Dienstag, 11. Juni 2013

"NSU" - Der Prozess # 10: Der 8. Verhandlungstag - "Ich mache heute reinen Tisch" - Angeklagter Carsten Sch*ltz* sagte umfassend aus und erwähnte einem bislang unbekannten Bombenanschlag in Nürnberg



(tim schwarz) - Heute, am achten Prozesstag in München, wird voraussichtlich die Vernehmung des Mitangeklagten Carsten Sch*ltz* fortgesetzt, da dessen Befragung in der vergangenen Woche auf Wunsch seines Verteidigers unterbrochen worden war.

Auf Antrag des OLG München soll heute der für ihn zuständige psychiatrische Gutachter bei der Vernehmung im Gerichtssaal mit anwesend sein. Sch*ltz* ist inzwischen im Zeugenschutzprogramm des BKA und darf deshalb nicht fotografiert werden; nur zur Vernehmung vor Gericht nimmt er die Kapuze von seinem Kopf. Der 33-Jährige hatte bereits in der vergangenen Woche umfangreich ausgesagt und gestanden, im Auftrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben dem "NSU"-Trio eine Pistole mit Schalldämpfer gekauft zu haben.

Doch zuerst will der Vorsitzende Richter Götzl den Zeugen vom letzten verhandlungstag, Holger Gerlach, weiterbefragen. Doch dessen Anwalt teilt mit, dass Gerlach auch an diesem Tag keine weiteren Fragen zu seiner eigenen Person und zu den Vorwürfen beantworten will. Darauf wird Götzl leicht ungehalten und sagt zu Gerlach: "Ihre Einlassung hat schon etliche Fragen aufgeworfen, Herr Gerlach. Darauf weise ich sie hier schon mal hin!"

Nun meldet sich der Nebenkläger-Anwalt Thomas Bliwier zu Wort und stellt klar: "Herr Gerlach, das reicht nicht. Sie hätten eine große Chance, hier Aufklärung zu betreiben und Unrecht wieder gut zu machen." Doch Gerlach schweigt weiter. Dann ruft Götzl Carsten Sch*ltz* in den Zeugenstand. Der ist ganz offensichtlich beeindruckt von der Reaktion des Gerichts auf Gerlachs Aussageverweigerung.

Sch*ltz* antwortet Götzl auf dessen Frage, ob er weiter aussagen werde: "Herr Richter, ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich reinen Tisch machen möchte. Ich habe es, denke ich, überwunden, jedem gerecht werden zu wollen. Ich will sagen, wie es war. Ich habe keine andere Wahl, ich nehme keine Rücksicht mehr". - Wohlleben und Zschäpe sehen in diesem Moment auf, hatten die ganze Zeit vorher an ihren Laptops gelesen.

Nun befragt der Vorsitzende Richter den psychiatrischen Gutachter Norbert Leygraf, der extra nach München gekommen war, danach, wie er Sch*ltz* einschätzt: Kann an ihm Erwachsenenstrafrecht angewandt werden oder ist er nach Jugendstrafrecht zu beurteilen. Leygraf spricht sich dafür aus, dass bei dem Angeklagten noch das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen müsse. Sch*ltz* wirkt daraufhin erleichtert.

Der Angeklagte berichtet nun davon, dass Böhnhardt und Mundlos in seinen Gegenwart einmal "kryptisch" über einen Mordanschlag in Nürnberg gesprochen hätten. "Die Uwes sagten, dass sie eine Taschenlampe in einen Laden in Nürnberg gestellt haben", erklärt Sch*ltz* und redet dann stockend weiter. "Erst 2011 habe ich verstanden, was sie damit meinten." Anschließend bricht er in Tränen aus und bekommt einen Weinkrampf. Sch*ltz* weiter: Damals sei auch Beate Zschäpe dazugestoßen und "die beiden Uwes" hätten sofort gesagt, dass zu der Sache geschwiegen werden müsse. Zschäpe durfte nichts erfahren, sagt Sch*ltz* zu Richter Götzl.

Dann äußerte sich der Angeklagte zum ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Der sei zu Sch*ltz*s Zeit in Jena bei Schlägereien "der Brutalste" gewesen und einmal sei Wohlleben einem Opfer sogar ins Gesicht gesprungen, sagte der Angeklagte. Auch hätte Wohlleben einmal mit der Waffe, die der Angeklagte für die drei Untergetauchten besorgt hatte, auf ihn gezielt und dabei gelacht. Bei einer anderen Gelegenheit habe Wohlleben nach einem Telefongespräch mit Böhnhardt und Mundlos ebenfalls gelacht und nach dem Auflegen gesagt: "...die haben jemanden angeschossen. Und ich dachte: Hoffentlich nicht mit der Waffe, die ich besorgt hatte." - Nach dieser Aussage unterbrach Götzl die Verhandlung und verkündete die Mittagspause.

In der Pause beschrieb Nebenkläger-Rechtsanwalt Sebastian Scharmer die Aussage von Carsten Sch*ltz* gegenüber Pressevertretern als "außergewöhnlich". Sch*ltz* habe offenbar tatsächlich sein Gewissen erleichtert und "eine ganze Menge mehr" erzählt als bei seiner Vernehmung durch das Bundeskriminalamt. Das sogte derweil auch für eine Überraschung: Rund 500 Personen seien im Umfeld des "NSU" vom BKA überprüft worden, teilte heute die Bundesanwaltschaft mit. Den Prozessbeteiligten war bislang nur eine Liste mit 129 überprüften Personen bekannt gewesen.

Unmittelbar nach der Pause hakt Richter Götzl nach. "Was war das in Nürnberg, wovon Sie heute vormittag erzählt hatten?", fragt er und Carsten Sch*ltz* erzählt, dass das Gespäch 1999 gewesen sei und wohl einen bislang unbekannten versuchten Anschlag in Nürnberg betroffen habe. "Ich habe erst später erfasst, dass das wahrscheinlich was mit Sprengstoff zu tun hatte. Ich habe das aus der Bombenwerkstatt geschlossen," sagt Sch*ltz* zum vorsitzenden Richter.

Auf die Frage Götzls, warum er nicht schon früher über diesen Anschlag gesprochen habe, erwiderte ihm der Angeklagte, dass er Angst davor gehabt habe, seine Familie und Freunde zu enttäuschen, weil er "halt doch Sachen gewusst" habe. Aber warum habe er dann über die Beschaffung der späteren Mordwaffe bereitwillig Auskunft erteilt, nicht aber über die Nürnberg-Geschichte, will Götzl nun wissen. "Ich habe sie verschwiegen, weil ich sie weggeschoben habe", antwortete der Angeklagt ihm.

Götzl ist hartnäckig. Was er noch verdrängt habe, will er wissen. Sch*ltz* antwortet ihm daraufhin, dass er einmal Geld mit Banderolen von dem Terrortrio bekommen habe: "Da dachte ich mir schon, dass das wohl aus einem Banküberfall stammte", fügt er an. Es scheint ganz so, als habe die Erklärung von Gutachter Leygraf zum Jugendstrafrecht (und damit einer möglicherweise erheblich milderen Strafe am Ende des Prozesses als sie zuvor möglich war) den Druck von Carsten Sch*ltz* genommen und ihn beflügelt "reinen Tisch" zu machen. Der Angeklagte meint sogar, sich erinnern zu können, dass Böhnhardt und Mundlos ihm von einer Maschinenpistole erzählt hätten, die in ihrem Besitz gewesen sei: "Wir sind in das Café und saßen zu dritt, die zwei Uwes und ich, rechts gegenüber war der Uwe Böhnhardt und hatte mein Handy Siemens 25. Er machte einen Fingerabdruck drauf und sagte: 'Was meinst du, wie viel ist der wert?' Sie gaben mir zu verstehen und tippten auf den Rucksack, den sie dabei hatten: 'Wir sind immer bewaffnet.' Fand ich komisch. Denn ich hatte doch die Waffe besorgt. Ich ging nicht davon aus, dass die noch mehr Waffen hatten. Bin dann noch mal tief reingegangen in mich. Irgendwie hab ich eine Maschinenpistole im Kopf oder eine Uzi. Aber vielleicht kommt das aus meiner Phantasie. Ich weiß das nicht sicher."

Gegen 16 Uhr bitten die Anwälte des Angeklagten darum, die Vernehmung für heute abzubrechen. Sch*ltz*: "Das war ein Riesenschritt für mich. Ich bin jetzt aber kaputt." Allerdings besteht Richter Götzl darauf, dass es weitergeht, sagt zum Angeklagten er selbst sei ja auch noch konzentriert. Nun scheint Sch*ltz* wieder den Tränen nahe und entgegnet: "Das ist doch was anderes, verstehen Sie das nicht?" Götzl stimmt daraufhin einer kurzen Pause zu; danach soll entschieden werden, ob es bis 17 Uhr weitergeht. Um 16 Uhr 30 hat der Vorsitzende Richter Götzl jedoch ein Einsehen und vertagt das Gericht auf morgen 9 Uhr 30 Uhr. Dann soll es mit der Vernehmung von Carsten Sch*ltz* weitergehen.

Nachtrag: Wie die  Zeitung "Nürnberger Nachrichten" heute Abend berichtete, gab es tatsächlich im Jahre 1999 einen Vorfall in Nürnberg: Damals explodierte dort eine Bombe in einer Gaststätte eines türkischen Betreibers. Wie die Zeitung damals meldete, fand die Putzhilfe des Betreibers am 23. Juni 1999 einen ca. 30 cm langen Gegenstand, der nach Angaben des Opfers wie eine "Taschenlampe" aussah. Die 18-jährige Frau versuchte die Taschenlampe anzuknipsen, dabei explodierte sie und das Opfer erlitt Verbrennungen am Oberkörper, im Gesicht und an den Armen. Wie die Nürnberger Nachrichten weiter berichteten, stellten die Sprengstoffexperten des LKA Bayern daraufhin fest, dass die Bombe "selbstgebastelt" war und eine "geringe Sprengkraft" hatte. Hinweise auf einen "ausländerfeindlichen Hintergrund" habe es seinerzeit nicht gegeben.

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