(ZONO Radio Jena) - In wenigen Wochen wird die Bundesanwaltschaft dem Bundesgerichtshof ihre Anklage gegen Beate Zschäpe als Mitglied der rechtsradikalen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" / "NSU" vorlegen; eine weitere Anklage gegen Ralf Wohlleben als Unterstützer des "NSU" folgt noch im Jahre 2012.
Sechs Wochen lang, bis zum 20.08.2012, berichtet ZONO Radio Jena in seinem lokalen Hörfunkprogramm und auf "Lichtstadt.Netz" über den Abschluss der Ermittlungen, listet Details der einzelnen Anklagepunkte auf und gibt den chronologischen Ablauf der "NSU"-bezogenen Ereignisse zwischen dem Januar 1998 und dem November 2011 wieder. Heute ist es...
"INSIDE NSU" - Teil 3
Januar 2002 bis Januar 2005: Zwickau, Polenzstraße 2
(zusammengestellt von Tim Schwarz)
Vier Jahre sind Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe / BMZ zum Jahresbeginn 2002 bereits untergetaucht; seit einem Jahr leben "Gerry", "Max" und "Liese/Lisa" unerkannt in der Zwickauer Polenzstraße. Zwar haben Böhnhardt und Mundlos / BM während dieser Zeit bei vier Überfällen auf Postämter in Chemnitz und Zwickau sowie den Chemnitzer EDEKA-Supermarkt rund 120.000 DM (oder mehr als 60.000 Euro) erbeutet, allerdings leben sie von diesem Geld auch zu Dritt, kaufen sich Waffen, fahren in gemieteten Personenwagen, Vans, Wohnmobilen und mit der Bahn umher.
Rund 4.500 Euro haben sie durchschnittlich im Monat verbraucht, so hat die Bundesanwaltschaft errechnet, und die "geregelte Arbeit", der BMZ nachgehen, besteht darin, zu gegebener Zeit einen Raubüberfall auf ein Geldinstitut vorzubereiten und zu begehen, dadurch die Haushaltskasse aufzufüllen: bis zum Januar 2005 werden aus diese Weise nochmals rund 150.000 Euro hinzukommen.
Von den Nachbarn in der Polenzstraße 2 bekommt hiervon niemand etwas mit. Sie wundern sich noch nicht einmal darüber, dass niemand den Nachnamen von "Max" / M und "Gerry" / B kennt. Sie kennen vor allem die Mieterin der Erdgeschosswohnung: Z alias "Susann Dienelt", die sich "Lisa" rufen lässt, aber gute nachbarschaftliche Bekannte und Freundinnen dürfen sie "Liese" nennen. Während die Männer viele Stunden am Computer verbringen, bäckt und kocht Liese, was man im ganzen Innenhof riechen kann und das sei beileibe keine Belästigung gewesen, wie eine Nachbarin den Ermittlungsbeamnten berichtete, sondern "bei Liese hat es immer so gut aus der Küche geduftet".
Das heile Bild einer biederen kleinen Wohngemeinschaft halten BMZ auch sonst kräftig am Leben. Nachdem sie bereits 2002 Urlaub auf Usedom gemacht haben, wollen sie im Sommer 2002 nochmals an die Ostsee fahren um dort zu entspannen. Die Nachbarn freuen sich für die Drei, wollen so lange die Pflege der beiden Katzen Heidi und Lilly übernehmen, aber das macht schon Susann Em*ng*r, die häufig zu Besuch kommt, Zs beste Freundin ist und die Frau von André Em*ng*r / AE, der als "der dritte Mann" immer für BMZ da ist, wenn Hilfe benötigt wird. So ist es in dieser Zeit vor allem AE, der die PKWs,Transporter und Wohnmobile für BMZ anmietet.
Z zuliebe haben B und M mehr als ein Jahr lang auf einen weiteren Überfall verzichtet, morden zudem nicht mehr. Dafür verbringen sie ihre Zeit immer öfter am Computer; "Max" spielt mit anderen Usern u. a. "World Of Warcraft", ein Multiplayer-Online-Rollenspiel. Aber ihren Computer nutzen BM nicht nur zum Zeitvertreib. In ihrer Rolle als "Nationalsozialistischer Untergrund" feilen M und B 2002 und 2003 weiter an der theoretischen Unterfütterung des "NSU". Im März 2002 speichert M ein Dokument mit dem Bild-Dateinamen "NSU Brief.cdr" ab. Es ist das "Manifest" der "NSU", der einzige vorhandene Text, in dem versucht wird, dem "Nationalsozialistsichen Untergrund" so etwas wie einen ideologischen Pathos zu verleihen.
"Der Nationalsozialistische Untergrund verkörpert die neue politische Kraft im Ringen um die Freiheit der Deutschen Nation", heißt es darin. Die Aufgaben des "NSU" bestünden "in der energischen Bekämpfung der Feinde des Deutschen Volkes" sowie der Unterstützung von Kameraden. Getreu dem Motto "Sieg oder Tod" werde es kein Zurück geben. "Worte sind genug gewechselt, nur mit Taten kann ihnen Nachdruck verliehen werden." -Veröffentlicht wird der Brief, ebenso wie die beiden bis dahin produzierten Videos, anscheinend nicht. BMZ bleiben dabei: Der "NSU" ist eine Terrorbewegung, die ohne Bekennerschreiben auskommt.
Im April 2002 finden die Eltern von B einen weiteren Zettel in ihrem Jenaer Briefkasten, mit der Bitte um eine weiteres Treffen in Chemnitz. Ob ihn B selbst eingeworfen hat, konnte nicht festgestellt werden. Jedoch ist aus einer Zeugenaussage, die in der Anklageakte enthalt ist, bekannt, dass B in dieser Zeit tatsächlich in der Lichtstadt war, sich mit einem alten Freund auf dem zentral gelegenen Jenaer Eichplatz traf.
