Ein Interview von Tim Schwarz - Es ist Sommer und regnet gerade einmal nicht. Wir sitzen zusammen in einem Garten direkt am Saalbahnhof, „auf Gleis 4“, wie mein Gegenüber scherzhaft anmerkt. Das ist wörtlich zu nehmen, denn hin und wieder rauscht ein Zug an uns vorbei und nur wenige Meter trennen den idyllischen Garten von den Bahnsteigen. Hier lebt und arbeitet seit mehr als anderthalb Jahrzehnten der Mann, der die Legende um den Musiker Charly Davidson erfunden hat: Rainer W. Sauer.
Der ehemalige Westdeutsche, der seit 1991 in Jena lebt, ist selbst ist keine Rocklegende geworden, hat jedoch in seinem Leben genügend Know-How erworben, um die Figur des Charly Davidson lebendig werden zu lassen.
Wie kam es dazu?
Am Anfang des Buches steht zu lesen: "Ich bin nur ein Wanderer / Durch Raum und Zeit und Welt / Und durch Geschichten Anderer / Der darauf hofft, daß es gefällt." Aber ich habe Charly Davidson ja nicht nur lebendig werden lassen, sondern er stirbt auch am Ende des Buches. Sonst wäre er ja keine Legende.
Man hat Ihnen auch schon mal vorgehalten, Sie seien Charly Davidson oder, noch besser, mit dem Buch würden Sie sich erhöhen wollen. Ist da etwas dran?
Das war im letzten Jahr, bei der "Pecha-Kucha-Nacht' im Planetarium. Nun, es gab zu einer gewissen Phase des Buchprojektes die Notwendigkeit, die Story mit Fotos zu untersetzen und dadurch glaubwürdig oder, sagen wir mal, glaubwürdiger zu machen. Da ich selbst lange Musik gemacht hatte, bot es sich an, meine Fotos für die Figur des Charly Davidson zu verwenden. Das mag ein Grund sein für die Vorhaltungen. Aber ein Helge Schneider ist ja auch nicht zum Nazi geworden, nur weil er mal im Film Adolf Hitler dargestellt hat.
Wieviel Sauer steckt denn tatsächlich in Charly Davidson?
Das ist ja wieder eine ganz andere Frage. Ich würde sagen, stellenweise, oder besser ausgedrückt “songweise”, denn mein Buch hat keine Kapitel sondern Songs, eine ganze Menge. In der im Buch beschriebenen Zeit von 1967 bis 1982, da ist Charly Davidson tatsächlich ein Alter Ego von mir. Später auch mal hin und wieder, aber diese 15 Jahre in Offenbach am Main konnte ich nur so direkt erzählen, weil ich das meiste davon selbst erlebt habe. Oh, der “Musikclub Schlachthof”, das war eine ganz große Zeit gewesen.
Sie waren ja selbst Mitglied im Club…
…mit eigener Mitgliedskarte. Dann ging ich aber 1978 nach Frankfurt am Main …
…und hatten dort eine Band, die nannte sich FLIESSBAND. Auch “Rocklegende” Charly hat im Buch eine, die FLIESSBAND heißt.
Richtig. Die FLIESSBAND, das war zwischen 1977 und 1979 Frankfurts einzige Politrockband, u. a. mit Michael Uebelacker, heute bei FISHBONE TRASH, und Willi Knoth, der heute beim Schauspielhaus Frankfurt ist. Da war ich damals tatsächlich der Sänger, genau zehn Jahre nach den Unruhen vor dem Odéon Theatre in Paris und den darauf folgenden Studentenrevolten in der BRD. Und das machte uns...mit uns meine ich das Team, das mir beim Buchprojekt zur Seite stand...die Sache einfacher. Originalplakate, auf denen bereits FLIESSBAND steht, konnte man ganz einfach verwenden, Zeitungsartikel wurden so zu Artikeln über Charly Davidson. Das ist doch ideal und erleichtert die Arbeit ungemein.
Wie muss man sich so ein Team vorstellen?
