Mittwoch, 23. November 2011

Für das ZDF scheint die Sache klar: Jena ist ein braunes Nest, der Osten Deutschlands in rechter Hand (Ein offener Brief an das ZDF)

(lsn / Thomas Uhlemann) - Werte Sendeverantwortliche des ZDF, in dem von Ihnen ausgestrahlten Beitrag, der derzeit noch in Ihrer Mediathek zu finden ist (siehe Bildausschnitt oben), widmen Sie sich dem Versuch, rechtsradikale Strömungen bzw. deren aktuelle terroristische Auswüchse zu erklären.

Leider muss man der Redaktion dieses Beitrags hier den Bildungsanpsruch, den das ZDF als öffentlich rechtliche Sendeanstalt ganz klar gesetzlich hat, gänzlich absprechen. Ich werde hier nicht den online viel zitierten RTL-Vergleich bemühen, allerdings möchte ich doch darauf hinweisen, dass das Niveau des Beitrags in seiner meinungsbildenden, reißerischen und aufs Schlimmste verallgemeinernden Art doch eher unterirdisch ist.

Das Fazit des Beitrages lautet klar: Mitbürger mit Migrationshintergrund sollten den gesamten östlichen Teil Deutschlands meiden. Eine Fläche von rund 108 000km² wird einfach in zehn Minuten Sendezeit zur Sperrzone für einen nicht unbedeutenden Teil unserer Gesellschaft erklärt. Warum? Weil Sendezeit gefüllt werden musste? Weil man gegen die Einschaltquoten der privaten Sender antreten muss? Weil ein Schriftsteller sein Buch verkaufen möchte? Oder vielleicht doch eher, weil es recht bequem ist, rechtsradikale Verirrungen 20 Jahre nach dem Anschluss der fünf neuen Bundesländer an den Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, mit einer aus Verzweiflung und Unfähigkeit resultierenden Aggression ostdeutscher Bürger zu erklären?

Wenn dem so wäre, wäre das nicht nur journalistisch grob fahrlässig und zu kurz gedacht, sondern nicht anders als mit der noch immer in den Köpfen Ihrer Mitarbeiter vorhandenen Mauer und einer dadurch skizzierten Zwei-Klassen-Gesellschaft zu erklären. Ich als Bürger Jenas und selbst Opfer rechter Gewalt Mitte der 1990er-Jahre, wehre mich vehement gegen die Sippenhaft in die das ZDF sämtliche Bürger der fünf neuen Bundesländer steckt und bin unheimlich stolz auf das faktisch Nichtmehrvorhandensein nationalsozialistischen, braunen Gedankenguts in unserer Stadt.

Lediglich fünf Minuten Recherche (vll. während der Zugfahrt von München nach Jena) hätte Ihrem Team nicht nur gezeigt, dass alleine Jenas Oberbürgermeister erst kürzlich für sein Engagement gegen rechtes Gedankengut geehrt wurde.

Die Recherche hätte auch eventuelle Wahlergebnisse rechter Parteien in unserer Stadt gezeigt, in denen die NPD oder andere braune Parteien keine Rolle spielen, wohl aber eine ganze Reihe an friedlichen, bunt gemischten Veranstaltungen, Aktionen und Demonstrationen gegen braunes Gedankengut durch etliche Institutionen quer durch die Gesellschaft hinweg.

Ein Blick neben das Mikrofon und die Kamera des Teams hätte Ihrem Team außerdem wahrscheinlich während des gesamten Aufenthaltes in Jena nicht einen offensichtlich rechtsradikalen Mitbürger gezeigt, wohl aber einen Querschnitt durch sämtliche Ethnologien und Ideologien dieser Welt und die Menschen dazu, die tagtäglich als Einwohner dieser Stadt ihren Beitrag für ein normales Miteinander leisten. Ich möchte bei Jena bleiben, da ich mir nicht das Recht heraus nehme, für die restlichen Einwohner, gleich welcher “Coleur”, der östlichen Bundesländer zu sprechen, geschweige denn zu urteilen.

Jenas Einwohnerzahl beträgt ca. 105 000 - mehr als 1/4 davon sind Studenten aus aller Herren Länder. Dies hat mehr als einen Grund, wohl aber NICHT rechtsradikale Übergriffe! Hätten Sie Jugendpfarrer König, dessen Meinung und Aktionen ich höchst selten teile, zugehört und verstanden und nicht aus dem Zusammenhang heraus zitiert, hätten Sie auch die tatsächlichen Gründe für noch immer vorhandenes extremistisches Gedankengut, gleich welcher Farbe und Richtung erkannt:

Es ist das Wegschauen der (Bundes-)Politik, das Kürzen von Budgets zur Gewaltprävention und Integration, das Kürzen von Budgets von Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche, die immer noch ungleiche Lohnstruktur in Ost und West, und natürlich das Fehlen von Perspektiven nicht nur durch plumpe Abstempelung wie in Ihrem Falle.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte nicht als “undankbarer, heulender oder ständig nörgelnder Ossi” erscheinen, ich möchte Sie lediglich darauf hinweisen, dass der Osten dieser Republik und seine Einwohner mehr sind als ein brauner Moloch rechter Gewalt, der um jeden Preis gemieden werden müsste.

Ich selbst arbeite für einen internationalen Konzern in leitender Funktion von Jena aus, eine Möglichkeit, die meine Eltern nicht hatten - die aber möglich wurde, durch das couragierte Auftreten nicht nur meiner Eltern, sondern genau dieser ostdeutschen Bevölkerung, die Sie nun über - bei Rechtsradikalen kaum vorhandenen Kamm - scheren und an den rechten Rand (leider nicht rein geografisch) drängen wollen. Menschen sind Menschen, egal welcher Hautfarbe, Religion, sonstiger Weltanschauungen, Namen, Nationalitäten oder anderer Interessen. Ein gewisser Prozentsatz der Menschheit, egal welcher Hautfarbe, Religion, sonstiger Weltanschauungen, Namen, Nationalitäten oder anderer Interessen, stört jedoch immer wieder das friedliche Miteinander aufgrund fehlender Bildung, häuslicher Umstände, Perspektivlosigkeit - die Liste ist lang.

Dies ist nirgendwo auf dieser Welt ein rein lokales Problem - somit auch nicht nur in Ostdeutschland ein
Problem ist es dann, wenn eine Gesellschaft sich das Denken in Schubladen vorgeben lässt, wegschaut und Profit über das Allgemeinwohl stellt. Und das Versagen und die Ursachen recherchieren Sie, liebe Gebührenempfänger, demnächst in Berlin, Bonn und, wenn Sie die Kraft dazu haben, in Mainz.

Thomas Uhlemann, Jena

Keine Kommentare: