Mittwoch, 14. November 2012

"Theater in Bewegung 2012 in Jena": Das Gesamtprogramm in der Übersicht!

(lsn / jenakultur) - "Körper lügen nicht." Mit diesem Satz startet Atonin Artaud in eines seiner weltberühmten Theatermanifeste. Und in der Tat: Wir Menschen sind merkwürdige Wesen. Wir können uns viel erzählen; wir können Worte und Bilder machen und doch sind wir selten ehrlich zueinander. An unseren Körpern kommen wir nicht vorbei: Unsere Körper pulsieren, seufzen, atmen, schwitzen. Sie verraten uns und unsere eigentlichen Intentionen, ständig und überall. Voilà: unsere Faszination für Körper in Bewegung, für Bewegung auf der Bühne, für zeitgenössisches Tanztheater!

Die Grundidee des Festivals ist es, brisante Themen unserer Zeit aufzugreifen und ungewöhnliche Formen von Tanztheater zu zeigen. Unter dieser Zielstellung werden biennal sowohl Gastspiele eingeladen, als auch Eigenproduktionen in Auftrag gegeben: Auf diese Weise brachte „Theater in Bewegung“ eine Reihe bekannter Namen wie Susanne Linke, Ismael Ivo, Joachim Schlömer, aber auch jüngere Choreographen wie Samir Akika oder Jochen Roller auf die Bühne des Theaterhauses.

Neu sind die Wege, die wir in diesem Jahr in Richtung Tanzpädagogik gehen: Im Rahmen des Projekts DANZCHURAL bringen wir Jenaplan-Schüler mit französischen Tänzern zusammen. Gemeinsam mit der Stadt Aubervilliers, dem französischen Kulturbüro Thüringen und dem Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“ laden wir die französische
Tanzkompagnie Ensemble A. nach Jena ein. Die Ergebnisse der gemeinsamen Work-Shop-Arbeit werden schließlich im Volksbad aufgeführt.

Das Herzstück des Festivals ist und bleibt die Durchführung nationaler und internationaler Tanzgastspiele. 2012 knüpfen wir in der 7. Auflage an diese immer noch junge Tradition an: Wieder bemühen wir uns um eine Balance zwischen renommierten und nachwachsenden Choreographen und Tänzern.

Das Programm am 15./16. November 2012 // Jo Fabian // PI morphosen PI, seit der Antike ein Faszinosum, ist eine reelle wie auch transzendente Zahl, ein Näherungswert, der überall vorkommende Kreisformen berechenbar macht, aber dennoch mathematisch nie ganz exakt ist, da sich die Näherung ins Unendliche bewegt. Kreiert in einer von PI strukturierten Inszenierung, ermöglicht diese es Jo Fabian, die zukünftige Mensch-Maschine-Einheit, die sowohl in der Lage sein wird, Emotionen als auch Daten zu verwerten, in kybernetische Systeme umzuwandeln. Durch die Überlagerung mit Feedbacks der Tänzer, entsteht ein sich selbst generierender Automat. Aus Mathematik entsteht Leben. Verlinkt mit Tanz, Raum, Musik und Licht, werden Strukturen sichtbar. PI, ist unendlich, geheimnisvoll, unberechenbar und doch eine universelle Konstante. Fazit: PI ist weiblich. Wer kann sich diesem schönen Gedanken verschließen? Mit „PI morphosen“, einer Komposition mit 10 Tänzerinnen und 3 Musikern, setzt Jo Fabian in der freien Tanzszene ein Zeichen gegen die Tendenz zum Duo/Solo aufgrund zunehmend knapper werdender Mittel. „Dieser Zauberer des deutschen Tanzes, der keiner Clique angehört und stolz genug ist, sich keiner zugehörig zu fühlen, begeistert durch das Lob der Strenge. So ein Solitär wie Fabian ist der beste Beweis, Kunst nicht dauernd mit dem gerade Angesagten verwechseln zu müssen.“ (Kultiversum)


Das Programm am 17. November 2012 // Maura Morales // Ella „Richte nicht über einen Menschen, solange du nicht zwei Monde lang in seinen Schuhen gelaufen bist.“ (Indianisches Sprichwort) In „Ella“ bittet die Tänzerin das Publikum, die Schuhe auszuziehen und auf die Bühne zu bringen. Im Verlauf des Stückes schlüpft sie in die verschiedensten Schuhe und nimmt so die Persönlichkeit der Besitzer an, tanzt die Geschichte, die ihr die jeweiligen Schuhe erzählen. Mal bleibt der Kontakt zum Besitzer unausweichlich, mal bleiben sie einfach stumm. Mal rebellieren sie, mal ergeben sie sich ganz ihrem Schicksal. Durch das fremde Schuhwerk kann die Tänzerin die Geschichten fühlen, die sie selbst nie leben durfte. Sie werden zu den Protagonisten des Abends und am Ende betrachtet man den immer für selbstverständlich gehaltenen Gebrauchsgegenstand Schuh mit anderen Augen. Maura Morales präsentiert mit „Ella“ ein intensives Bühnenerlebnis, welches, gewürzt mit ihrem unverwechselbaren Bewegungsvokabular und ihrem entwaffnenden Charme, dem Publikum im wahrsten Sinne des Wortes „die Schuhe auszieht“. Beim Festival 638 Kilo Tanz wurde Maura Morales für ihre Choreographie „Ella“ mit dem Publikumspreis 2011 ausgezeichnet.

