Freitag, 17. Januar 2014

Der 72. bis 75. Verhandlungstag im Münchner "NSU"-Prozess


Schwarz und Szabo fassen zusammen:

08.01.2014 = Der 72. Verhandlungstag

Alexander S. sagte am 72. Verhandlungstag im "NSU"-Prozess am Oberlandesgericht München aus. Er ist der Ehemann der Zeugin Sylvia S., die bereits im letzten Jahr vor Gericht stand und berichtete, wie ihre AOK-Versicherungskarte vor Jahren in die Hände der Hauptangeklagten Beate Zschäpe kam. Herr S. stellte sich als Kaufmann im Groß- und Außenhandel vor und konnte sich an die Vorgänge "damals" schlecht erinnern. Bemerkungen wie "...ich hab’ grad’ keinen Namen auf der Zunge" verärgerten den Vorsitzenden Richter Martin Götzl

Diesem gelang es trotzdem, einige Fakten von S. erzählt  zu bekommen und zwar darüber, wie die Versichertenkarte seiner Frau über den mitangeklagten Holger Gerlach an Zschäpe kam. Sie sei an Gerlach "verkauft worden" berichtete ihm der Zeuge und zwar für 300 Euro. Wofür dieser die Karte haben wollte, davon habe er, Alexander S., keine Ahnung gehabt, sagte er vor Gericht. Anschließend schilderte der Zeuge Holger Gerlach als jemanden, der oft und gerne Drogen und Alkohol konsumiert habe, auch bei der Übergabe der AOK-Karte.

Zu Beginn des "NSU"-Prozesses hatte Gerlach zugegeben, die Karte im Jahre 2006 auf Bitten von Beate Zschäpe besorgt zu haben, denn die Hauptangeklagte brauchte seinerzeit einen Versichertennachweis, um zum Arzt gehen zu können.

09.01.2014 = Kein Verhandlungstag

Dieser Prozesstag fiel aus, weil der wichtigste Zeuge des Tages erkrankt war.

14.01.2014 = Der 73. Verhandlungstag

Erstmals befasste sich das Gericht mit den Geschehnissen umnittelbar nach der Festnahme von Beate Zschäpe am 08. November 2011 in Jena. So sagte ein Polizeikommisar aus, der damals Zschäpes Kleidung sichergestellt hatte, nachdem diese sich der Polizei stellte. Es geht in diesem Zusammenhang im weitesten Sinne um die Frage, ob nachträglich Anhaftungen des in Zwickau bei dem Wohnungsbrand am 04. November 2011 verwendeten Brandbescheunigers an Zschäpes Kleidung nachgewiesen werden können.

Unter anderem sagte der Beamte, dass er nach der Festnahme etwa 100 Fotos von Zschäpes Bekleidung und den Dingen gemacht hatte, die sie bei sich trug. Auf den Aufnahmen, die im Gerichtsaal gezeigt wurden, zu sehen: Unterwäsche, ein Sweatshirt, Schuhe, Strümpfe, eine Handtasche, eine Armbanduhr, eine Brille, ein Haargummi, Münzen, eine Fahrkarte. Auf Götzls Nachfrage, was ihm besonders in Erinnerung eblieben sei, antwortete der Polizist: "Die Strümpfe haben sehr unangenehm gerochen. So als ob die Trägerin sie länger getragen hat."

Außerdem trat eine Frau in den Zeugenstand, die auf ihren Namen eine Mobilfunk-Karte gekauft und an Beate Zschäpe weitergegeben hatte. Diese Karte war im Brandschutt der Zwickauer Wohnung gefunden worden. Sandy N., so ihr Name, gab an: "Es war 2006 oder 2008. Ich war drogenabhängig und wollte in der Stadt Geld machen. Da hat mich eine Frau angesprochen, dass ich ihr ein Prepaidhandy für ihre Nichte kaufen sollte. Sie gab mir 30 oder 40 Euro dafür."

Auch zwei Morde untersuchte der Senat am 73. Verhandlungstag weiter. Zum Tod von Süleyman Tasköprü aus Hamburg sagte ein Gerichtsmediziner aus, der die Leiche obduziert hatte. Im Mordfall Halit Yozgat aus Kassel war ein Zeuge geladen, der sich zur Tatzeit im Internetcafé des Opfers aufgehalten hatte und der bereits zuvor dreimal nach München zitiert worden war, jedoch nicht vor Gericht erschien.

15.01.2014 = Der 74. Verhandlungstag

An Verhandlungstag 74 ging es dann erneut u.a. um Zschäpes schwarze Strümpfe, als zwei Gutachter gehört wurden. Nach den Aussagen eines Physikers wurde der Brand in der Zwickauer Wohnung vorsätzlich durch Benzin gelegt. Dadurch seien Nachbarn und alle Personen, die sich in der Nähe hätten aufhalten können, in hohem Maße in Gefahr gebracht worden, sagte er aus. Gas sei als Ursache ebenso auszuschließen wie Zigarettenglut oder z.B. Öl in einer Pfanne, da sich sonst der Brand langsamer entwickelt hätte. Außerdem gebe es bei anderen Brandursachen als einem Brandbeschleuniger keine Explosionen, wie sie jedoch in dieser Wohnung vorgekommen sei.

