Festnahme des "NSU"-Trios selten so gut gewesen wie im Jahre 2007.

So leben BMZ Trio auch weiterhin relativ unauffällig in der Ploenzstraße in Zwickau. Die Nachbarin aus der Wohnung, in die eingebrochen worden war, gab vor den Ermittlungsbeamten des BKA an, sie könne sich daran erinnern, dass Z wegen des Wasserschadens die Miete gemindert habe, wie das jeder ordentliche Mieter auch getan hätte. Überhaupt war Z während der Zeit in der Polenzstraße eine zuverlässige Nachbarin, die immer pünktlich die Miete zahlte und das Treppenhaus ordentlich wischte, wenn sie an der Reihe war.

Ab dem 07.07.07 machen BMZ mehrere Wochen Urlaub an der Ostsee auf der Insel Fehmarn. Ein Luftbild des Campingplatzes "Wulfener Hals" zeigt einen Wohnwagen auf Mietwohnwagenplatz 80 am "Hafenweg", von dem man heute weiß, dass er (zugleich mit dem Ende der Mordserie) fortan Jahr für Jahr der Stammplatz der drei Mitglieder der Terrorzelle "NSU" war.

Und der Urlaub tut den drei Terroristen offensichtlich gut: Angekommen sind sie mit einem vollgepackten blauen VW-Bus, mit ihren teuren Mountainbikes machen sie ausgedehnte Radtouren, "Gerry" fährt gerne Schlauchboot, "Max" belegt auf dem Campingplatz einen Surfkurs und wird schnell zu einem geübten Windsurfer, der mit dem Brett oder einem gemieteten Katamaran stundenlang auf der Ostseee hin und her fährt.

Z dagegen spielt mit den Kindern der Camperfreunde Federball oder Gesellschaftsspiele, geht mit ihnen schwimmen. Am liebsten habe Liese aber von Lilli und Heidi berichtet, ihren Katzen, und was die so alles anstellen würden. Die eine schwarzweiß gefleckt, die andere grau getigert. In den Ferien passe "ihre Freundin Susann" auf die Tiere auf, hätte Z gesagt. Sie berichtet begeistert von der Dauergartenschau "Blühendes Barock" in Ludwigsburg, die sie vor kurzem besucht habe. Ludwigsburg liegt weniger als 40 Kilometer von Heilbronn entfernt, der Mord an Michéle Kiesewetter ist gerade einmal 80 Tage her.

Der Campingplatz auf Fehmarn liegt an einer Bucht im Südosten der Insel. Z mietet einen Wohnwagen der Marke Hobby, zahlt wie immer in bar. Mit den Campingplatznachbarn freunden die drei sich schnell an. Und sie erzählen sogar Fast-Wahrheiten, wenn es darum geht, was sie denn außerhalb des Urlaubs so machen, zuhause, in Zwickau.

M erzählt zum Beispiel wahrheitsgeäß, sein Vater sei Professor. Und sein Beruf? Er arbeite in einem Computerladen, schwindelt er. B behauptete, so die Aussagen von Fehmarn-Campern gegenüber dem BKA, er liefere Pakete für die Firma seines Vaters aus und bekomme "leider" nur einmal im Jahr Urlaub, weshalb sie immer mehrere Wochen am Stück unterwegs seien. Z sei da eher verschlossener gewesen, heißt es, habe nur wenig von sich erzählt.Dafür habe Z die Reisekasse verwaltet, so steht es ind er Anklageschrift gegen Z. Stets sei ihre Geldbörse "prall gefüllt gewesen", sagten BMZs Campingfreunde aus, immer bezahlt Z in bar. "Ich kann das nicht ab mit den Geldautomaten", habe sie zur Erklärung gesagt.

In der Tat ist die Verwaltung des Geldes eine Aufgabe, die Z (auch unabhängig vom Campingplatz) akribisch erfüllt: sie teilt es ein, hebt Quittungen auf, sorgt dafür, dass das Trio nicht zu verschwenderisch lebt, das erbeutete Geld möglichst lange hält.

