Freitag, 12. Juli 2013

"NSU" - Der Prozess # 24: Am 22. Prozesstag wurde zum Mord, begangen an Habil Kılıç am 29.08.2001 in München, verhandelt



(schwarz und szabo) - Am Donnerstag, den 11.07.2013 - dem inzwischen 22. Prozesstag - ging es um den vierten Mordfall des "NSU": Der 38-jährige Habil Kılıç war am 29.08.2001 im Geschäft seines Obst- und Gemüsehandels in München-Ramersdorf erschossen worden. Im Unterschied zu den drei vorherigen "NSU"-Morden fanden die Ermittler an diesem (wie an allen weiteren Tatorten) keine Patronenhülsen mehr vor. Fünf Zeugen waren geladen, darunter Ermittlungsbeamte und die Wittwe des Ermordeten.

Und das sagten die Zeugen aus: Kılıç hatte an seinem Todestag vor zwölf Jahren gegen 10 Uhr 30 gerade die grüne Markise vor dem Gemüseladen in der Bad-Schachener-Straße gespannt, um die Ware gegen die Sonne zu schützen. Als Kundinnen um 10 Uhr 40 in das Geschäft kommen, findet eine von ihnen den 38-Jährigen Mann auf dem Boden liegend.  Die später aufgenommenen Polizeifotos zeigen um Habil Kılıç herum auf den weißen Bodenfliesen eine Blutlache, auch sein Gesicht ist voller Blut. Zwei Kugeln hatten ihn im Gesicht und im Schädel getroffen, als er an seinem Tresen stand, abgefeuert aus einer Pistole vom Typ Ceska 83. Kılıç starb während der späteren Rettungsbemühungen.

"Das war eine absolut professionelle Hinrichtung", sagte Kriminalrat Franz Josef W. gestern als Zeuge vor dem 6. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts - W. hatte die ersten Ermittlungen in dem Fall geleitet. Zwei Projektile habe man gefunden, sonst nichts, sagte er. Keine Patronenhülsen, keine DNA-Spuren, obwohl "jeder Quadratzentimeter" in und um den Gemüseladen herum abgesucht worden wäre und die Erkennungsdienste "mehrere Tage zugange" gewesen seien.

Mehrere Hinweise von Zeugen habe es gegeben, sagte W., in einem Fall habe jemand einem Mercedes mit quietschenden Reifen davonfahren sehen, was sich aber nachträglich als Erfindung herausgestellt habe. Andere Zeugen berichteten damals Josef W. zufolge von zwei jungen und sportlichen Männern auf modernen Fahrrädern, die "wie Kurierfahrer" gewirkt hätten, einer der beiden soll ein Headset getragen haben. Eine genauere Beschreibung konnten die Zeugen damals nicht liefern. Nach ihnen sei auch gefahndet worden, "als Zeugen", wie Josef W. betonte, allerdings erfolglos. "Wir mussten sie natürlich als Zeugen suchen, es gab keine Anhaltspunkte, dass sie die Täter sein konnten", sagte W. zum Vorsitzenden Richter Götzl und fügte an, inzwischen wisse man es besser.

Ein Anwalt der Nebenklage warf W., der dies alles sehr nüchtern und sachlich vortrug, anschließend vor, die rechtsextremen Hintergründe der Tat nicht ausreichend geprüft zu haben. "Warum haben Sie nicht in diese Richtung ermittelt?", rief er dem Polizeibeamten in lautem Ton vor. "Wir sind keine, die auf dem rechten Auge blind sind", entgegnete ihm der Mordermittler darauf und rechtfertiget die Tatsache, dass die Münchner Polizei im Grunde nur Verbindungen zum Drogenmilieu und zur organisierten Kriminalität prüfte, mit dem Satz: "Jetzt soll man mal bitte nicht so tun, als ob es keine türkische Drogenmafia gibt." In diesem Moment schritt Götzl ein und ermahnte mit den Worten: "Jetzt regen Sie sich bitte ab."

Danach wurde Pinar Kılıç, die Witwe des Ermordten, gehört. Sie war zum Zeitpunkt der Ermordung ihres Mannes im Urlaub in der Türkei und die heute 51-Jährige tat sich sichtlich schwer dabei, vor Gericht über ihren Mann, seinen Tod und ihr heutiges Leben zu sprechen. Götzl erläuterte ihr, welche Funktion ihre Zeugenaussage hat. "Es ist eine Gelegenheit", sagt er, "Ihren Mann so zu schildern, wie er wirklich war. Ich kenne ihn nicht, die anderen Verfahrensbeteiligten kennen ihn auch nicht."

"Er war mir ein anständiger Mann, ein sehr guter Mensch für mich", sagte sie aus, und dass sie das Gemüsegeschäft nach dem Tod ihres Mannes habe aufgeben müssen. Wie es ihr die Jahre nach dem Tod von Habil Kılıç ergangen sei, fragte Gotzl nach.

"Darüber möchte ich nicht so gerne reden", antwortete sie ihm, fügte dann aber an, sie habe praktisch alles verloren: ihren Mann, ihre Freunde, ihr Geschäft. Und: immer wieder sei sie Verdächtigungen ausgesetzt gewesen. "Können Sie sich das vorstellen, was das heißt?", fragte sie das Gericht. Die im "NSU"-Prozess Hauptangeklagte Beate Zschäpe warf ihr während dieser Aussagen immer wieder einen Blick zu, schaute die meiste Zeit jedoch auf ihren Computer. Als die Bilder des blutüberströmten Habil Kılıç gezeigt wurden, hob sich ihr Blick kein einziges Mal.

Ob und was sie vor dem Tod ihrer Freunde Böhnhardt und Mundlos über ihre Tat wusste? Hierzu schweigt Beate Zschäpe, wie zu allen anderen Dingen, die bisher im Prozess erörtert wurden . Dabei wusste sie zumindest davon, dass ein "Händler (38) in seinem Laden erschossen" wurde. So war ein Artikel aus der Münchner Abendzeitung betitelt und gleich unter der Überschrift stand zu lesen: "Kinder geschockt". Sie wusste deshalb davon, weil er in einem Ordner eingeheftet worden war, das der "NSU" über seine Taten führte. Die Ermittler fanden ihn im Schutt der ausgebrannten Wohnung in Zwickau. Und sie fanden noch mehr: auf diesem Zeitungsausschnitt findet sich ein Fingerabdruck der Hauptangeklagten und es ist einer der wenigen eindeutigen Beweismittel gegen Zschäpe.

Und dann fiel am Ende des Verhandlungstages doch noch der Satz, den Zschäpe nicht hören wollte. Ausgesprochen von der Mutter der "geschockten Kinder", von der Witwe des ermordeten "Händlers (38)". "Ich hoffe", sagte Pinar Kılıç zu den Richtern im Schwurgerichtssaal A101, "dass diese Frau eine Strafe bekommen wird." Und dabei blickte sie auf die Angeklagte.

Nächste Woche soll der Prozess am 23. Verhandlungstag mit weiteren Vernehmungen von Polizisten und anderen Zeugen fortgesetzt werden.

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