Donnerstag, 21. November 2013

"Der 'NSU'-Prozess - 57. und 58. Tag": Uwe Böhnhardts Mutter überrascht vor Gericht mit neuen Details zum letzten Anruf von Beate Zschäpe


(schwarz und szabo) -
Im Münchner Prozess um die Taten des "Nationalsozialistischen Untergrunds" / "NSU" gab es bisher wenig Überraschendes zu erfahren -  fast alles, was dort ausgesagt oder verhandelt wurde, war vorab bereits in der Presse bekannt geworden. Und so schien die zweitägige Vernehmung von Brigitte Böhnhardt, der Mutter eines der "NSU"-Terroristen, zunächst wenig Spektakuläres zu ergeben, jedenfalls bis zu dem Punkt, als sie vor dem Oberlandesgericht erzählte, wie sie eines Morgens von Beate Zschäpe angerufen wurde und vom Tod ihres Sohnes erfuhr.

Der 57. Verhandlungstag am 19.11.2013:

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl bat am 57. Tag im "NSU"-Prozess mit Brigitte Böhnhardt erstmals eine direkte Angehörige des "NSU"-Trios Mundlos (†), Böhnhardt (†) und Zschäpe in den Zeugenstand. Ihr Sohn sei "ein Wunschkind, ein aufgewecktes Kerlchen" gewesen, erinnerte sich die Mutter. Doch nach der Wende sei er an die falschen Freunde geraten, berichtete sie. Er begann zu schwänzen, blieb in der 6. Klasse sitzen und suchte daraufhin Anschluss bei älteren Schülern. Uwe Böhnhardt wird straffällig, 1993 hat er einen ersten Gefängnisaufenthalt wegen Diebstahls, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Widerstandes gegen Beamte.

Wie er zum Nationalsozialistischen Gedankengut kam, wollte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl von ihr wissen. "Er hatte ein normales Jugendzimmer. Er durfte keinerlei Dinge in seinem Zimmer aufbewahren, die irgendwie einer rechten Tendenz zugeordnet werden konnten", so Frau Böhnhardt. Auch seine Springerstiefel habe er im Haus nicht tragen dürfen, sagte sie. Weshalb der Sohn im Januar 1998 in den Untergrund gegangen sei? "Er wollte nicht mehr ins Gefängnis", antwortete Uwe Böhnhardts Mutter. Monate später habe ein Zettel im Briefkasten gelegen, wann sie in einer bestimmten Telefonzelle in Jena sein solle, berichtete sie - da habe ihr Sohn sich zum ersten Mal wieder bei ihr gemeldet. "Ich habe gesagt, er soll sich stellen. Ich habe ihm von der Strafmilderung berichtet, die Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz angeboten haben. Doch er sagte, Uwe Mundlos sei nicht bereit dazu", erzählt sie. Drei Mal seien Unterstützer des Trios bei Brigitte Böhnhardt und ihrem Mann aufgetaucht und hätten beide um Geld gebeten. Insgesamt seien 1.000 bis 1.500 Mark an die drei Terroristen geflossen. 1999 hätten die Böhnhardts die finanzielle Unterstützung jedoch eingestellt, erklärte die Mutter - in der Hoffnung, das Trio würde so das Leben im Untergrund aufgeben.

Sie glaube aber auch, sagte Brigitte Böhnhardt zu Richter Götzl, dass "verschiedene Kreise" gar kein Interesse daran gehabt hätten, dass sich das Trio stellt. Stattdessen hätten zwei LKA-Beamte sogar damit gedroht, alle zu erschießen; einer der Polizisten habe ihr wörtlich gesagt: "Wenn wir sie aufspüren und die zucken nur - glauben Sie mir, unsere Leute sind schneller mit der Pistole, die haben das gelernt." Die Mutter habe ihren Sohn zuletzt im Ausland vermutet, erklärte sie und fügte an. "Das ist der Super-GAU, dass die anderthalb Stunden von uns entfernt gewohnt haben", erzählte sie.

Der 58. Verhandlungstag am 20.11.2013:

An diesem Tag spricht Brigitte Böhnhardt von ihrem letzten Kontakt mit Beate Zschäpe vor deren Festnahme. Zschäpe steht als einzige Überlebende des "NSU"-Trios vor Gericht, ist als Mittäterin bei allen Verbrechen des "NSU" angeklagt, darunter neun Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und zwei Bombenanschläge.

Am 05.11.2011 klingelte um 7 Uhr morgens des Telefon in der Böhnhardt-Wohnung in Jena-Lobeda. Brigitte Böhnhardt hob ab, am anderen Ende habe sich eine Frauenstimme gemeldet, berichtete sie Richter Götzl. "Ich hörte sie sagen: 'Hier ist Beate.' Ich habe gar nicht begriffen, wer das sein soll, ich kannte ihre Stimme nicht mehr. Deshalb fragte ich: "Welche Beate denn?" Da sagte sie: 'Uwes Beate'", erzählte Brigitte Böhnhardt. 

