Donnerstag, 30. Mai 2013

"Ein König vor Gericht (Teil 9)": Der fünfte Prozesstag in der Übersicht - Anklage gegen Lothar König bricht in sich zusammen


(lsn / junge gemeinde stadtmitte) - Jugendpfarrer Lothar König steht in Dresden vor Gericht, Hintergrund sind Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen Neonazis am 19. Februar 2011 in der Elbestadt. Gestern war der fünfte Verhandlungstag und der brachte erneut die Anklage zum Wanken. Um nicht zu sagen: sie bricht inzwischen in sich zusammen.

Kurz vor 10 Uhr wird der ersten Zeuge des Tages vernommen. Es ist ein Polizeiobermeister von der Bundespolizei in Pirna. Er war am 19. Februar 2011 mit auf der Nossener Brücke und befand sich in der Gruppe der neun Polizeiahrzeuge, um die es bereits am viertes Prozesstag ging. Auch er erzählte von permanenten Stein- und Flaschenwürfen während des Wendevorgangs seines Konvois.

Er erzählt zudem auf auffällige Weise die gleiche Geschichte wie seine Kollegen bei der Verhandlung am 28. Mai 2013. Es geht vor allem um die vorgeworfene Nötigung durch Lothar König als Fahrer des Lautsprecherwagens, das angebliche Schneiden eines Polizeifahrzeuges. Königs Verteidiger Eisenberg erwähnt, dass im Laufe des vierten Prozesstages solche Aussagen bereits durch Videoaufnahmen widerlegt werden konnten. Eisenberg befragt den Zeugen: "Sie sprachen von einem Mob. Was ist das?". Der Zeuge antwortet, dass die eine große Ansammlung von Personen sei, von denen vielleicht auch Straftaten ausgehen. Eisenberg wirft ein, weshalb der Zeuge eine Personengruppe, die ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ausübe, als Mob bezeichnen kann, wenn diese nach gar nicht "Böses" getan habe.

Dann interessiert sich RA Eisenberg dafür, ob der Zeuge "eventuell im Nachgang zu den Vorfällen am 19. Februar 2011 eine Schadensangabe" gemacht habe, weil die Scheibe seines Polizeifahrzeuges beschädigt worden sei. Dies bejahte der POM. Eine solche müsste doch, sagte der Verteidiger nun zur Staatsanwältin, Bestandteil der Verfahrensakte sein. Der Zeuge meldete sich daraufhin zu Wort und erklärte, er habe eine Kopie mit dabei. Nach Prüfung des Schriftstücks bestätigt der Richter: Das neue Vernehmungsprotokoll des Zeugen befindet sich nicht in der Hauptakte, die der Verteidigung zur Verfügung steht! Da dies der inzwischen vierte Fall ist, bei dem die Staatsanwaltschaft wichtige Dokumente nicht zur Akte gegeben hat.

Eisenberg ruft der Staatsanwältin daraufhin zu, diese sei wohl nicht einmal in der Lage, richtig Akten zu führen. Daraufhin flaxt die Staatsanwaältig, und lacht laut. worauf Lothar König erregt aufspringt und die Staatsanwältin anbrüllt: "Für mich stehen vier Jahre auf dem Spiel und meine Berufskarriere! Und Sie lachen!" - das Grinsen auf Staatsanwältin Schmerler-Kreuzers Gesicht erstarrt. Königs Verteidiger Johannes Eisenberg und Lea Voigt (oben auf dem Foto mit König) werfen ihr daraufhin vor, "systematisch Ermittlungsergebnisse aus den Akten gelassen zu haben". Der Richter unterbricht anschließend die Verhandlung für eine kurze Pause.

Nun kommt Lea Voigts großer Moment: "Der Verdacht einer Straftat rückt in so weite Ferne, dass man nicht mal mehr von einem Anfangsverdacht reden kann", bringt sie es auf den Punkt und fragt bei der Staatsanwältin nach, ob weitere Dokumente in der Hauptakte fehlen. Schmerler-Kreuzer entgegnet, dass sie sich dazu "jetzt nicht äußern möchte", worüber sich neben Eisenberg und Voigt vor allem die im Saal anwesenden Zuhörer erregen; Lother König bleibt derweil wortlos sitzen, schüttelt nur mit dem Kopf.

Nun übernimmt wieder Eisenberg die Regie und liest Passagen aus dem, vom Zeugen übergebenen, Schriftstück vor. Darin schildert der, immer noch auf dem Zeugenstuhl befindliche, Polizeiobermeister, wie er den Lautsprecherwagen Königs bremsen sah. Wie man gezielt Polizeifahrzeuge abdrängen wolle (so jedenfalls der Anklagepunkt mit der Tatziffer 3.2.), wenn man bremst und sie vorbeifahren lässt, fragt RA Eisenberg die Staatsanwaltschaft. Auch im Gerichtssaal A 2.133 sieht man ratlose Gesichter.

