Donnerstag, 10. März 2011

"Dr. Kurt Tucholsky in Jena" (Teil 3 einer Spurensuche von Rainer Sauer)

[Fortsetzung des 2. Teils] Zufrieden wegen seiner erfolgreich bestandenen mündlichen Prüfung, aber noch ohne "richtigen" Doktortitel (denn eine Druckerlaubnis für seine Dissertation wurde Kurt Tucholsky zum Prüfungstermin nicht erteilt), hatte der 24 Jahre alte Schriftsteller am frühen Abend des kühlen 19. Novembers 1914 (die Höchsttemperaturen lagen bei nur bei 4°C, die Abendtemperaturen unter 0°C) die Wahl, eine Nacht in Jena zu verbringen oder am Saalbahnhof den letzten Schnellzug nach Berlin zu erwischen.

Wie sich Tucholsky damals entschieden hat, ist bis heute nicht bekannt. Weder hat er es niedergeschreiben, noch irgendwem so berichtet, dass es weitererzählt wurde. Ein Ausflug nach Erfurt zur Gruft der Dichterfürsten, den er am Freitag Vormittag sicherlich hätte einplanen können, ist von ihm nie erwähnt worden, hätte aber bestimmt Erwähnung gefunden, wenn er denn stattgefunden hätte; schließlich steht auf Kurt Tucholskys Grabplatte in Schweden das von ihm selbst gewählte Schlußwort aus Goethes "Faust II": "Alles Vergängliche Ist Nur Ein Gleichnis".

Es darf also durchaus spekuliert werden, ob sich Tucholsky 1914 nicht nur einen Tag lang in der Saalestadt aufgehalten hat. Auf jeden Fall war K. T. in der Universiät zur müdlichen Prüfung angetreten und wurde in Jena (anders als z. B. Karl Marx im Jahre 1841) nicht "in absentia" promoviert. Nun saß er Ende November 1914 aber wieder in Berlin, machte Werbung für sein neues Buch "Der Zeitsparer" und wartete und wartete auf die Druckerlaubnis aus der Provinz.

E
rst mit dieser hat der Kandidat auf den Doktortitel, sofern er die Promotionsprüfung bestanden hat, das Recht gedruckte Exemplare der Dissertation als Pflichtstücke an das Dekanat der Fakultät abzuliefern. Die Pflichtstücke wurden in Jena seinerzeit wie folgt verteilt: ein Exemplar verblieb im Dekanatsarchiv, zwei Exemplare gingen an die zentrale Universitätsbibliothek zur Ausleihe.

Es wurde Dezember und dann brach sogar der Januar 1915 an, ohne dass ihm die Druckerlaubnis zugestellt wurde. Tucholsky wollte es nun genauer wissen und deshalb schrieb er am Dreikönigstag 1915 den Dekan der Juristischen Fakultät Universität Jena mit der Bitte der Erteilung eben dieser Druckerlaubnis an, weil (Zitat Tucholsky) "...ich in kurzer Zeit zum Militärdienst einberufen werde...", was nicht der Wahrheit entsprach, denn es sollte noch ein halbes Jahr ins Land gehen, bis Tucholsky an die Ostfront des 1. Weltkrieges befohlen wurde.

Jedenfalls kam man in Jena sofort dem Wunsch des Kandidaten nach, erteilte die Erlaubnis zum Druck seiner Dissertation, die dieser umgehend an den Verlag Robert Noske in Borna-Leipzig (einen Großverlag für Dissertationen) sandte und schon vierzehn Tage später konnte er die Pflichtexemplare der Promotion mit der Post nach Jena schicken. Von nun ab stand K. T. das Recht zu, den Doktortitel (Dr. jur.) zu führen. Die Erstellung der Urkunde dauerte dann noch einmal bis zum 12. Februar 1915 und ab da war es endlich offiziell: aus Kurt Tucholsky war ein "Dr. jur." geworden.

Gut zwei Jahrzehnte später starb Dr. jur. Kurt Tucholsky im Exil in Schweden: ausgebürgert und verfemt von den Nationalsozialisten, desillusioniert, weil er dachte, seine Worte seien in Deutschland wirkungslos geblieben, beschämt, weil er seinem inhaftierten Freund und Mitherausgeber der "Weltbühne", Carl von Ossietzky, nicht beistehen konnte. Tucholsky war zudem gesundheitlich angeschlagen, musste wegen ständiger Magenbeschwerden Barbiturate nehmen, um einschlafen zu können. Er starb durch eine Überdosis an Tabletten am Abend des 21. Dezembers 1935 im Alter von 45 Jahren im Sahlgrenschen Krankenhaus in Göteborg.

Jahrzehntelang wurde davon ausgegangen, dass der Schriftsteller Suizid beging; als Indiz wurde ein letzter Brief an seine frühere Ehefrau Mary Gerold-Tucholsky angesehen - einen Abschiedsbrief im klassischen Sinne gibt es allerdings nicht. Inzwischen wird ein gezielter Siuzid durchaus angezweifelt, denn eine Selbsttötung aus Versehen scheint zumindest im Bereich des Möglichen.

Das Leben von Kurt Tucholsky - Dr. jur. Kurt Tucholsky - war aber nicht umsonst. Ganz im Gegenteil: auch wenn Carl von Ossietzky die Nazi-Haft nicht überlebte (er starb 1938), wurde an diesen - u. a. auf Anregung Tucholskys - 1936 der Friedensnobelpreis verliehen. Und auch Kurt Tucholskys Werk ist ein dreiviertel Jahrhundert nach seinem Tode noch immer aktuell (erst vor wenigen Jahren wurde z. B. "Schloß Gripsholm" neu für's Kino verfilmt) und wird von den Menschen nach wie vor gelesen, geliebt und geschätzt.

Dies auch, weil er über alle Grenzen, Parteien und Auffassungen hinweg immer und stets ur-deutsch war. Oder wie es Tucholsky in einem seiner berühmtesten Bücher ausdrückte: "Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht - unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert - die stille Liebe zu unserer Heimat."

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