Ein Bericht von Tim Schwarz - Es ist kühl, geht langsam aber sicher af den Winter zu und deshalb sitzen wir am Jenaer Saalbahnhof nicht „auf Gleis 4“ sondern etwas erhabener im Arbeitsraum des Autors, der die "Rocklegende" um den Musiker Charly Davidson erfunden hat: Rainer W. Sauer. Arbeitsraum ist wohl auch der richtige Ausdruck für diese Mischung aus Arbeitszimmer, Büro und Tonstudio im zweiten Stock des Hauses, das er mit seiner Frau und den beiden Töchtern seit 1996 bewohnt.
Hier gibt es auf der einen Seite Regale mit Büchern und Unterlagen, auf der anderen Seite ein Studiomischpult, Mikrophone, verschiedene Synthesizer und Gitarren, an der Stirnseite einen Schreibtisch. Aus dem Fenster sieht man den Turm des 'Landgrafen' im Nebel.
Der Zeitpunkt für unser Interview ist kein Zufall, denn heute, genau vor 19 Jahren, ist Sauer nach Jena übergesiedelt, arbeitet und lebt seit dem in der Lichtstadt an der Saale.
Was waren Ihre ersten Eindrücke von Jena?
Im Frühjahr 1991 war ich das erste Mal in Thüringer und auch in Jena, kam in den Monaten danach noch öfter hierher und es gibt da sogar einen kleinen Videofilm, den ich im Juni 1991 gedreht habe und auf dem man fast nur Trabis in der Stadt herumfahren sieht und Menschen, die mit Jeans, beigen Jacken und Stoffbeuteln an der Hand über den Markt gehen. Mein erster Eindruck war eine gewisse Tristesse, durchsetzt von Menschen, die mir diese Tristesse als ganz offensichtlichen Aufbruch in eine neue Zeit vermittelten. Und sie hatten ja auch recht, denn in ihren Herzen herrschte viel Freude und Hoffnung.
Wie sehen, wie bewerten Sie diese Eindrücke heute, mit fast zwei Jahrzehnten Distanz?
Die Menschen in Jena und auch ich, wir haben uns verändert, haben Jena verändert. Viel Tristesse wurde mit bunten Farben übertüncht, aber noch mehr wurde durch die Lebensumstände verändert, die heute völlig andere sind, als vor zwanzig Jahren. Man muss sich diesen kleinen Filmclip einmal anschauen und sofort zumerken, dass heute teilweise auf sehr hohem Niveau geklagt wird. Sicherlich überwiegend zurecht, aber eben auf sehr hohem Lebensniveau. Die größte Veränderung aber ist die Medienvielfalt der heutigen Zeit. Wenn ich sehe, wie derzeit das Thema "Mitbestimmen" expandiert, ja regelrecht explodiert, dann sieht man die größte Veränderung gegenüber 1991, 1990 und sowieso gegenüber 1989 und vorher.
Wie würden sie die Menschen in Jena charakterisieren?
Ich habe ja beruflich durch meine INTERJENA Communications mit vielen Menschentypen zu tun und sehe den Jenaer grundsätzlich als liebenswert, charakterstark und wissbegierig. Er hat kaum Berührungsängste mit Zugereisten, egal ob aus Nigeria, aus Niedersachsen oder Nagasaki. Er ist stolz auf seine Stadt, auf die Marke "Jena". Er hinterfragt viel und wenn er von einer Sache überzeugt ist, dann kann er sich ihr bedingungslos hingeben. Jena ist ein Fleck auf der Erde, in dem ich gerne bin. Wegen der Landschaft, wegen des technischen Fortschritts, der hier aufblüht, als auch - und dies vor allem - wegen der Menschen.
Sie haben ja schon einige Veranstaltungen in der Friedrich-Schiller-Universität durchgeführt...