Anschließend begründet Königs Verteidiger noch einmal, dass es einen hinreichenden Verdacht gibt, dass hier gezielt Schriftstücke den Akten vorenthalten worden sind, Schriftstücke, die allesamt Lothar König entlasten. Der Zeuge wird daraufhin entlassen und der Richter unterbricht den Prozess erneut. Kurz vor 12 Uhr 30 wird der nächste Zeuge gehört. Es ist ein Polizeihauptmeister, der zur Situation auf der Nossener Brücke aussagen soll. Er berichtet von Angriffen auf die Polizei. Dabei sei ihm auch der blaue Lautsprecherwagen aufgefallen, allerdings könne er sich an keine Musik oder Durchsagen erinnern, sagt er.

Ob auch er eine dienstliche Erklärung zu dem Vorfall und den Schäden am Fahrzeug angefertigt habe, fragt ihn RA Eisenberg und legt nach, bevor der Zeuge antworten kann. Ob dies ebenfalls, wie bei anderen Kollegen, erst zwei Monate nach dem 19. Februar 2011 gewesen sei, fragt er ihn und fügt an, wenn ja, möchte er gerne wissen, wer ihn veranlasst habe, diese Erklärung im April 2011 abzugeben.

Ja, sagt der Zeuge, er habe eine solche Meldung im April 2011 gefertigt. Zum Punkt, ob und ggf. wer ihn dazu veranlasst habe, weicht der Zeuge aus. Nach mehrmaligen Nachfragen nennt er dann doch einen Namen: Der Hundertschaftsführer, welcher am vierten Verhandlungstag bereits auf dem Zeugenstuhl saß, hätte ihm um die Abgabe der Erklärung gebeten, sagt er. Der Zeuge beschreibt anschließend die Situation auf der Nossener Brücke. Aus seiner Sicht habe sich eine "riesige Masse" offensichtlich organisierter und gewaltbereiter Personen auf der Straße befunden. Wie "riesig" die Masse gewesen sei, will Eisenberg wissen. Auf rund 1000 Menschen schätzt sie der Zeuge und berichtet weiter, dass diese Menschen sich als "koordinierte Einheit" verhalten und sie seien auf allen Straßenspuren gelaufen. Dann wird der Prozess für eine Mittagspause unterbrochen.

Um 13 Uhr 30 wird der Zeuge mit den Videos konfrontiert, die bereits einen Tag zuvor den anderen Zeugen vorgeführt worden waren. Die "riesige Masse" von Menschen, die vom "Lauti" geführt worden sein soll kann man in beiden Videos nicht erkennen. Auch der Zeuge muss zugeben, dass die die von ihm beschriebene Menschenmasse auf dem Video nicht erkennen kann, meint aber das diese sich "wohl 250 Meter hinter dem Lautsprecherwagen" bewegen müsste. Ein weiteres Video wird vorgeführt: es handelt sich um einen Youtube-Clip vom Geschehen. Dieser Clip zeigt den Bereich hinter dem "Lauti", aber keine große gewaltbereite Menschenmasse, was sich der Zeuge jedoch nicht erklären kann. "Ich weiß nicht, warum davon nichts im Video zu sehen ist", sagt er. Dann wird er aus der Befragung entlassen.

Zeuge drei des fünften Verhandlungstages tritt nun in den Zeugenstand. Zu erwähnen ist, dass all diese Zeugen von der Staatsanwaltschaft Dresden vorgelagen worden sind, um den Tatvorwurf gegen Jugendpfarrer Lother König zu beweisen. Der Zeuge ist Polizist der 2. Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit der Bundespolizeiabteilung in Sachsen und war ebenfalls am 19. Februar 2011 auf der Nossener Brücke in Dresden. Der Zeuge gibt an, dass er aus den Lautsprechern keine Musik hören konnte, dafür aber Worte. Er habe das Wort "Stein" oder "Steine" gehört, aber mehr habe er nicht verstehen können, sagt er. Nach der Aussage seien Steine oder andere Gegenstände auf die Polizeiautos geworfen worden, daher interpretiere er die Worte als Aufruf.

RA Eisenberg beginnt seine Befragung. Ja, auch er habe nach dem Vorfall am 19. Februar 2011 eine dienstliche Erklärung angefertigt, sagt der Zeuge, und, ja, dies sei im April 2011 gewesen. Der Verteidiger Königs befragt den Zeugen anschließend wegen der mehrere A4-Seiten langen Erklärung und legt ihm dienstliche Erklärungen anderer Zeugen vor, die zu großen Teilen wortidentisch sind, vor allem in Bezug auf die angeblichen Nötigung, die von Lothar Königs Lautsprecherwagen ausging.

Eisenberg fragt, ob er abgeschrieben habe oder in einem Textverarbeitungsprogramm eine Art von Maske zum Einsatz kam, was der Zeuge verneint. Auf die nochmalige Frage, ob er abgeschrieben habe, verneint er das ein weiteres Mal. Die Verteidiger Königs merken an, dass es äußerst seltsam sei, dass hier Kollegen für die gleichen Empfindungen über mehrere Passagen auf mehreren A4-Seiten eine identische Wortwahl benutzen. Zum ersten Mal in diesem Prozess macht sich der Richten Ausführungen der Verteidiger Königs zu eigen, hakt jetzt ein und rät dem Zeugen, dass er das doch auch hier sagen könne, wenn er augenscheinlich abgeschrieben habe. Es sei nicht schlimm, aber er müsse das sagen, weil er zur Wahrheit verpflichtet sei. Der Zeuge versucht weiter auszuweichen und erklärt sinngemäß, dass die Rahmenbedingungen dort ja die gleichen waren, deswegen die Dopplungen ja nicht ungewöhnlich seien. Der Zeuge gesteht aber keine Absprache und wird unvereidigt entlassen.

Dafür ruft der Richter den vierten und letzten Zeugen des Tages auf. Dieser ist Einsatzführer der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der 1. Bereitschaftspolizeiabteilung Dresden. Vom Lautsprecherwagen ausgehend will er verschiedene Durchsagen vernommen haben, eine davon: "Warum lauft ihr weg, dass sind doch nur 8 Bullen". Wer diese Durchsage gemacht habe, könne er nicht sagen. Seine Ausführungen sind aber auch zur Tatziffer 5 relevant, dem Vorwurf der Strafvereitelung. Ein vermeintlicher Steinewerfer sei von außen auf den "Lauti" gesprungen sund sei mitgefahren, obwohl ihn die Polizei verfolgt habe. Lothar König habe dies bemerkt und sei trotzdem weitergefahren, heißt es in der Anklageschrift, "wissend, das er ihm [dem Werfer] dadurch zur Flucht verhelfen kann".

Der Zeuge bestätigt im Wesentlichen der Vorgang. Verteidiger Eisenberg stellt den Antrag zur Einreichung eines neuen Beweismittels: Es ist ein Video das den Zugriff auf den Mann am "Lauti" zeigen soll. Der Staatsanwaltschaft ist ein solches Video nicht bekannt; sie stimmt aber zu, dass er gesichtet wird. Der Richter unterbricht die Sitzung um 16 Uhr 40.

Gegen 17 Uhr 10 kommt das Video zur Vorführung. Auf ihm ist zu sehen, wie sich der Lautsprecherwagen langsam in Richtung Nossener Brücke bewegt. Aus Richtung Nürnberger Ei rennt eine Gruppe von mehreren Polizisten auf den Wagen zu. Auf Höhe des "Lauti" prügeln diese mit Schlagstöcken auf die verfolgte Person ein, die außen am Fahrzeug hängt und sich festhält. Mehrfach schlagen die Polizisten im Abstand von ca. einem halben Meter mit ihren Schlagstöcken auf den Kopf der Person ein, bis diese ihren Halt am Wagen verliert, von den Beamten heruntergerissen wird und vom Auto fällt- Am Boden liegend wird sie sogleich von weiteren anrückenden Polizisten umringt wird. Eine "riesige" Menschenmenge um den Lautsprecherwagen herum ist nicht zu sehen.

Verteidiger Eisenberg geht gar nicht auf den Vorwurf gegen seinen MAndantenein sondern befragt den Zeugen, ob man hier möglicherweise auch eine Straftat im Amt, begangen von ihm und seinen Kollegen, gesehen habe. Der Zeuge (er ist Gruppenführer der Schlagstock-Polizisten gewesen, lacht. Der Richter lässt die Frage nicht zu. RA Eisenberg fragtr weiter, will u.a. wissen, wo der Zeuge die gewalttätige Menschenmenge gesehen haben will, die auf dem Video nicht zu sehen ist, der Zeuge antwortet, Eisenberg fragt weiter nach und der Zeuge fährt den Verteidiger mit den Worten "Jetzt seien sie mal ruhig!" an. Der Zeuge wird korz vor 17 Uhr 30 aus der Befragung entlassen, die Verhandlung am fünften verhandlungstag kurz danach beendet.

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