Donnerstag, 19. April 2012

ARD-Thema "NSU": "Die beiden Jungs haben sich das Leben genommen. Sie haben keinen Ausweg mehr gesehen und wollten auch nicht ins Gefängnis gehen."

(lsn/panorama) - "Er war unser Liebling", sagen Brigitte und Jürgen Böhnhardt heute Abend ab 21 Uhr 15 im ARD-Magazin "panorama" über ihren jüngsten Sohn Uwe. Gleichzeitig war er aber auch ein rechtsextremer Terrorist. Dies alles zu verarbeiten, darüber zu erzählen, fällt den Eltern schwer.

Noch immer spüre sie den Druck, als Uwe Mundlos, der beste Freund ihres Sohnes, sie ein letztes Mal umarmt, berichtet Brigitte Böhnhardt. Beinahe zehn Jahre sei das nun her und es war eines von wenigen heimlichen Treffen in einem Park, zu dem sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Jürgen gefahren war, um ihren Sohn, der 1998 untergetaucht war, zu sehen und mit ihm zu sprechen.

Uwe Böhnhardt war, als beide ihn im Herbst 2002 das letzte Mal treffen, bereits am kaltblütigen Mord an vier Menschen beteiligt gewesen, wird noch sechs weitere Morde begehen. In drei Fällen machen Böhnhardt und Mundlos nach den tödlichen Schüssen noch Fotos ihrer Opfer, sammen so als Terroristen menschenverachtende Trophäen.

Bis am 5. November 2011 haben Brigitte und Jürgen Böhnhardt das weder geahnt noch gewusst, sagen sie. An jenem Samstag klingelt morgens um 7 Uhr das Telefon, Brigitte Böhnhardt geht an den Apparat und hört die Stimme von Beate Zschäpe. "Frau Böhnhardt", sagt Zschäpe zu ihr, "der Uwe kommt nie mehr zurück." Die Mutter ist wie gelähmt und fragt: "Ist der Uwe tot?"

"Ja, der Uwe ist tot, er kommt nicht wieder zurück." - "Wann? Warum?", will Brigitte Böhnhardt wissen. "Die beiden Jungs haben sich das Leben genommen, sie haben keinen Ausweg mehr gesehen und wollten aber auch nicht ins Gefängnis gehen", versucht Zschäpe das zu erklären, was tags zuvor in Eisenach vorgefallen war, so berichtet es SPIEGEL.Online. Beate Zschäpe informiert an jenem Morgen auch Prof. Mundlos und dessen Frau über den Tod von Uwe Mundlos.

"Der einzige Grund, warum ich anrufe, ist, weil der Uwe euch sehr lieb gehabt hat und es war ihm wichtig, dass Sie das erfahren", sagte Zschäpe nach Informationen des Nachrichtenmagazin SPIEGEL. Sie werde "nie wieder anrufen" und "nie wieder zurückkommen", habe Beate Zschäpe mit selbstbewusster Stimmlage gesagt, so gibt es Uwe Mundlos' Mutter später zu Protokoll.

In den Tagen und Wochen nach den morgendlichen Telefonaten erfahren die Ehepaare Böhnhardt und Mundlos, wie ihre Söhne und Beate Zschäpe insgesamt 14 Jahre lang in der Illegalität lebten, keine 80 Kilometer von Jena entfernt, müssen begreifen lernen, wie sie mehr als ein Jahrzehnt lang grausam mordend, raubend und plündernd durch die Republik gezogen waren.

So etwas Kaltblütiges könne sie ihrem Sohn nicht zuordnen, sagt Brigitte Böhnhardt heute Abend in der ARD. "Glauben Sie, ich hätte meinen Sohn umarmt, wenn ich irgendetwas geahnt hätte?", fragt sie den Reporter. Sie selbst arbeitete als Lehrerin mit Kindern, die Probleme in der Schule haben. Mit ihrem Sohn, der Probleme in der Schule hat, kam sie dagegen nicht zurecht.

In der Dokumentation in "panorama" beschreibt die Rentnerin, wie ihr die Erziehung ihres eigenen Kindes missglückte, wie sie es als Niederlage empfand, wenn sie ihn von einem Polizeirevier abholen musste und wie sie sich nicht zu helfen wusste, als er immer wieder straffällig wurde. Regelrecht erleichtert scheint sie gewesen zu sein, als Uwe Böhnhardt bereits mit 15 Jahren für vier Monate ins Gefängnis kam. Er habe, so glaubt sie, diesen "Schuss vor den Bug" gebraucht.

Und doch half es nichts. Uwe Böhnhardt gleitet immer stärker in die rechte Szene ab, vertreibt sich die Zeit, auf Nazi-Demos. Auch zuhause haber Parolen gegrölt "Ausländer raus" oder "die Juden haben an allem Schuld". "Kennst du überhaupt Juden?", hatte Brigitte Böhnhardt ihren Sohn damals gefragt. Er blieb ihr die Antwort schuldig, schreibt SPIEGEL.Online.

Seine Eltern stehen dennoch zu ihm, so sagt es Brigitte Böhnhardt nach SPIEGEL-Informationen in einer Zeugenbefragung. "Wir haben ihm immer gesagt, dass unser Haus offen steht für ihn. Wir haben ihn immer unterstützt." Für sie sei er wie eine "zwiegespaltene Persönlichkeit" gewesen: "Solang er hier Zuhause war, war er der liebe Sohn, hat sich um alles gekümmert." Sobald es aber unten an der Tür geklingelt habe, "dann war er plötzlich nicht mehr der liebe Uwe, sondern verwandelte sich".

Sein bester Freund UNwe Mundlos sei ein dagegen "charmanter, junger, intelligenter Mann" gewesen, der studieren wollte. "Vielleicht zieht er unseren Uwe ja mit", habe Brigitte Böhnhardt gehofft. Auch auf Beate Zschäpe (Foto links mit Uwe Böhnhardt) hätten sie ihre Hoffnung gesetzt. Vor dem letzten heimlichen Treffen im Herbst 2002 bittet Zschäpe Brigitte Böhnhardt, sie möge "bitte" ihre Rezepte von Kuchen und Plätzchen mitbringen, Uwe würde sie so gerne mal wieder essen.

Sogar Uwe Mundlos habe bei einem Rezept gerufen: "Oh, mein Lieblingskuchen!" Er, ihr Sohn und Beate Zschäpe hätten sich richtig gefreut. Erst danach erzählen sie dem Ehepaar, dass dies das letzte Wiedersehen bleiben wird, dass man für immer verschwinden wolle. Gründe nannten sie nicht, doch habe man geahnt, dass die Drei auswandern wollten.

Dass Böhnhardts Eltern bis 2002 Kontakt zu den drei Untergetauchten hielten, blieb dem Thüringer Verfassungsschutz ebenso verborgen wie die Tatsache, dass sie da schon lange den "NSU" gegründet hatten. bei einem der heimlichen Treffen habe sie, sagt Brigitte Böhnhardt, Zschäpe gefragt, ob sie denn die Hausfrau bei den Dreien sei. "Ja!", habe diese entgegnet. Und mit wem sie eine Beziehung führe, wollte die Mutter wissen. Sie seien drei Freunde, mehr nicht, habe Zschäpe geantwortet. Man habe eine 4-Raum-Wohnung, jeder habe dort sein eigenes Zimmer, ihre beiden Katzen, sagte Zschäpe.

Heute Abend sieht man in der ARD auch: Ratlos, verzweifelt sitzen Brigitte und Jürgen Böhnhardt in ihrem Wohnzimmer während des Interviews mit dem NDR-Team. "Wir können nicht um Verzeihung bitten", sagt die Mutter in die Kamera. "So etwas kann man nicht verzeihen. Man kann doch niemandem verzeihen, der einen Vater oder einen Ehemann umgebracht hat."

Das Gespräch ist heute Abend ab 21 Uhr 15 zu sehen in der ARD bei "panorama". In einer halbstündigen Lang-Fassung wird das Interview zusätzlich ab 24 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Anschauen kann es sich aber auch HIER.

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