Donnerstag, 11. Juli 2013

"NSU" - Der Prozess # 23: Der 21. Prozesstag - Sieben weitere Zeugen zum Mord an Enver Şimşek wurden gehört



(lsn exklusiv : schwarz und szabo) - Der inzwischen 21. Verhandlungstag im "NSU"-Prozess vor dem Münchner OLG brachte weitere Erkenntnisse zum Mordanschlag auf den Blumenhändler Enver Şimşek vom 09.09.2000.

Insgesamt sieben Zeugen waren gestern geladen, darunter Ermittlungsbeamte sowie Tatortzeugen. Mehrere Polizeibeamte schilderten dabei die Ermittlungen, wobei die Bilder vom Tatort auf den ersten Blick fast idyllisch aussahen: Es war ein sonniger Herbsttag, Blumenkübel sind zu sehen unter einem orangenen Sonnenschirm, dahinter der weiße Mercedes-Transporter mit der roten Aufschrift "Simsek Blumen".

Die Fotos und Schilderungen aus dem Fahrzeuginneren lassen hingegen den Horror ahnen, der sich dort im September 2000 abgespielt haben muss. Acht Schüsse, abgegeben in Gesicht und Oberkörper (fünf aus der bekannten Ceska-Pistole, drei aus einer weiteren Waffe), trafen den Blumenhändler, der jedoch nicht sofort starb, sondern erst Tage später. Eine Kugel verfehlte ihn, schlug in der Wand des Transporters ein.

Es war der erste Mord der sogenannten "Ceska-Serie" (später auch "Döner Morde" genannt), der insgesamt neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft zum Opfer fielen. Die Täter: der "NSU", der "Nationalsozialistische Untergrund", eine Gruppe von drei Jenaer Neonazis, die mehr als ein Jahrzehnt lang mordend und plündernd durch Deutschland zogen, Menschen töteten, Bomben legten und Sparkassen überfielen. Ihre Namen: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Beate Zschäpe (die einzige Überlebende des "NSU" und als Mittäterin an allen Anschlägen angeklagt, da sie u. a. die legale Fassade des Terror-Trios aufrecht erhalten und damit die Taten erst möglich gemacht haben soll) bemüht sich währenddessen, die Fotos des sterbenden Blumenhändlers nicht anzuehen, die Blutlache im weißen Mercedes-Transporter zu ignorieren, setzt ihre Brille ab, dann wieder auf und blickt scheinbar konzentriert auf den Bildschirm ihres Laptops, um Texte zu lesen; gelegentlich verdecken auch die offenen Haare ihr Gesicht. Ganz offensichtlich ist es ihr Ziel, keinerlei Reaktion zu zeigen um den Prozess so unbeschadet zu überstehen.

Das weiterhin durchzuhalten wird für Zschäpe jedoch zum Kraftakt werden, denn der Prozess läuft gerade einmal ein Vierteljahr und soll noch - das wurde am Dienstag bekannt - etwa achtzehn Monate weiter laufen; 100 neue Prozesstage hatte der Vorsitzende Richter Götzl neu ansetzen lassen. Denkbar ist sogar, dass der Prozess mehr als zwei Jahre dauern könnte, bis in den Sommer 2015. Eine lange Zeit um zu ignorieren, was offensichtlich ist, denn einige der Fotos, die zu sehen waren und noch zu sehen sein werden,  haben ihr Lebengefährte Uwe Böhnhardt und ihr Freund Uwe Mundlos selbst von den sterbenden Opfern gemacht, haben sie als Trophäe für sich behalten oder später in das "Frühling"-Video des "NSU" eingebaut, das Beate Zschäpe auf ihrer Flucht an mehr als ein Dutzend Empfänger verschickt hat.

Einen Antrag gab es auch und zwar von den Verteidigern des Angeklagten André Em*ng*r. Diese verlangten, dass ihr Mandant vorerst nicht mehr vor Gericht erscheinen müsse, denn die im Moment zu verhandelnden Fälle würden ihn nicht betreffen, wie sie es begründeten. Da dem 33-Jährigen jedoch Beihilfe an den Taten des "NSU" vorgeworfen wird (u. a. soll er Wohnmobile gemietet haben, welche bei Raubüberfällen und einem Sprengstoffanschlag benutzt worden sind), plädierte die Bundesanwaltschaft darauf, den Antrag anzulehnen, da bei einer vermuteten Unterstützung einer terroristischen Vereinigung einzelne Taten vom Gesamtvorwurf nicht zu trennen seien.