…obwohl ich kein Abitur habe (lacht) …
...das waren literarisch-musikalische Veranstaltungen. Mit Heinz Rudolf Kunze zum Beispiel traten Sie mehrmals in der Aula auf. Warum die Uni und weshalb machen Sie dort kulturelle Veranstaltungen?
Die Universität hat eine solche Tradition in und für Jena. Sogar manche Jenenser wissen das nicht so richtig. Von Friedrich Schiller will ich hier gar nicht reden oder von Fichte, Hegel, Schelling, Schlegel; Goethe war eine Zeit lang für die Universität verantwortlich, forschte und entdeckte hier den Zwischenkieferknochen. Brentano, Hölderlin, Novalis studierten hier, Abbe, Schott und Zeiß ebenso, Karl Marx und Kurt Tucholsky bekamen in Jena ihren Doktortitel verliehen. Diese ganze Tradition kann man doch nicht ignorieren, wenn man abseits des städtischen Kulturbetriebes selbst und unabhängig Kultur macht, anschiebt, veranstaltet. Die Aula der FSU ist da genau der richtige Ort für mich.
Werden Sie dort auch Ihre "Rocklegende" inszenieren?
Das wird man sehen. Zuerst muss ja das Buch erscheinen, das wird im nächsten Sommer der Fall sein. Und dann darf man gespannt sein.
Sie arbeiten jetzt schon an die acht Jahre an dem Buch. Verzweifelt man da nicht manchmal?
Nein. Mein Dokumetarhörspiel "9. November 1989" verschlang auch mehr als sieben Jahre meiner Freizeit und bekam dann mehrere Preise. Manche Dinge brauchen eben ihre Zeit um zu reifen. Und bei der "Rocklegende" ist es so, dass es ja dieses Umfeld gibt, mit Webseiten, Dossiers, Musik und so weiter, und da gibt man nicht sein OK zu einem x-beliebigen Verlag. Hier musste alles stimmen, bevor es zur Veröffentlichung kommt und das gilt auch jetzt noch. Lieber ein halbes Jahr drauflegen, wenn etwas noch nicht ganz stimmig ist. Das Buch ist zeitlos und ich hadere nicht, habe nie gezweifelt. Bei manchen Dingen bin ich zuversichtlich und wissend, wenn ich sehe, wie gut eine Sache ist.
Aus zwei Teilen, zwei Seiten einer Langspielplatte, besteht das Buch - das sagten Sie bereits im Sommer-Interview. Der zweite Teil, die B-Seite, ist ab 4. November in Ausschnitten im Netz zu lesen. Was erwartet den Leser da?
Der Plot ist ja folgender: Das Buch ist im Grunde eine Schallplatte, auch wenn es zuerst nicht danach aussieht. Die A-Seite ist der Aufstieg des Jungen Karl David Korff als "Charly Davidson" zu einem Rockstar und sogar zu einer Rocklegende. Die B-Seite beschreibt den Niedergang, bis hin zu seinem Tod. Die Story an sich kennt man ja, von den drei "J"s, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und vielen anderen Beispielen, zu denen ich durchaus im Grunde auch Michael Jackson zählen würde. Aber die Frage ist doch: Weshalb zerbricht eine Karriere, ein Mensch? Wie geht ein Musiker mit Popularitätsverlust und Erwartungsängsten um, damit, dass sich die Fans von ihm abwenden. Hierauf gebe ich in meiner Legende ein paar schlüssige Antworten.
Ich fragte Sie schon einmal: Wird Charly Davidson nach seinem Tode zurückkehren?
Natürlich arbeite ich schon an einer Fortsetzung, jedoch als Prequel zu seinem Tode, als andere Erzählebene. Charly schildert da viele Dinge seines Lebens aus eigener Sicht, konterkariert sozusagen Vieles, was in der "Rocklegende" von mir erzählt wird, korrigiert, gewichtet sie so neu. Und bei Rocklegenden weiß man ja ohnehin nie, was erfunden und was die nackte Wahrheit ist.
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