Das sind alles potentielle Fälscher aus Jena und dem Umland, von Gera bis Schöten bei Apolda…(lacht!)…nein - ich hatte als große Hilfe einen Dr. phil. an meiner Seite, Lutz Mühlfriedel, Anglist und Germanist, der für das Projekt unverzichtbar wurde. Der macht seit Jahren "Radio Speziale" beim OKJ und ist ein wirklich guter Freund von mir. Dann gab es den einen oder anderen Fotografen, Steffen Kühne zum Beispiel, der heute in Tunesien lebt und arbeitet, oder Claus Rose, ein wunderbarer Aktfotograf oder sogar Volker Hempel, Jenaer Alleinunterhalter plus Sängerin und TV-Star, der schon oft mit Michael Wendler und Jürgen Drews zu sehen war. Dann gehören zum Team Computer- und Mediaexperten, darunter meine beiden Töchter, es gibt Musiker, die an der Hörbuch-CD mitwirken, wie etwa Mick Szutor. Alle sind sie auf ihre Art bedeutsam für die Arbeit neben dem Schreiben, für die Webseiten, die es begleitend zum Buch gibt und so weiter. Es war mir wichtig, für die unterschiedlichen Aufgaben, von denen ich nicht wirklich etwas verstehe, Profis zu finden. Ab da konnte ich ich voll auf das Schreiben konzentrieren.
Wäre es auch ohne diese Unterstützung gegangen?
Natürlich kann man auch Einhandsegeln, aber mit einer Mannschaft macht das doch viel mehr Spaß. Das galt insbesondere für die Musiker, die am Soundtrack beteiligt wurden. Eine Rocklegende ohne Musik wäre ja undenkbar. Auch hier ist es gelungen, Leute zu finden, die weit oberhalb des deutschen Qualitätsdurchschnitts liegen.
Das Buch hat zwei Teile. Im ersten Teil geht es um die ersten vier Jahrzente des Lebens von Karl David Korff alias Charly Davidson. Der zweite handelt, obwohl etwa gleich umfangreich, die letzten zehn Jahre in Davidsons Leben ab. War das von Anfang an so von Ihnen geplant?
Als ich 2002 begann den Plot für das Buch zu schreiben, damals noch mit Gabriele Krause (Anm.: der heutigen Ehefrau von Heinz Rudolf Kunze), ging ich noch von einem durchgängigen Buch aus, das “Überflieger” heißen sollte. Damals schon wurden Teile des Buches als einzelne Geschichten vom Heinz Rudolf Kunze Fanclub “Wunderkinder” auf deren Webseite publiziert; mit Heinz Rudolf habe ich damals Radiosendungen produziert und 2005 und 2006 in Jena große Literaturevents veranstaltet. Das scheint mir, wenn ich das hier mal sagen darf, auch der hauptsächliche Grund dafür zu sein, dass der “Rocklegende” immer wieder angedichtet wird, sie hätte viel mit Kunze zu tun. Das ist Quatsch. Die Legende vereint in sich hunderte von Künstler, sozusagen alle, die ich zwischen 1976 und 2008 interviewen durfte. Viele von denen haben mir Anekdoten aus ihrem musikalischen Leben erzählt, die ich geändert habe und dann im Buch einbauen konnte. Erst da ergab sich auch die Notwendigkeit, die Legende in zwei Teilen zu erzählen, sozusagen 1.) den Aufstieg und 2.) den Fall. Aber streng genommen hat das Buch ja vier Seiten, die A- und die B-Seite einer guten Schallplatte und dann auch noch die C- und die D-Seite der Medaille.
Nun kann man ja alles bereits im Internet lesen: weshalb sollte jemand dann im nächsten Jahr das Buch kaufen?
Was seit 2. September und noch bis zum Ende des Jahres im Internet zu lesen ist oder sein wird - immer montags und donnerstags gibt es einen weiteren Song - sind Auszüge der Rohfassung. Hier fehlen erstens Schlüsselszenen, zweitens habe ich ein, zwei Kapitel noch einmal umgeschrieben und, wie jeder gute Film, hat das Buch auch ein alternatives Ende. Außerdem wird noch vor der Leipziger Buchmesse 2011 das “Bloggbuch” wieder abgeschaltet. Zu guter letzt enthält das Buch auch eine Bonus-CD mit der Musik von Charly Davidson und Tondokumenten.
Wie Sie mir im Vorgespräch erzählt haben, wird es hierfür auch eine spezielle Musikplattform geben.
Das ist richtig, aber dies wird erst am 22. September bekannt gegeben. Die Musikplattform wird “V2 - Media Entertainment” heißen und soll perspektivisch auch andere Musikprojekte veröffentlichen, wie z.B. das kommende Solo-Album von Mick Szutor.
Ich fragte ja bereits, wieviel Sauer in Charly Davidson steckt und Sie haben dies mit einem Teil Ihrer Biografie beantwortet. Aber wievel Mensch von Ihnen selbst steckt in dieser Rocklegende?
Die menschliche Komponente ist sicherlich bei jedem Buch eines jeden Autors anders. Ich bin jemand, der die Philosophie vertritt, dass man am besten über Dinge schreiben kann, die einem nahe sind. Ja, da steckt schon viel persönliche Emotion in dem Buch, nicht immer in der Art und Weise, dass ich die Dinge selbst erlebt habe, aber doch so weit, dass ich Anekdoten, die mir Rockstars in den Interviews, die ich mit ihnen führen durfte, auf mich übertragen habe und mich fragte, wie ich selbst reagiert hätte, wenn mir dies widerfahren wäre.
Was war da die persönlichste Reaktion?
Das ist schwierig zu sagen. Sicherlich der Verrat an Charly durch seine zweite Frau. Da habe ich noch nicht einmal alles reingetan, was ch ursprünglich hineinpacken wollte. So fehlt zum Beispiel die adaptierte Version der Trennung von George und Pattie Harrison, die ihren Mann verließ, weil sie mit seinem besten Freund Eric Clapton eine Affäre begonnen hatte; dies obwohl Harrison seinen besten Song, nämlich “Something” für sie geschrieben hatte. Das sind auch Rocklegenden, die aber schon fast vergessen sind, allerdings nicht für mich. Dem Harrison-Drama entstammt auch mein Satz: “Loyalität ist kein guter Ersatz für Liebe - es ist der beste.”
Und, wie hättest Du an Harrisons Stelle reagiert?
Ich wäre wahrscheinlich, wie er, drogensüchtig geworden, wobei man mit einer gewissen Lebenserfahrung - Harrison war damals erst 27 Jahre alt - feststellt, dass man zwar vergeben kann, vergessen aber niemals.
Was könntest Du persönlich vergeben aber niemals vergessen?
Schwierige Frage…ich denke, wenn mich jemand verleugnen würde, für den ich viel getan habe, also uneigennützig, wenn der mich dann in der Öffentlichkeit ableugnen würde, das wäre das Schlimmste, das könnte ich nicht vergessen. Zum Glück ist mir das in meinem bisherigen Leben nur ein einziges Mal passiert. Aber ich bin nicht Jesus, der da mit einem Lächeln darüber geht. Bei mir sitzt so etwas tief, ich nehme einen solchen Verrat persönlich.
Aus zwei Teilen, zwei Seiten einer LP, besteht das Buch, wie Du sagtest. Du hast aber auch noch die C-Seite erwähnt. Wie muss man das verstehen?
Das Buch ist im Grunde eine Schallplatte, auch wenn es zuerst nicht danach aussieht. Die C- und die D-Seite sind Nachträge. Die C-Seite ist die “Charly”-Seite mit einer Audiografie, einer Textauswahl, der Quellenangabe für Nachforschungen in Sachen “Davidson” und der Bonus-CD “CODA”. Und vielleicht gibt es ja sogar noch eine D-Seite, eine “Davidson”-Seite, die nicht direkt mit der “Rocklegende” verwoben. Wenn das Buch ein Erfolg wird, wovon ich einmal ausgehe, eröffnet die Marke “Charly Davidson” die Möglichkeit die Legende literarisch fortzusetzen. Ich nenne, da ich von den danach geplanten Projekten nichts verraten möchte, einige Beispiele. So gibt es etwa “Laura Palmers geheimes Tagebuch” zur “Twin Peaks”-TV-Serie. Oder bei der Marke “Star Wars” verschiedene Nachfolgefilme, wie auch bei anderen Filmen üblich, also: “Der Sohn von …”, “… kehrt zurück”, “Die Rache von …” und so weiter.
Wird Charly Davidson denn nach seinem Tode zurückkehren?
Das wäre wirklich witzig, aber warten wir aber erst mal die Rückkehr von Jesus ab. Auf jeden Fall würde dann die Fortsetzung der Bibel der größte Mega-Bestseller aller Zeiten werden…(lacht)…nein. Es gibt so viel zu erzählen um Charly Davidson. Ich könnte mir zum Beispiel ein weiteres Buch vorstellen, in dem Charly erzählt “wie es wirklich war”, mit vielen Datails und so weiter. Außerdem sind ja die Texte von ChD noch nicht als Buch erschienen. Aber das alles wird man sehen und es hängt natürlich vom Erfolg der “Rocklegende” ab und ist eine souveräne Entscheidung des Verlages.
Welcher Verlag wird das Buch veröffentlichen?
Warten wir’s mal ab. Ich habe da schon so eine Ahnung…(lacht)...auf jeden Fall aber spätestens im Sommer 2011.
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