Beim letzten Aufeinandertreffen mit dem Ingenieur Jürgen Böhnhardt und seiner Frau Brigitte, die als Lehrerin arbeitet, in einem Chemnitzer Park, überraschen die Drei Bs Eltern mit der Nachricht, dass die "das letzte Treffen" sei. Z hatte Brigitte Böhnhardt zuvor um ein Kochbuch mit den Lieblingsrezepten ihres Sohnes gebeten und berichtet bei dem Treffen unerwartet von Auswanderungsplänen. Bs Mutter bittet M daraufhin, auf ihren Sohn "aufzupassen". Es ist ein tränenreicher Abschied, wie die Eltern in der ARD-Sendung "Panorama" berichten.
Australien und Südafrika sind in dieser Zeit tatsächlich Optionen für das Trio, wie übereinstimmend Max-Florian Bu. (das Alter Ego von "Max") und Holger Gerlach / HG (dessen Alter Ego "Gerry" ist ) den Ermittlern berichten - M und B nutzen jeweils Originalpapiere der beiden. Zu Max-Florian Bu. soll M sogar einmal gesagt haben: "Ich hätte mein Studium nicht abbrechen sollen. Ich habe mir mein Leben verbaut."
Dafür läuft es für die Drei in der Zwickauer Polenzstraße bestens: da sie überhaupt nicht in das Klischee passen, dass Rechte aus dumpfen, dörflichen Milieus kommen, und sich so gut wie nie über Ausländer äußern, fallen sie hier niemanden unangenehm auf. Kein Nachbar denkt an "Max" und "Gerry", wenn von den Überfällen zweier Männer in Zwickau und Chemnitz erzählt wird.
Doch nach dem Sommerurlaub in Flensburg wird dem Terroristen-Trio des "NSU" das Geld knapp. Überfälle auf Postbank-Fillialen sind B und M inzwischen zu heikel geworden-. Sowohl in Chemnitz als auch in Zwickau scheint man bei Post und Polizei gewappnet zu sein für Überfälle, die immer gleich ablaufen: zwei maskierte Täter, einer (B) größer als der andere (M) stürmen in eine Post-Filliale, bedrohen die Kunden mit Pistolen oder Reizgas, einer springt über den ungeschützten Tresen und erbeutet in nur wenigen Minuten viele Tausend Euro, bevor beide auf Fahrrädern flüchten.
BM beschließen für den Herbst 2002, erstmals eine Sparkassen-Filliale zu berauben. Diese Geldinstitute sind zwar besser abgesichert als Postfillialen, auch kann man hier nicht einfach hinter den Tresen springen, trotzdem ändern B und M nichts Grundsätzliches an ihrem Vorgehen. Am Mittwoch, den 25.09.2002 stürmen sie maskiert in das Gebäude der Sparkasse in Zwickau-Auerbach. Beide tragen hierbei Perücken, Tücher vor dem Gesicht und Sonnenbrillen. Wieder geht B nach vorne und bedroht den Kassierer mit einem Revolver, M hat einen Rucksack auf, ein abgesägtes Gewehr in der Hand und deckt den Rückzug. Als B mehr Geld verlangt und der Kassierer sagt, man habe heute nicht viel Geld in der Kasse, bestehen beide darauf, dass der Tresor geöffnet wird. Und sie machen bei diesem Überfall ihre bisherige Rekordbeute von 48.571 Euro. Kunden und Angestellte werden dabei, wie beim Überfall auf die Post in Zwickau ein Jahr zuvor, mit Reizgas besprüht. Nach dem Überfall flüchten BM auf Trekkingrädern.
Doch dem Kassierer in Zwickau fällt etwas auf, was in den Jahren zuvor in den Fahndungen noch keine Rolle gespielt hat. Er beschreibt den vorderen Täter (= B) als größer als den hinteren (= M). Außerdem war ihm aufgefallen, dass der vordere Täter Linkshänder ist, derjenige, der hinten den Rückzug abdeckte, Rechtshänder. Dies ist das erste Muster, mit dem die Polizei arbeiten kann: zwei junge Männer sind es, einer größer als der andere, der größere ist Linkshänder, beide flüchten auf Trekking-Rädern.
Wieder zurück in der Polenzstraße arbeitet M in den folgenden Monaten am "Merchendising" des "NSU", entwirft das Design für Aufdrucke auf "T-Hemden". Ettliche Ordner mit Bilddateien von Ende 2002 und Anfang 2003 konnten auf der Festplatte rekonstruiert werden. Einmal ist sogar der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hinter Gitterstäben zu sehen, auf seiner Brust prangt ein Judenstern, darunter der Spruch: "Niemand entgeht seiner Gerechtigkeit". Auch davon bekommen die Nachbarn nichts mit.
Zwar rutscht Liese beim Gespräch mit Nachbarn gelegentlich einmal das Wort "Türkenpack" heraus, aber sie hat nichts gegen die afghanische Familie, die zwei Stockwerke über der "NSU"-Wohnung lebt. Die seien verfolgt worden und in Deutschland auf "Hilfe angewiesen", wie Liese einer Nachbarun zustimmt, die ihr die Geschichte der Familie erzählt.
Lise sei eine "Herzengute" gewesen, sagte später ein anderer Nachbar vor der Polizei aus. Mit der geistig behinderten Tochter einer weiteren Nachbarin an der Hand geht Z sogar öfter zum Aldi-Discounter, der nur wenige Meter vom Haus in der Polenzstraße entfernt ist und jedes Mal "durfte sich die Kleine was aussuchen", gab er zu Protokoll.
Auch der ungewöhnlich hohe Finderlohn von 500 Euro, den Z aussetzte, als ihre Katze Lilly entlaufen war, verwundert die Nachbarn nicht. "Die beiden Katzen waren eben Lieses Ein-und-Alles", erzählte eine Nachbarin den Ermittlern des BKA und eine andere sagte aus: "Die Katzen waren ihre Babys. Als die eine weggelaufen war, so fertig habe ich die Liese vorher und nachher nicht erlebt." Doch Lilly wurde wiedergefunden und Z war überglücklich; tagelang gab es im Hof hinter dem Haus kein anderes Thema.
Wenn B und M mal wieder unterwegs sind, berichtet Liese auch schon mal von den beiden Männern. "Wie Männer halt so sind", sagte eine Nachbarin aus: "Nichts schlimmes, nur so zum Beispiel, wie Liese eben manchmal das Klo vorfand." Oder es geht darum, dass "ihr Mann" (B) im PC-Raum geschlafen habe und nicht bei ihr. Auch "der Andere" könnte mehr im Haushalt tun. Frauenthemen, von denen BM wohl nichts ahnten.
Auch, dass die beiden Männer keinen Tropfen Alkohol anrühren würden, "aus Prinzip", erzählt Liese ihren Nachbarinnen. Sind "Max" und "Gerry" dann mal nicht im Haus, gab es von Liese aber schon mal "das eine oder andere Gläsel Wein". Manchmal seien es auch zwei, gelegentlich drei Flaschen gewesen, eher selten auch Schnäpse, nehmen die Beamten zu Protokoll. "Die Männer waren ja auch manchmal eine ganze Woche weg", Und Z brauchte dabei offensichtlich etwas zur Beruhigung.
Am 15.09.2003 endet der Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Gera vom Januar 1998 gegen BMZ. Über einen Anwalt, der von Z beauftragt wurde, gibt es bei der Staatsanwaltschaft die Nachfrage, ob dies "so sei". Dem Anwalt wird versichert, dass alle drei Haftbefehle tatsächlich erloschen sind; von weiteren Taten des Trios wissen die Behören nichts.Mit dem Gefühl, dass bei ihren bisherigen Überfällen noch niemals etwas schiefgelaufen ist, überfallen B und M nur eine Woche nach Ablauf der Haftbefehle eine weitere Sparkasse, diesmal erneut in Chemnitz. Nach dem Ende des Bankraubs am 23.09.2003 sind BMZ fassungslos über das klägliche Ergebnis des lange vorbereitten Coups. Der Tresor blieb verschloissen, zeitschlossgesichert waren in der Kasse nur wenige Hundert Euro gewesen, von denen B und M 435 Euro als Beute mitnehmen können.
Über weitere Aktivitäten des "NSU" zwischen dem Oktober 2003 und dem späten Frühjahr 2004 hat die Bundesanwaltschaft nur lückenhafte Erkenntnisse. Überhaupt sind die Zeitlücken für die Anklagebehörde im Verfahren ein großes Problem, obwohl man akribisch daran gearbeitet hatte, diese zu schließen. Auf Seiten des BKA geht man davon aus, dass BMZ in der eben genannten Zeit durch Deutschland gereist sind, möglicherweise auch in die Schweiz, wahrscheinlich wieder mit Vans oder in Wohnmobilen und beflügelt durch die Sicherheit, dass man sie wegen der Sache mit der Bombenwerkstatt in Jena nun nicht mehr sucht, eine Festnahme aus diesem Grund ausgeschlossen ist. Zudem haben B und M "saubere" Reisepässe und können sich damit sogar bei Grenzkontrollen auszuweisen.
Derart beflügelt fahren BM im Februar 2004 erneut an die Ostsee, begehen dort - nach einer Pause von rund 2 1/2 Jahren - ihren fünften, politisch motivierten, Mord. Ist es wirklich nur Zufall, an welchen Tagen die "NSU" mordet? Oder sucht M diese Tage gezielt aus?
Schaut man in den Lebenslauf Adolf Hitlers, dann findet man in ihm das Datum "25.02.1932". An diesem Tag erhielt Hilter, zuvor Österreichischer Nationalität, die deutsche Staatsbürgerschaft. Und der 25.02. ist genau der Tag, an dem BM ihren fünften Mord verüben. Und sie verüben ihn in der Stadt, in welcher es im August 1992 zu fremdenfeindlich motivierten Ausschreitungen von Neo-Nazis kam. In Rostock-Toitenwinkel erschießen sie an diesem Mittwoch kurz nach 10 Uhr vormittags Mehmet Turgut, der im "Mr. Kebap Grill" arbeitet, mit drei gezielten Kopfschüssen.
Die Stadt und den dortigen Döner-Imbiss haben BM gezielt ausgesucht, ihr Opfer nicht, denn Turgut ist nur zufällig an diesem Vormittag anwesend. Bis zum 15.02.2004 hatte der Ermordete in Hamburg gelebt. Deshalb schließen die Ermittler auch hier Fremdenfeindlichkeit als Motiv aus, ermitteln dafür intensiv in Hamburg, wo BM bereits 2001 Süleyman Taşköprü erschossen hatten. (Anmerkung: Bis zum Dezember 2011 wurde der Name des in Rostock Ermordeten im Übrigen auf Grund einer Verwechslung mit seinem Bruders als "Yunus" Turgut veröffentlicht!)