An 22 Stellen innerhalb der Wohnung, so der Gutachter, hätten Spürhunde angeschlagen. Die Proben seien untersucht worden und in Proben aus dem Bad, der Küche, dem Wohnzimmer, Schlafzimmer und dem sog. "Katzenzimmer" habe man Benzin festgestellt. Die Explosion habe sich, gegen 15 Uhr 08 am 04. November 2011 ereignet, wobei eine Außenwand herausgesprengt worden sei. Weiter sagte der Gutachter dem Gericht: "Schon durch die Gesteinsbrocken hätten Passanten oder Handwerker vor dem Haus tödlich verletzt worden können". Zudem habe sich die Trennwand zur Nachbarwohnung verschoben, in der Wand hätten sich auch Risse gebildet. Der Physiker zu Richter Götzl: Durch die Risse sind giftige Rauchgase in diese Wohnung eingedrungen, zudem hätte die Wand einstürzen können. Hierdurch habe für Personen in der Nachbarwohnung Lebensgefahr bestanden.

Der Täter habe eine Luntenspur bis zur Tür gelegt, führte er aus. Als er sagte "Benzin entzündet sich nicht selbst." schaute ihn Beate Zschäpe kurz an. Deren Rechtsanwalt Stahl schaltete sich anschließend ein, wollte darauf hinaus, dass seine Mandantin möglicherweise die Nachbarn durch Klingeln noch hätte warnen können. Stahl fragte: "Ist es denkbar, dass die Person, die das Benzin verschüttet hat, die Wohnung kurzzeitig verlassen hat, wieder zurückkommt und dann erst zündet?" Es sei relativ viel Benzin verschüttet worden, so der Experte, die Zeitdauer zwischen Verschütten und Anzünden war nach seinen Worten allerdings kurz, weil es im Flur keine Explosion gegeben habe, denn: verdunstet Benzin, so bilden sich nach kurzer Zeit Gaswolken, die latent zu einer Explosion führen würden. "Wenn der Täter an der Tür gezündet hat, dann hätte er die besten Chancen gehabt, unversehrt zu entkommen", berichtete er dem Oberlandesgericht.

16.01.2014 = Der 75. Verhandlungstag

Mit dem Polizisten Martin Arnold ist der einzige Überlebende der "NSU"-Mordserie gehört worden. Der versuchte Mord an ihm sowie der vollendete an seiner Kollegin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn ist zugleich die rätselhafteste Tat, die im Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten vor dem OLG München verhandelt wird, denn Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (beide verstorben am 04. November 2011) griffen nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft an diesem Tag zum ersten Mal statt Migranten Polizisten an, wechselten hierfür die Tatwaffe und beendeten - jedenfalls nach den derzeitigen Erkenntnissen - mit dieser Tat auch (aus ebenso ungeklärten Gründen) ihre Mordserie.

Der Zeuge hat, wie er ausführte, eingeschränkte Erinnerungen an den Tattag, der auch sein Leben vom Grund auf veränderte. Er selbst hatte, so sagte er au, kurz zuvor die Polizistenschule beendet und sich für den 25. April vor knapp sieben Jahren freiwillig zum Außeneinsatz gemeldet. Am frühen Nachmittag fuhren die beiden Polizisten laut seinen Angaben für eine Pause mit ihrem Wagen auf die Heilbronner Theresienwiese, ein Volksfestplatz, der außerhalb von Festzeiten nur von wenigen Menschen besucht wird.

Kiesewetter und Arnold hatten sich für ihre Pause beim Bäcker versorgt, sie rauchten außerdem Zigaretten. In dieser entspannten Atmosphäre müssen Böhnhardt und Mundlos von hinten an den Wagen geschlichen sein, der mit geöffneten Türen neben einem Trafohäuschen stand. Den beiden Polizisten wurde in den Kopf geschossen. Ob er womöglich noch etwas bemerkt hatte und eine Bewegung machte, die dazu führte, dass der Schuss auf ihn nicht tödlich endete, konnte Martin Arnold vor Gericht nicht sagen.

Deshalb ist der Tathergang auch nur eine Annahme. Arnold fehlt die Erinnerung an die entscheidenden Momente und auch eine Befragung unter Hypnose habe keine Aufschlüsse gebracht, wie er zum Vorsitzenden Richter sagte. "Ich weiß nicht, was Sache ist, zernartere mir aber ständig das Hirn", klagte der Zeuge am 75. Verhandlungstag. Klar ist nur: den beiden Opfern wurden die Dienstwaffen und andere Gegenstände entwendet - Gegenstände, die in dem Wohnmobil gefunden wurden, in dem Böhnhardt und Mundlos gestorben sind. Außerdem sollen an einer Jogginghose von Mundlos Blutanhaftungen von Kiesewetter gefunden worden sein.

Zu seinen Lebenumständen nach der Tat äußerte sich Arnold vor Gericht derart, dass er nach einem mehrwöchigen Koma den Weg zurück in ein normales Leben gefunden habe und inzwischen im gehobenen Polizeidienst sei. Jedoch ist er heute schwerbehindert, habe den Gleichgewichtssinn und ein Teil seines Gehörs verloren und sei immer noch wegen des schweren Traumas in Therapie.

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