Wer etwas Neues will, der sollte es erproben. Das dachte sich Rainer Sauer, als er gestern in Schöten zu einem Testauftritt von "Switched-On Kabarett" (ab Januar monatlich live in Jena) einlud. Im ehemaligen Schötener Gasthaus gab es dann bereits kleine Eindrücke dessen, was das Publikum ab Januar erwarten wird.
Noch mit kleinem Instrumentarium zugange (Sauer hatte zwei EMULATOR Computersampler zu Hause gelassen), waren trotzdem schon die Eckpfeiler des neuen Programmes des 52-jährigen Jenaers zu erkennen. Da Ganze beginnt mit sphärischer Musik und einem dramatischen, dreisprachigen Warnhinweis: "Sehr geehrte Damen und Herren, bitte bewahren Sie Ruhe. Das angekündigte Programm wird in Kürze beginnen...Ladies and gentlemen, please remain calm. The announced program will begin shortly...Mesdames et messieurs, s'il vous plaît de rester calme. Le programme annoncé va bientôt commencer." - Es folgt eine Art Gespräch zwischen nicht ganz so aufgeweckten Jugendlichen, die ihr Leben danach auszurichten versuchen, wie es ihnen im Fernsehen vorgelebt wird: Koitieren, Flaschen zerdeppern, Popstar werden, Superreich - und wenn nicht, dann Hartz IV beantragen ("Der Letzte macht den Joint aus"). Das Intro ist eine kleine Hommage Sauers an seine große Leidenschaft, das Hörspiel.
Mit einem elektronischen "Bolero für HR Giger", wie Sauer später berichtet, den er 1989 für dem Schweizer Maler, Grafiker und Filmdesigner ("Alien") geschrieben hatte, beginnt das Programm, dessen Teil 1 insgesamt etwa 45 Minuten dauerte. Hierin lernen wir den Menschen Rainer Sauer näher kennen, "ich wollte es hier nur mal erwähnt haben, es muss ja nicht stimmen", wie er etwa das Leben sieht (in „Das Wort zum Alltag“) oder die Welt versteht („Eine Seite aus der Bibel, die ich selbst geschrieben habe“). Sauer lässt auch in kleinen, skurrilen Geschichten seine Kunstfiguren Buckelmann und Strelitz auftreten und spielt dazwischen immer wieder elektronische Songs im Stile von Tangerine Dream und Depeche Mode oder streut Klangbilder a la Brian Eno in sein literarisches Kabarett ein. - In der Pause gab es Musik, live aus seinem MIDI-Synthesizer.
Teil 2 des geplanten "Switched-On Kabarett"-Programmes, der etwa 5 Minuten länger ist als der erste Teil, beginnt mit einer Hommage an Walter "Wendy" Carlos und dessen Werk "Switched-On Bach", das für den Titel von Sauers neuem Programm Pate stand. Eines der Bachschen Brandenburger Konzerte spielt er, elektronisch umgesetzt, ähnlich wie einst auf der Schallplatte von 1968, mit der Carlos durch den Einsatz von MOOG-Synthesizern den Musikgeschmack vieler Menschen nachhaltig beeinflusste, und später erfährt man, dass er dafür acht Synthesizer einsetzte. Aber nur einen Text später schon wird es minimalistisch, als Sauer (nur mit einem kleinen Keyboard und einem Loop-Echo, dass er "Frippertronics" nennt) sozusagen aus dem Nichts großartig vorführt, wie Steve Reich seine „Six Pianos“ aufgebaut hat.
Kabarettistisch ist in Teil 2 Hanns Dieter Hüsch sein großes Vorbild und dessen Einfluss unüberhörbar. Etwa wenn Rainer Sauer erzählt "Hagenbuch, so wird berichtet...", und viele Lacher erntet, oder bei den Liedern und Texten, die er einst für Hüsch, der am Nikolaustag 2005 verstorben ist, schrieb. Er würzt das Ganze mit Anekdoten, etwa bei "In besten Händen" darüber, dass er Hanns Dieter Hüsch und dessen Frau einst einen Räucher-Nikolaus-Mann geschenkt habe ("gekauft auf dem Jenaer Weihnachtsmarkt") und dann auf dessen Todestag verweist. Es sind diese, teilweise wirklich anrührenden, Geschichten - etwa über seine Jugendliebe Waltraud, die ihn verschmähte und der er trotzdem versprach, dass man sie niemals vergessen werde -, die die Zuhörer faszinierten; erst zum Schluss erfährt man, dass die angesprochene Waltraud schon vor dreißig Jahren selbst aus dem Leben geschieden ist und Sauer mit diesem Text sein Wort gehalten hat.
Kurzum: manche Anwesenden hielten es ursprünglich für keine überragende Idee, Kabarett und Elektromusik zu vereinen, doch Sauers Programm scheint ebenso ausgefallen wie gelungen. Man merkt, dass sich da keiner eine Mütze aufgesetzt, die ihm nicht passt, sondern gerade bei anspruchsvollen Text- wie Musikpassagen ist hier jemand am Werk, der Kabarett kann und diese Musik nicht erst seit gestern macht. Angefangen hat Sauer damit schon 1975 und in den Achtziger Jahren machte er beim Hessischen Rundfunk die Kult-Sendung „Sounds vom Synthesizer“, weiß also was er da macht und vor allem wie. Das Testpublikum im Schöten war offensichtlich hochzufrieden und zog begeistert ab.
Bis Ende Januar, wenn das Programm in Jena startet, gibt es noch zwei weitere Testauftritte, allerdings wieder ohne vorherige Ankündigung.
Die Infos zu "Switched-On Kabarett" gibt es ab dem 01. Dezember HIER. In Kürze gibt es im LichtstadtNetz ein Interview mit Rainer Sauer zu seinem Kabarettprogramm.
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