Den Nachbarinnen in der Polenzstraße erzählt Z im späten Frühjahr 2004 vom nächsten Sommerurlaub an der Ostsee, den die drei geplant haben. Zuvor haben BM die Hauhaltskasse des "NSU" um etwas mehr als 100.000 Euro aufgestockt, dies bei zwei Sparkassen-Überfällen in Chemnitz innerhalb von vier Tagen, bei denen alles glatt geht, da sie kaltblütig und unter massiver Bedrohung von Menschen darauf bestehen, dass die Tresore geöffnet werden. Am Freitag, den 14.05.2004 erbeuten sie so etwa 50.000 Euro plus Reisescheks und am Dienstag, den 18.05.2004 mehr als 50.000 Euro.
Damit haben B und M innerhalb von fünf Jahren acht Raubüberfälle auf Postfillialen und Sparkassen, dazu noch einen auf einen Supermarkt, verübt. Alle Überfälle gab es allein in Chemnitz und/oder Zwickau. Ein Ermittler spach nach der Enttarnung des "NSU" in diesem Zusammenhang von einer "Serie, einer Überfalldichte", die so hoch gewesen sei, wie in kaum eine anderen deutschen Region. Was auffällig war: stets waren es zwei Täter, die den Zeugen auffielen, immer war einer der beiden größer als der andere und oft flüchteten die Tätert auf Mountainbikes.
Und so brutal, wie B auf dem Originalfoto des Chemnitzer Überfalls auf die Sparkasse in der Albert-Schweitzer-Straße vom 14.05.2004 den Revolver an den Kopf des Kassierers hält, müssen auch die Tötungsdelikte des "NSU" ausgeführt worden sein: durch aufgesetzte Kopfschüsse. Doch niemand ahnt die Zusammenhänge. Hier und jetzt wird nur in Sacher der brutalen Überfälle auf Geldinstitute ermittelt und sofort erkennt man bei der Polizeiinspektion West-Sachsen die Täter aus dem Raster wieder: einer ist größer als der andere und dieser Täter ist Linkshänder.
Kurz bevor BMZ mit nun wieder prall gefüllter Urlaubskasse Zwickau verlassen und nahe Lübeck an die Ostsee fahren, machen B und M noch eine lange vorbereitete Reise nach Westdeutschland. Hierfür hat B als "Holger Gerlach" mit dessen Papieren in Zwickau einen VW Touran angemietet. BM verstauen ihre beiden Mountainbikes im Laderaum und zusätzlich noch ein bei Aldi von Z preiswert erstandenes Damenfahrrad. Es ist noch nicht ganz klar, ob Z dieser Kauf in der Anklage zur Last gelegt werden kann und wird, jedoch stellt die Anmietung des VW Touran in Zwickau mit einen Grund dafür dar, dass HG vom BGH aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, denn dieser war nachweislich zum Zeitpunkt der KFZ-Anmietung an seiner Arbeitsstelle in Hannover und nicht in Sachsen gewesen.
Wann BM in Köln die Keupstraße observiert hatten, ob sie ihnen und ggf. von wem empfohlen wurde, weil dort ausgesprochen viel ausländische Geschäfte sind, das hat die Bundesanwaltschaft bis heute nicht feststellen können. Die Nagelbombe jedoch, die B und M im Keller oder auf dem Dachboden der Polenzstraße in Zwickau für ihren Anschlang in Köln gebaut haben, ist ein wahres "Monster", selbst für die beiden "Bombenbastler" M und B.
Das "Monster" hat einen 3-kg-Campinggasbehälter als Hülle, der mit fast 6 Kilogramm Schwarzpulver und Tausenden Tischlernägeln gefüllt ist, sowie eine glaslose Glühbirne mit einer Batterie als Sprengvorrichtung. Gezündet werden kann die Nagelbombe mit einer Fernbedienung für Modell-Flugzeuge. Nicht vorstellbar ist für die Ermittler gewesen, dass BM eine solche Bombe bauen, ohne die Funktionsweise zuvor auszuprobieren; für den Nachweis, dass beide zuvor (möglicherweise in einem Waldstück) einen Test durchgeführt hatten, fehlten allerdings bis Mitte Juli 2012 genauere Erkenntnisse.
Es ist Mittwoch der 09.06.2004, als in Köln-Mülheim eine Straßenkamera des in der Nähe befindlichen TV-Senders VIVA filmt, wie B ein Fahrrad in Richtung der Keupstraße schiebt, auf dessen Gepäckträger sich eine Hartschalenbox befindet. Es ist das Fahrrad, das zuvor bei Aldi gekauft worden war.
Insgesamt fünf Mal filmt die Kamera ihn an diesem Morgen. Auf dem "NSU"-Computer ist einer dieser Clips als "gerry auf kamera.avi" zu finden; später wird er in das "Frühling"-Video des "NSU" eingebaut.
B hat (wie bei fast allen "NSU"-Aktionen) ein Basecap auf und trägt eine Sonnenbrille. In der Transportbox auf dem Gepäckträger ist die Bombe angebracht. B will das Fahrrad vor einem Geschäft abstellen, doch dort sind an diesem Tag Gerüstbauarbeiten. Die Arbeiter bitten ihn, das Fahrrad auf die andere Straßenseite zu schieben, was B auch macht. Dort stellt er es vor einem Friseurladen ab. M kommt hinzu, hat die beiden Mountainbikes in die Keupstraße geschoben. Beide steigen auf ihre Trekkingräder und fahren in sichere Entfernung, zünden dann die Bombe. Ist es erneut ein purer Zufall, wann der "NSU" ein Gewaltverbrechen gegen Ausländer begeht, eiin Zufall, dass es eine Nagelbombe ist, genauso wie den Bombenanschlägen der "Blood and Honour"-Splittergruppe "White Wolfes" vom April 1999?