Noch präkerer scheint die Lage für den Jenaer Ralf Wohlleben: Bei ihm ist inzwischen davon auszugehen: Er wusste davon, dass seine ehemaligen Freunde Mundlos und Böhnhardt Waffen hatten und sogar welche es waren, wusste, dass von beiden auf Ausländer geschossen worden war, konnte Zeitung lesen und TV sehen und die dort erwähnte "Ceskamord"-Serie interpretieren. Von ihm stammt auch der Satz, es sei besser, wenn man nicht wisse "was die Drei tun."

Und genau das ist Beate Zschäpes Kernproblem. Wenn schon ein Außenstehender so viel wusste, hatte sie da, als Insider des Trios,als jemand der nach Zeugenaussagen mehrfach bei Waffenübergaben dabei war, tatsächlich die ganzen Jahre lang überhaupt keine Ahnung, was ihr Lebensgefährte Uwe Böhnhardt und ihr Freund Uwe Mundlos trieben, woher das Geld kam, das sie verwaltte und ausgab, woher die blutverschmutzte Kleidung stammte?

Eine derart enorme Verdrängungsleistung ist wohl kaum anzunehmen und: mit einem Hinweis an die Polizei hätte Zschäpe wohl die Mordserie jederzeit stoppen können... wenn sie dies denn wirklich gewollt hätte. Statt dessen zündete sie ein Wohnhaus an, um Beweismittel zu vernichten und versendete die "Frühling"-DVD. Die Frage ist also: Wann wird Beate Zschäpe die Aussichtslosigkeit ihrer Lage vor Gericht erkennen und begreifen?

Als Zeuge wurde am 21. Verhandlungstag auch Günther B. gehört, der am frühen Nachmittag des Tattages mit seinem Sohn an dem Şimşek-Blumenstand in Nürnberg vorbeifuhr. Es war ein warmer Tag, beide hatten die Fenster ihres Autos geöffnet, als sie "drei bis vier metallische, harte Schläge" hörten. Der Zeuge: "Wir schauten ruckartig nach links, da stand der Lieferwagen. Zwei junge Männer in Radlerkleidung gingen schnell vom Fahrzeug weg."

Erst Tage später, als B. in der Zeitung von dem Todesfall laß, habe er die Geräusche als mögliche Schüsse erkannt, sagte er aus. Seine Beschreibung der Verdächtigen, die er damals abgab: beide 20 bis 30 Jahre alt, gut 1,80 Meter groß, schlank, keine Haare waren zu erkennen, dunkler Teint.

Gegen 15 Uhr am 09.09.2000 kam dann ein weiterer Zeuge, Andreas H., am Tatort an, wollte damals Blumen kaufen. Weil kein Verkäufer am Blumenstand war, wartete er. Als nach einer Viertelstunde immer noch niemand zu sehen war, alarmierte H. die Polizei. "Wir gingen zum Wagen. Außen lagen blutige Pflanzenreste verstreut", sagte einer der Polizeibeamten aus. Gemeinsam mit den Zeugen H. öffnete man die Schiebetür des Lieferwagens und sah das Opfer in seinem Blut liegen. H. vor Gericht zum Vorsitzenden Richter: "Er lebte noch, versuchte zu atmen. Er hatte noch einen guten Puls, an der Backe stellte ich eine Verletzung fest." Während die Polizisten Hilfe herbeiriefen, versuchte H., der von Beruf Rettungsassistent ist, unmittelbar den Verletzten zu versorgen. "Ich kümmerte mich um die Atmung, versuchte den Mund-Rachen-Raum von Blut zu befreien", sagte er vor Gericht aus.

Später sagte dann auch noch der Sohn von Günther B. aus. Auch er habe zwei Männer gesehen, damals, die sich vom Lieferwagen entfernten, berichtete er. "Größe, Alter, Kleidung?", fragte Richter Götzl ihn. "Schwierig", antwortete der Sohn. Man merkte: 13 Jahre Distanz zu einer flüchtigen Moment des Hinschauens sind eine lange Zeit.

Zum Abschluss des 21. Verhandlungstages befasste sich das Gericht dann nochmals mit dem Mordfall an dem Schneider Abdurrahim Özüdoğru. Auch begangen von Mundlos und Böhnhardt, auch in Nürnberg, nur neun Monate nach dem Mord an Enver Şimşek.

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