Das habe sie erst einmal verarbeiten müssen, sagt die Mutter, nach neun Jahren das erste Mal wieder von Beate Zschäpe zu hören, das habe geschockt. Ihr erster Gedanke sei gewesen: Sie wollen sich stellen. "Meine nächste Frage war: 'Kommt ihr zurück, wollt ihr euch stellen?' Das war mein einziger Wunsch in dem Moment. Da sagte sie: 'Nein.' Ich fragte, warum nicht, dann antwortete sie mir: 'Der Uwe kommt nicht mehr.' Das habe ich nicht gleich begriffen", so Brigitte Böhnhardt.

Warum kommt er nicht, habe sie sich gefragt und in diesem Moment richtig unter Schock gestanden. Dann habe Beate Zschäpe nochmals zu Brigitte Böhnhartdt gesagt: "Der Uwe kommt nicht mehr.‘ Dann war erst einmal eine Weile Pause. Ich traute mich nicht, die nächste Frage zu stellen", so Böhnhardt weiter vor Gericht. "Dann fragte ich direkt: 'Ist der Uwe tot?' Da sagte sie: 'Ja, der Uwe ist tot.'" Zschäpe habe ihr anschließend gesagt, sie solle die Nachrichten schauen, in Eisenach sei gestern etwas passiert, schilderte Böhnhardt das Gespräch vom 05.11.2011 weiter. Die beiden Uwes hätten sich getötet, weil sie keinen anderen Ausweg gesehen hätten, habe Beate Zschäpe ihr gesagt.

Dann drehte sich Brigitte Böhnhardt direkt zur Hauptangeklagten und sprach sie direkt an. "Es ist dir sicherlich ganz schwergefallen, die Eltern zu informieren. Ich stelle mir das schrecklich vor, so einen Anruf zu machen. Danke, dass du es trotzdem gemacht hast", sagte sie zu Beate Zschäpe. Anschließend die Überraschung der Vernehmung. Ohne dass Richter Götzl nachgefragt hätte erzählt Brigitte Böhnhardt ein weiteres Detail aus dem Telefonat mit Beate Zschäpe, das bisher nicht bekannt war. Sie habe es eigentlich für sich behalten wollen, berichtetet die Mutter des toten Terroristen Uwe Böhnhardt, möchte es nun aber aussagen.

"Beate sagte mir, dass die beiden sie angerufen hätten und ihr den Auftrag gegeben hätten, die Eltern anzurufen. Sie sollte mir von Uwe sagen, dass er mich sehr geliebt habe. Er habe jeden Geburtstag und jedes Fest an mich gedacht. Sie sagte weiter, dass die beiden sich erschossen hätten, weil sie keinen anderen Ausweg gesehen haben." Danach habe sie Beate Zschäpe gefragt, ob sie noch einmal bei ihr anrufen werde: "Da sagte sie: 'Nein, ich gehe weg. Ich rufe nie wieder an.'" Abschließend sagte Brigitte Böhnhardt: "Ich bin ihr eigentlich heute noch dankbar dafür, dass wir noch vor der Polizei wussten, was passiert war." 

Doch auch für die Familien der Opfer des "NSU" zeigte Uwe Böhnhardts Mutter tiefes Verständnis. Wörtlich sagte sie: "Ich habe nicht nur Mitleid, ich habe ganz tiefes Mitgefühl, weil ich sie am allerbesten verstehen kann. Diese Ungewissheit über Jahre, was ist passiert mit ihren Angehörigen, das kenne ich auch. Diese unglaubliche Ungewissheit, was war mit meinem Vater, Gatten oder Bruder - es tut mir sehr leid, ich fühle mit ihnen. Ich bin ihnen unendlich dankbar, dass sie sich nicht gerächt haben an uns. Ich hatte Angst, dass sie sich an unserer Familie, am Bruder, den Enkelkindern rächten würden. Aber ich denke, dass sie begriffen haben, dass wir nicht die Schuldigen sind, dass wir ihnen nichts getan haben."

Wie ihr Sohn zum Mörder werden konnte, kann sich Brigitte Böhnhardt bis heute nicht erklären. Hierzu sagte sie zu Manfred Götzl: "Ich wüsste auch gern, was gelaufen ist, warum. Ich wüsste zu gern, was sie verleitetet haben soll, diese furchtbaren Taten zu begehen. Ich kann meinen Sohn so nicht akzeptieren." 

Allerdings stützte Böhnhards Mutter auch indirekt die Anklagevorwürfe gegen Beate Zschäpe als sie auf die Frage des Vorsitzenden Richters über die Rollenverteilung innerhalb des Trios aussagte: "Sie waren gleichberechtigt, sie waren Freunde". Zudem zeigt der Anruf von Zschäpe bei Brigitte Böhnhardt mit der dabei getätigten Äußerung, die beiden Männer hätten sich erschossen, weil sie "keinen anderen Ausweg" gesehen hätten, dass Beate Zschäpe wahrscheinlich doch um die Verbrechen des "NSU" wusste und den Grund dafür kannte, weshalb Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos "keinen anderen Ausweg" als den Tod sahen.
 
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