An diesem 09.06.2004, dem Tag des sog. "Führerbefehls" an Generalfeldmarschall Rommel im Jahre 1942 zur standrechtlichen Erschießung aller deutschen, politischen Flüchtlinge, explodiert in der Keupstraße in Köln-Mülheim die von BM gebaute Nagelbombe durch Fernzündung. 22 Menschen werden bei der Explosion verletzt, vier davon schwer, ein Friseursalon gerät in Brand und wird vollständig verwüstet, mehrere weitere Ladenlokale und zahlreiche parkende Autos durch die Wucht der Explosion und herumfliegende Nägel erheblich beschädigt. Trotz des Datums "9. Juni" und der Umstände wie fünf Jahre zuvor in Londen, deutete für die ermittelnden Behörden wenig bis gar nichts auf einen ausländerfeindlichen Hintergriund der Tat. B und M haben ein weiteres Mal triumphiert, feiern später im Bekennervideo ihre Tat ausländerverachtend als "Aktion Dönerspieß", zeigen Menschen mit Nägeln in ihren Köpfen.
Aus heutiger Sicht spricht alles für einen Anschlag nach dem Londoner Muster, nicht zuletzt die 14 Fenster für Mordopfer auf der damals aktuellen Bekenner-Videoversion des "NSU": Die Zahl 14 ist eine Art Code der "Blood and Honour"-Bewegung und leitet sich aus der rassistischen "14 Words"-Parole des US- Amerikaners David Lane ab: "We must secure the existence of our people and a future for White children" / "Wir müssen den Fortbestand für unsere Rasse und eine Zukunft für weiße Kinder sicherstellen." Hinzu kommt der enge Kontakt zwischen BMZ und der "Blood and Honour" Bewegung. So berichtete etwa Professor Siegfried Mundlos, der Vater von B, dass sich auf dem 1998 beschlagnahmten Computer seines Sohnes "Kontaktdaten von herausragenden Personen" der rechtsradikalen Szene in Chemnitz befunden hätten. Darunter auch die von "Blood and Honour"-Aktivist Thomas St. aus Chemnitz, der das Trio an Max-Florian Bu. vermittelt hatte und von dem auch jener Sprengstoff stammen soll, der 1998 bei den Terroristen gefunden worden war.
Durch ihre Kontaklte zu AE und die "Weiße Brunderschaft Erzgebirge" waren B und M schließlich auch an den Sprengstoff für die Kölner Bombe gekommen. Auf der Festplatte im Schutt der Frühlingsstraße 26 in Zwickau fanden die Ermittler aber nicht nur private Dateien von AE sondern auch solche seines Zwillingsbruders Maik. Rekonstruiert werden konnte u. a. ein Ordner mit Fotoaufnahmen, die Maik Em*ng*r bei einer Reise nach Schweden zeigen. Er hatte dort an dem sog. "Wretström"-Trauermarsch in Salem teilgenommen.
Direkt nach dem Kölner Anschlag machen BMZ Urlaub an der Ostsee, der "NSU" legt eine zweite Arbeitspause ein, dieses Mal von exakt 365 Tagen. Und man ist nun auch spendabel HG gegenüber, lädt in dazu ein, gemeinsam Urlaub zu machen: HG stimmt zu. So können BMZ HGs Loyalität testen und ihn über sein aktuelles Leben ausfragen, denn B ist ja schließlich HG, wenn auch in einem andern Bundesland.
[Die Fortsetzung folgt in Teil 4 von "INSIDE NSU" am 6. August 2012 hier im "Lichtstadt.Netz"]
Rund 4.500 Euro haben sie durchschnittlich im Monat verbraucht, so hat die Bundesanwaltschaft errechnet, und die "geregelte Arbeit", der BMZ nachgehen, besteht darin, zu gegebener Zeit einen Raubüberfall auf ein Geldinstitut vorzubereiten und zu begehen, dadurch die Haushaltskasse aufzufüllen: bis zum Januar 2005 werden aus diese Weise nochmals rund 150.000 Euro hinzukommen.
Von den Nachbarn in der Polenzstraße 2 bekommt hiervon niemand etwas mit. Sie wundern sich noch nicht einmal darüber, dass niemand den Nachnamen von "Max" / M und "Gerry" / B kennt. Sie kennen vor allem die Mieterin der Erdgeschosswohnung: Z alias "Susann Dienelt", die sich "Lisa" rufen lässt, aber gute nachbarschaftliche Bekannte und Freundinnen dürfen sie "Liese" nennen. Während die Männer viele Stunden am Computer verbringen, bäckt und kocht Liese, was man im ganzen Innenhof riechen kann und das sei beileibe keine Belästigung gewesen, wie eine Nachbarin den Ermittlungsbeamnten berichtete, sondern "bei Liese hat es immer so gut aus der Küche geduftet".
Das heile Bild einer biederen kleinen Wohngemeinschaft halten BMZ auch sonst kräftig am Leben. Nachdem sie bereits 2002 Urlaub auf Usedom gemacht haben, wollen sie im Sommer 2002 nochmals an die Ostsee fahren um dort zu entspannen. Die Nachbarn freuen sich für die Drei, wollen so lange die Pflege der beiden Katzen Heidi und Lilly übernehmen, aber das macht schon Susann Em*ng*r, die häufig zu Besuch kommt, Zs beste Freundin ist und die Frau von André Em*ng*r / AE, der als "der dritte Mann" immer für BMZ da ist, wenn Hilfe benötigt wird. So ist es in dieser Zeit vor allem AE, der die PKWs,Transporter und Wohnmobile für BMZ anmietet.