Weiter gaben die Sommer-Freunde von BMZ zu Protokoll: Von dem Trio war M alias "Max" der sympathischste gewesen. Ein umgänglicher, offener Typ, intelligent, Waschbrettbauch, fast schon ein Extremsportler, der surft, joggt und gut mit Computern aus und habe sofort geholfen, als ein Camping-Freund ein Problem mit seinem E-Mail-Postfach hatte. M habe seriös gewirkt  und sei immer gut gelaunt gewesen, erinnert sich eine Camping-Nachbarin später. "Gerry" sei dagegen ein eher verschlossener Typ gewesen, habe sich manchmal merkwürdig benommen. Mit seinem Nachtsichtgerät sei er oft unterwegs gewesen, aufgefallen sei B auch wegen des Totenkopfs mit Stahlhelm, der er sich auf die Schulter hatte  tätowieren lassen. Aufgefallen sei im Nachinein auch, dass Liese, wenn sie gelegentlich Spielenachmittage im Vorzelt veranstaltete, den Nachbarskindern verbot, in das Wohnmobil oder den Wohnwagen hineinzugehen.

Zurück in Zwickau wird dem "NSU" im Herbst 2007 die Wohnung zu eng und zu unsicher. Zwar verbringen B und M hre Tage wieder hauptsächlich vor dem Computer mit Ballerspielen. Aber dabei stellen sie den Ton so laut, dass sich eine Nachbarin durch "das dauernde Rumsen" gestört fühlt, wie sie später den Vernehmungsbeamten erzählt. Auch da habe Z Abhilfe geschafft, allerding auf äußerst unkonventionelle Art. Statt zukünftig den Ton leiser zu drehen, hätten BMZ für 2.000 Euro in einem Baumarkt Dämmwolle gekauft, wie Liese erzählt habe "...und danach haben wir nichts mehr gehört", sagte die Nachbarin aus.

Die gleiche Nachbarin, die sich über den Lärm aus der Erdgeschosswohnung beschwert hatte, wird wenig später zufällig Zeugin eines Gesprächs zwischen B und M. Während die beiden ihre Fahrräder aus dem Keller geholt hätten, solll "Gerry" zu "Max" gesagt haben: "Mit der kannste aber nicht auf Leute schießen". Die Nachbarin fragte Z daraufhin, ob die Männer Waffen in der Wohnung hätten. Z habe dies bejaht, aber noch einmal die Geschichte vom Schützenverein erzählt und gesagt, B und M hätten eine Erlaubnis dafür, die Waffen in der Wohnung zu lagern. Nun wird die Sache für BMZ wirklich gefährlich, denn offensichtlich machen sich die Nachbarn so ihre Gedanken über das Trio. Zudem ist diese protokollierte Äußerung von Z einer der Kernpunkte der Anklage des Generalbundesanwalts: Z wusste also um die Waffen in der Wohnung, redete darüber sogar mit Nachbarn, um den Waffenbesitz zu decken..

Auf der Suche nach einem neuen "Hauptquartier" werden BMZ im Januar 2008 - nach zehn Jahren eines Lebens im Untergrund - in der Zwickauer Frühlingsstraße fündig. Die Frühlingsstraße liegt in Weißenbron, einem ruhigeren Viertel mit Einfamilienhäusern. Im größten Gebäude der Gegend, dem ehemaligen Siedlerheim mit der Hausnummer 26, stehen in der ersten Etage zwei Apartments leer.

Das Trio mietet beide Wohnungen mit zusammen 120 Quadratmetern und erneut ist es MD, der den Mietvertrag unterzeichnet. Aber BMZ ziehen nicht sofort ein. Z (alias "Susann Dienelt") und M fragen den Vermieter, ob es möglich sei, beide Wohnungen zusammenzulegen; man übernehme sämtliche Kosten hierfür. Der Vermieter stimmt zu.

* = Name geändert!


[Der Abschluss unserer Serie folgt in Teil 6 von "INSIDE NSU" am 20. August 2012 hier im "Lichtstadt.Netz"]

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