Das Programm am 18./20./22. November 2012 // Kino im Schillerhof: Pina Tanz, Tanz und nochmal Tanz – so lautet das scheinbar simple Konzept hinter Wim Wenders bahnbrechender Dokumentation. Tatsächlich ist an diesem Film überhaupt nichts einfach. Noch vor Beginn der Dreharbeiten verstarb Tanzikone Pina Bausch. Sie sollte ursprünglich Dreh- und Angelpunkt der Produktion sein. Kurzerhand wurde das Konzept geändert – aus einem Film über Pina Bausch wurde ein Film für Pina Bausch. Gemeinsam mit dem Tanztheater Wuppertal, Bauschs zentraler Wirkungsstätte, entstand so eine Hommage nicht nur an die große Tänzerin und Choreographin, sondern auch an das Tanzen an sich. Live und mit Publikum wurden die Inszenierungen „Le Sacre du Printemps“, „Vollmond“ und „Café Müller“ auf der Wuppertaler Bühne mitgefilmt. Als kleine Zwischenspiele kommen immer wieder Mitglieder des Ensembles zu Wort und präsentieren ihre Fertigkeiten mit furiosen Tanzeinlagen, die uns Zuschauer mitnehmen an die verschiedensten Schauplätze in und um Wuppertal. Die Wucht dieser Bilder ist überwältigend, beinah grenzen sie an Perfektion.

Das Programm am 19. November 2012 // MOUVOIR Stephanie Thiersch // Under green Ground (Version 2010) Die Welt als Bild und Vorstellung: Im Medienzeitalter gibt es kein unvermitteltes Ich. Vorbilder bestimmen unsere Identität und unser Denken. Und doch schafft die Vielfalt der möglichen Rollen auch eine neue, spezielle Art von Freiheit. Die Kölner Choreographin und Medienkünstlerin Stephanie Thiersch erkundet mit der choreographischen Partnerin und Tänzerin Alexandra Naudet das komplizierte Zusammenspiel von Idee und Fleisch, von Bildergedächtnis und weiblichem Körper. Eine Versuchsanordnung, für die sie atemberaubende, sehr konkrete optische Umsetzungen findet. Rätselhaft, leicht morbide und aufreizend wie ein Film von David Lynch. Gleichgültig ob Alexandra Naudet als Botticellis Venus, als nackte Dame in Manets „Frühstück im Freien” oder als Porno-Queen agiert – ihre phantastische Präsenz und Ausstrahlung verleihen dem subversiven Spiel mit der Identität ebensoviel Tiefgang wie Bodenhaftung. „Under green Ground“ steht für eine veränderte Körperlichkeit: wir sehen Bewegungen, die sich in den Körper seiner Protagonistin eingeschrieben haben. Unverändert jedoch ist die Kompromisslosigkeit mit der Alexandra Naudet sich präsentiert, preisgibt und ein Stück von sich selbst verschenkt. “Ein grandioses Tanzsolo, dessen erotische, brutale Schönheit man nicht so leicht wieder aus dem Kopf kriegt.” (Nicole Strecker, Kölner Stadtanzeiger, März 2010)

Das Programm am 21. November 2012 // Helena Waldmann // revolver besorgen In ihrer Produktion „revolver besorgen“ erkundet Helena Waldmann das Vergessen als eine positiv befreiende Fähigkeit des menschlichen Gehirns und wittert ein darin liegendes mögliches Glück. Mit der grandiosen Tänzerin Brit Rodemund ist ein groteskes und humorvolles Tanzstück gelungen, „das über Zwänge und die Verlockungen eines Ausbruchs daraus nachdenkt und nimmt das Ballett als Symbol für die Dressurleistung, die das Leben uns abverlangt. Brit Rodemund wird im Verlauf der 60 Minuten zu ihrem eigenen Zwilling, klassische Ballerina mit umwerfender Präsenz, dann Suchende, der alles, sogar der eigene Körper oder eine Plastiktüte, ein Wunder ist. Sie zeigt beeindruckend den Balanceakt zwischen gierig gemachten Entdeckungen und irren Abgründen. Selbst in erschütternden Momenten wahrt sie ihrer Figur die Würde, die ein Mensch zum Menschsein braucht.“ (Andrea Kachelrieß, Stuttgarter Nachrichten) Auch wenn sie weiß, dass ein Revolver den Abschied der Welt, die sie nicht mehr versteht, ermöglichen kann, lacht sie. Über das Befreiende, das im Vergessen steckt. Ist man denn wirklich für die Welt verloren, wenn sich die Erinnerung nicht den Ansprüchen der Welt fügt?

Das Programm am 23./24. November 2012 // Helsinki Dance Company // YOUMAKEME Kenneth Kvarnström beherrschte mit seinen energetischen, hoch ästhetischen Choreographien mehr als ein Jahrzehnt die nordische Tanzszene. Mit „YOUMAKEME“ macht er diesem Ruf alle Ehre. Was das Publikum mit den drei Folgen „a better person“, „happy“ und „a monster“ erlebt, ist vor allem eines: brillanter Tanz, kraftvoll, poetisch und mit hohem Bewegungsgrad und viel schwarzem Humor. Herrlich skurril zeigen die Tänzer verschiedene Varianten von Nina Simones „Feeling Good“, performen und singen gar selbst, mal klassisch, mal drastisch, aber immer echt. Bei „a monster“ begegnet einem schließlich die Company mit schwarz umrandeten Augen und glänzenden Federkostümen. Von Todessehnsucht hallt es aus der Musikkollage, während die Tänzer das Publikum in eine mystisch magische Welt entführen. You make me – du machst mich: zu einem besseren Menschen, glücklich, zum Monster. Wir reflektieren andere Menschen wie Spiegel. Wir suchen Anerkennung und Zustimmung von anderen. Wir erfinden uns manchmal neu, geben uns selbst eine andere Gestalt, eine andere Form, glücklich und erfolgreich. - Hinweis: Die erste Vorstellung der HDC am 23. November 2012 ist bereits ausverkauft!

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