Z zuliebe haben B und M mehr als ein Jahr lang auf einen weiteren Überfall verzichtet, morden zudem nicht mehr. Dafür verbringen sie ihre Zeit immer öfter am Computer; "Max" spielt mit anderen Usern u. a. "World Of Warcraft", ein Multiplayer-Online-Rollenspiel. Aber ihren Computer nutzen BM nicht nur zum Zeitvertreib. In ihrer Rolle als "Nationalsozialistischer Untergrund" feilen M und B 2002 und 2003 weiter an der theoretischen Unterfütterung des "NSU". Im März 2002 speichert M ein Dokument mit dem Bild-Dateinamen "NSU Brief.cdr" ab. Es ist das "Manifest" der "NSU", der einzige vorhandene Text, in dem versucht wird, dem "Nationalsozialistsichen Untergrund" so etwas wie einen ideologischen Pathos zu verleihen.
"Der Nationalsozialistische Untergrund verkörpert die neue politische Kraft im Ringen um die Freiheit der Deutschen Nation", heißt es darin. Die Aufgaben des "NSU" bestünden "in der energischen Bekämpfung der Feinde des Deutschen Volkes" sowie der Unterstützung von Kameraden. Getreu dem Motto "Sieg oder Tod" werde es kein Zurück geben. "Worte sind genug gewechselt, nur mit Taten kann ihnen Nachdruck verliehen werden." -Veröffentlicht wird der Brief, ebenso wie die beiden bis dahin produzierten Videos, anscheinend nicht. BMZ bleiben dabei: Der "NSU" ist eine Terrorbewegung, die ohne Bekennerschreiben auskommt.
Im April 2002 finden die Eltern von B einen weiteren Zettel in ihrem Jenaer Briefkasten, mit der Bitte um eine weiteres Treffen in Chemnitz. Ob ihn B selbst eingeworfen hat, konnte nicht festgestellt werden. Jedoch ist aus einer Zeugenaussage, die in der Anklageakte enthalt ist, bekannt, dass B in dieser Zeit tatsächlich in der Lichtstadt war, sich mit einem alten Freund auf dem zentral gelegenen Jenaer Eichplatz traf.
Beim letzten Aufeinandertreffen mit dem Ingenieur Jürgen Böhnhardt und seiner Frau Brigitte, die als Lehrerin arbeitet, in einem Chemnitzer Park, überraschen die Drei Bs Eltern mit der Nachricht, dass die "das letzte Treffen" sei. Z hatte Brigitte Böhnhardt zuvor um ein Kochbuch mit den Lieblingsrezepten ihres Sohnes gebeten und berichtet bei dem Treffen unerwartet von Auswanderungsplänen. Bs Mutter bittet M daraufhin, auf ihren Sohn "aufzupassen". Es ist ein tränenreicher Abschied, wie die Eltern in der ARD-Sendung "Panorama" berichten.
Australien und Südafrika sind in dieser Zeit tatsächlich Optionen für das Trio, wie übereinstimmend Max-Florian Bu. (das Alter Ego von "Max") und Holger Gerlach / HG (dessen Alter Ego "Gerry" ist ) den Ermittlern berichten - M und B nutzen jeweils Originalpapiere der beiden. Zu Max-Florian Bu. soll M sogar einmal gesagt haben: "Ich hätte mein Studium nicht abbrechen sollen. Ich habe mir mein Leben verbaut."
Dafür läuft es für die Drei in der Zwickauer Polenzstraße bestens: da sie überhaupt nicht in das Klischee passen, dass Rechte aus dumpfen, dörflichen Milieus kommen, und sich so gut wie nie über Ausländer äußern, fallen sie hier niemanden unangenehm auf. Kein Nachbar denkt an "Max" und "Gerry", wenn von den Überfällen zweier Männer in Zwickau und Chemnitz erzählt wird.
Doch nach dem Sommerurlaub in Flensburg wird dem Terroristen-Trio des "NSU" das Geld knapp. Überfälle auf Postbank-Fillialen sind B und M inzwischen zu heikel geworden-. Sowohl in Chemnitz als auch in Zwickau scheint man bei Post und Polizei gewappnet zu sein für Überfälle, die immer gleich ablaufen: zwei maskierte Täter, einer (B) größer als der andere (M) stürmen in eine Post-Filliale, bedrohen die Kunden mit Pistolen oder Reizgas, einer springt über den ungeschützten Tresen und erbeutet in nur wenigen Minuten viele Tausend Euro, bevor beide auf Fahrrädern flüchten.
BM beschließen für den Herbst 2002, erstmals eine Sparkassen-Filliale zu berauben. Diese Geldinstitute sind zwar besser abgesichert als Postfillialen, auch kann man hier nicht einfach hinter den Tresen springen, trotzdem ändern B und M nichts Grundsätzliches an ihrem Vorgehen. Am Mittwoch, den 25.09.2002 stürmen sie maskiert in das Gebäude der Sparkasse in Zwickau-Auerbach. Beide tragen hierbei Perücken, Tücher vor dem Gesicht und Sonnenbrillen. Wieder geht B nach vorne und bedroht den Kassierer mit einem Revolver, M hat einen Rucksack auf, ein abgesägtes Gewehr in der Hand und deckt den Rückzug. Als B mehr Geld verlangt und der Kassierer sagt, man habe heute nicht viel Geld in der Kasse, bestehen beide darauf, dass der Tresor geöffnet wird. Und sie machen bei diesem Überfall ihre bisherige Rekordbeute von 48.571 Euro. Kunden und Angestellte werden dabei, wie beim Überfall auf die Post in Zwickau ein Jahr zuvor, mit Reizgas besprüht. Nach dem Überfall flüchten BM auf Trekkingrädern.
