Freitag, 25. Oktober 2013

Album-Besprechung im Doppelpack: Heinz Rudolf Kunze - "Stein vom Herzen" - Neues vom Reich-Ranicki des Deutschrock!


(lsn / rainer sauer) - Am heutigen Tag erscheint ein weiteres Musikalbum des Hannoveraner Sängers und Multitalents Heinz Rudolf Kunze. Nach Angaben seiner Internetseite ist es die Nummer 32 in 32 Jahren. Und noch ein Zahlenspiel ist kurios: Kunze ist 1956 geboren und derzeit 56 Jahre alt.

Jahr für Jahr ein neues Werk zu veröffentlichen, das sieht für Außenstehende nach Stress aus, ist für den Künstler aber "eine pure Freude", weil er Spaß daran hat, Musik zu machen und zwar nach Jahrzehnten im Musikbusiness mehr denn je, wie er gerade in einem Interview verriet. Deshalb setzt er sich dann auch mal in eine Badewanne und lässt sich beim Lesen fotografieren - man gönnt sich (und den ZuhörerInnen) ja sonst nichts.

Jetzt ist der Musiker aber einer der letzten echten "Deutschrocker", ein Genre, das Mitte der 70er Jahre von Leuten wie Lindenberg und Maffay erfunden und später von Größen wie Grönemeyer und Müller-Westernhagen weitergeführt wurde. Auch HR Kunze gehört dazu, hatte mit "Dein ist mein ganzes Herz" (1984) zwar nur einen einzigen wirklichen Hit in seiner Karriere, schaffte es aber trotzdem, Dutzende Musikalben zu veröffentlichen und wurde dafür bereits mehrmals mit der "Goldenen Stimmgabel" ausgezeichnet.

Nun hat es ein älterer rockender Intellektueller in der heutigen Zeit (in der ein deutschsprachiger Song allein schon durch den Satz "Du willst immer nur ficken" zum Kult unter den Jugendlichen werden kann) schwer, seine Kunst unter die Leute zu bringen. Hip Hop auf der einen Seite, Volksmusik auf der anderen, Ballermann-Musik in der Mitte, lässt kaum noch Verkaufspotential für deutschsprachige Rockmusik zu, und da dieses Feld inzwischen auch schon von einigen jungen Bands erfolgreich erobert wurde, bleiben für die alten Hasen vom Kuchen oft nur noch Krümel übrig. Da Heinz Rudolf Kunze aber inzwischen mit seiner Musik genug Geld verdient hat, um sorgenfrei in die Zukunft zu blicken, hat er es ganz und gar nicht nötig, sich künstlerisch zu verbiegen. Er ist und bleibt eben weiter der Weltverbesserer, sozusagen der Reich-Ranicki des Deutschrock.

So ist es ihm beim neuen Album "Stein vom Herzen" nicht so wichtig gewesen, einen Hit zu landen; eher ist es - textlich wie musikalisch - wieder eine gelungene Reanimation der Musik der 80er Jahre. Dazu mixt er - ganz wie man es von ihm erwartet - gekonnt rockigeTöne ("Weltweit Feuer frei") mit melancholischen ("Erwarte wenig") und auch der seit Jahren gewohnte Ausflug in Schlager-Genre ("Hallo Himmel") ist wieder mit dabei. Und so kann man Heinz Rudolf Kunze schon bald wieder bei Carmen Nebel im ZDF bewundern, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass er tags drauf mit einem subersivem Alternativprogramm auf der Bühne steht.

Auch wenn seine große Zeit schon lange her ist (was man dem "Stein vom Herzen" durchaus anmerkt, weil sich hier oft wiederholt, was Kunze schon früher gesagt oder gesungen hat), so ist HR Kunze heute immer noch präsent auf den Brettern, die die Welt für ihn bedeuten. Und ganz ehrlich gesagt: Die BRD braucht auch weiterhin eine verlässliche moralische Instanz in der Musikszene. Und das genau ist die Position, die sich ein Kunze wohl niemals wird streitig machen lassen, denn "Ein kluger Mann muß sich nicht als alternder Rocker verkleiden, wenn er ein rockender älterer Kluger ist..." wie es so schön heißt.

Hinweis: Rainer Sauer schrieb diese Kritik für die "Lichtstadt.News" und für amazon.de
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(lsn / toby reiter) - Um es vorweg zu nehmen: Das Album "Stein vom Herzen" hat herausragende Stellen, doch leider am falschen Ort. Selten habe ich bei unserer "Brille" einen schlechteren Opener gehört als "Europas Sohn": gestelzt getextet und von der Einspielung her auf unerklärlichem Nachwuchsbandniveau, ist es für den Rein-Hörer bei Saturn oder Media Markt das Aushängeschild und macht so wahrscheinlich vieles kaputt. Das wiederum hat das Album nicht verdient, denn wenn man sich die Mühe macht, auf den zweiten Teil zu warten (wofür sich wahrscheinlich viele Rein-Hörer nicht die Zeit nehmen), dann erkennt man, dass der "Stein vom Herzen" mit jedem Song besser wird. Die drei letzten Lieder sind, abgesehen vom Titelstück, mit das Beste, was Heinz Rudof Kunze in letzter Zeit gelungen ist.

In "Erwarte wenig" sinniert er über Marc Aurel, römischer Kaiser und Philosoph, der sein letztes Lebensjahrzehnt zwar vorwiegend im Feldlager verbrachte, dort aber seine Selbstbetrachtungen verfasste, die inzwischen zur Weltliteratur gezählt werden. "Wenn du sie siehst" ist eine bittersüße Beichte eines Vaters an sein Kind, das der geschiedenen Mutter eben nicht sagen soll, wie sehr er noch an ihr hängt und an sie denkt - dumm nur, dass der Titel gar nicht so neu ist, da er schon im Frühjahr auf dem gemeinsamen Livealbum von Tobias Künzel und Heinz Rudolf Kunze erschienen war. Und in "Es wird ein gutes Leben" lässt Heinz Rudolf Kunze als Embryo sein eigenes pointiert Revue passieren von der Geburt bis in den Tod.

Mit "Stein vom Herzen" könnte der Musiker wieder an alte Top-10-Erfolge ("Brille", "Macht Musik" und "Halt") anschließen, wenn - ja wenn - der unsäglich schlechte Opener des Albums nicht wäre und einige dazwischengestreute Schlagerperlen wie "Hallo Himmel", der neuen Single.

Aber vielleicht verzeihen ihm das seine wahren Fans und bringen den "Stein vom Herzen" weit nach oben in die Charts. Die Vorgängeralben "Protest" und "Die Gunst der Stunde" belegten immerhin die Plätze 15 und 8, was durchaus Hoffnung auf eine Steigerung gibt.

Hinweis: Toby Reiter ist der neue Musikredakteur der "Lichstadt.News"

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