Doch dem Kassierer in Zwickau fällt etwas auf, was in den Jahren zuvor in den Fahndungen noch keine Rolle gespielt hat. Er beschreibt den vorderen Täter (= B) als größer als den hinteren (= M). Außerdem war ihm aufgefallen, dass der vordere Täter Linkshänder ist, derjenige, der hinten den Rückzug abdeckte, Rechtshänder. Dies ist das erste Muster, mit dem die Polizei arbeiten kann: zwei junge Männer sind es, einer größer als der andere, der größere ist Linkshänder, beide flüchten auf Trekking-Rädern.
Wieder zurück in der Polenzstraße arbeitet M in den folgenden Monaten am "Merchendising" des "NSU", entwirft das Design für Aufdrucke auf "T-Hemden". Ettliche Ordner mit Bilddateien von Ende 2002 und Anfang 2003 konnten auf der Festplatte rekonstruiert werden. Einmal ist sogar der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hinter Gitterstäben zu sehen, auf seiner Brust prangt ein Judenstern, darunter der Spruch: "Niemand entgeht seiner Gerechtigkeit". Auch davon bekommen die Nachbarn nichts mit.
Zwar rutscht Liese beim Gespräch mit Nachbarn gelegentlich einmal das Wort "Türkenpack" heraus, aber sie hat nichts gegen die afghanische Familie, die zwei Stockwerke über der "NSU"-Wohnung lebt. Die seien verfolgt worden und in Deutschland auf "Hilfe angewiesen", wie Liese einer Nachbarun zustimmt, die ihr die Geschichte der Familie erzählt.
Lise sei eine "Herzengute" gewesen, sagte später ein anderer Nachbar vor der Polizei aus. Mit der geistig behinderten Tochter einer weiteren Nachbarin an der Hand geht Z sogar öfter zum Aldi-Discounter, der nur wenige Meter vom Haus in der Polenzstraße entfernt ist und jedes Mal "durfte sich die Kleine was aussuchen", gab er zu Protokoll.
Auch der ungewöhnlich hohe Finderlohn von 500 Euro, den Z aussetzte, als ihre Katze Lilly entlaufen war, verwundert die Nachbarn nicht. "Die beiden Katzen waren eben Lieses Ein-und-Alles", erzählte eine Nachbarin den Ermittlern des BKA und eine andere sagte aus: "Die Katzen waren ihre Babys. Als die eine weggelaufen war, so fertig habe ich die Liese vorher und nachher nicht erlebt." Doch Lilly wurde wiedergefunden und Z war überglücklich; tagelang gab es im Hof hinter dem Haus kein anderes Thema.
Wenn B und M mal wieder unterwegs sind, berichtet Liese auch schon mal von den beiden Männern. "Wie Männer halt so sind", sagte eine Nachbarin aus: "Nichts schlimmes, nur so zum Beispiel, wie Liese eben manchmal das Klo vorfand." Oder es geht darum, dass "ihr Mann" (B) im PC-Raum geschlafen habe und nicht bei ihr. Auch "der Andere" könnte mehr im Haushalt tun. Frauenthemen, von denen BM wohl nichts ahnten.
Auch, dass die beiden Männer keinen Tropfen Alkohol anrühren würden, "aus Prinzip", erzählt Liese ihren Nachbarinnen. Sind "Max" und "Gerry" dann mal nicht im Haus, gab es von Liese aber schon mal "das eine oder andere Gläsel Wein". Manchmal seien es auch zwei, gelegentlich drei Flaschen gewesen, eher selten auch Schnäpse, nehmen die Beamten zu Protokoll. "Die Männer waren ja auch manchmal eine ganze Woche weg", Und Z brauchte dabei offensichtlich etwas zur Beruhigung.
Am 15.09.2003 endet der Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Gera vom Januar 1998 gegen BMZ. Über einen Anwalt, der von Z beauftragt wurde, gibt es bei der Staatsanwaltschaft die Nachfrage, ob dies "so sei". Dem Anwalt wird versichert, dass alle drei Haftbefehle tatsächlich erloschen sind; von weiteren Taten des Trios wissen die Behören nichts.Mit dem Gefühl, dass bei ihren bisherigen Überfällen noch niemals etwas schiefgelaufen ist, überfallen B und M nur eine Woche nach Ablauf der Haftbefehle eine weitere Sparkasse, diesmal erneut in Chemnitz. Nach dem Ende des Bankraubs am 23.09.2003 sind BMZ fassungslos über das klägliche Ergebnis des lange vorbereitten Coups. Der Tresor blieb verschloissen, zeitschlossgesichert waren in der Kasse nur wenige Hundert Euro gewesen, von denen B und M 435 Euro als Beute mitnehmen können.
Über weitere Aktivitäten des "NSU" zwischen dem Oktober 2003 und dem späten Frühjahr 2004 hat die Bundesanwaltschaft nur lückenhafte Erkenntnisse. Überhaupt sind die Zeitlücken für die Anklagebehörde im Verfahren ein großes Problem, obwohl man akribisch daran gearbeitet hatte, diese zu schließen. Auf Seiten des BKA geht man davon aus, dass BMZ in der eben genannten Zeit durch Deutschland gereist sind, möglicherweise auch in die Schweiz, wahrscheinlich wieder mit Vans oder in Wohnmobilen und beflügelt durch die Sicherheit, dass man sie wegen der Sache mit der Bombenwerkstatt in Jena nun nicht mehr sucht, eine Festnahme aus diesem Grund ausgeschlossen ist. Zudem haben B und M "saubere" Reisepässe und können sich damit sogar bei Grenzkontrollen auszuweisen.
Derart beflügelt fahren BM im Februar 2004 erneut an die Ostsee, begehen dort - nach einer Pause von rund 2 1/2 Jahren - ihren fünften, politisch motivierten, Mord. Ist es wirklich nur Zufall, an welchen Tagen die "NSU" mordet? Oder sucht M diese Tage gezielt aus?
Schaut man in den Lebenslauf Adolf Hitlers, dann findet man in ihm das Datum "25.02.1932". An diesem Tag erhielt Hilter, zuvor Österreichischer Nationalität, die deutsche Staatsbürgerschaft. Und der 25.02. ist genau der Tag, an dem BM ihren fünften Mord verüben. Und sie verüben ihn in der Stadt, in welcher es im August 1992 zu fremdenfeindlich motivierten Ausschreitungen von Neo-Nazis kam. In Rostock-Toitenwinkel erschießen sie an diesem Mittwoch kurz nach 10 Uhr vormittags Mehmet Turgut, der im "Mr. Kebap Grill" arbeitet, mit drei gezielten Kopfschüssen.
Die Stadt und den dortigen Döner-Imbiss haben BM gezielt ausgesucht, ihr Opfer nicht, denn Turgut ist nur zufällig an diesem Vormittag anwesend. Bis zum 15.02.2004 hatte der Ermordete in Hamburg gelebt. Deshalb schließen die Ermittler auch hier Fremdenfeindlichkeit als Motiv aus, ermitteln dafür intensiv in Hamburg, wo BM bereits 2001 Süleyman Taşköprü erschossen hatten. (Anmerkung: Bis zum Dezember 2011 wurde der Name des in Rostock Ermordeten im Übrigen auf Grund einer Verwechslung mit seinem Bruders als "Yunus" Turgut veröffentlicht!)
Den Nachbarinnen in der Polenzstraße erzählt Z im späten Frühjahr 2004 vom nächsten Sommerurlaub an der Ostsee, den die drei geplant haben. Zuvor haben BM die Hauhaltskasse des "NSU" um etwas mehr als 100.000 Euro aufgestockt, dies bei zwei Sparkassen-Überfällen in Chemnitz innerhalb von vier Tagen, bei denen alles glatt geht, da sie kaltblütig und unter massiver Bedrohung von Menschen darauf bestehen, dass die Tresore geöffnet werden. Am Freitag, den 14.05.2004 erbeuten sie so etwa 50.000 Euro plus Reisescheks und am Dienstag, den 18.05.2004 mehr als 50.000 Euro.
Damit haben B und M innerhalb von fünf Jahren acht Raubüberfälle auf Postfillialen und Sparkassen, dazu noch einen auf einen Supermarkt, verübt. Alle Überfälle gab es allein in Chemnitz und/oder Zwickau. Ein Ermittler spach nach der Enttarnung des "NSU" in diesem Zusammenhang von einer "Serie, einer Überfalldichte", die so hoch gewesen sei, wie in kaum eine anderen deutschen Region. Was auffällig war: stets waren es zwei Täter, die den Zeugen auffielen, immer war einer der beiden größer als der andere und oft flüchteten die Tätert auf Mountainbikes.
Und so brutal, wie B auf dem Originalfoto des Chemnitzer Überfalls auf die Sparkasse in der Albert-Schweitzer-Straße vom 14.05.2004 den Revolver an den Kopf des Kassierers hält, müssen auch die Tötungsdelikte des "NSU" ausgeführt worden sein: durch aufgesetzte Kopfschüsse. Doch niemand ahnt die Zusammenhänge. Hier und jetzt wird nur in Sacher der brutalen Überfälle auf Geldinstitute ermittelt und sofort erkennt man bei der Polizeiinspektion West-Sachsen die Täter aus dem Raster wieder: einer ist größer als der andere und dieser Täter ist Linkshänder.
Kurz bevor BMZ mit nun wieder prall gefüllter Urlaubskasse Zwickau verlassen und nahe Lübeck an die Ostsee fahren, machen B und M noch eine lange vorbereitete Reise nach Westdeutschland. Hierfür hat B als "Holger Gerlach" mit dessen Papieren in Zwickau einen VW Touran angemietet. BM verstauen ihre beiden Mountainbikes im Laderaum und zusätzlich noch ein bei Aldi von Z preiswert erstandenes Damenfahrrad. Es ist noch nicht ganz klar, ob Z dieser Kauf in der Anklage zur Last gelegt werden kann und wird, jedoch stellt die Anmietung des VW Touran in Zwickau mit einen Grund dafür dar, dass HG vom BGH aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, denn dieser war nachweislich zum Zeitpunkt der KFZ-Anmietung an seiner Arbeitsstelle in Hannover und nicht in Sachsen gewesen.
Wann BM in Köln die Keupstraße observiert hatten, ob sie ihnen und ggf. von wem empfohlen wurde, weil dort ausgesprochen viel ausländische Geschäfte sind, das hat die Bundesanwaltschaft bis heute nicht feststellen können. Die Nagelbombe jedoch, die B und M im Keller oder auf dem Dachboden der Polenzstraße in Zwickau für ihren Anschlang in Köln gebaut haben, ist ein wahres "Monster", selbst für die beiden "Bombenbastler" M und B.
Das "Monster" hat einen 3-kg-Campinggasbehälter als Hülle, der mit fast 6 Kilogramm Schwarzpulver und Tausenden Tischlernägeln gefüllt ist, sowie eine glaslose Glühbirne mit einer Batterie als Sprengvorrichtung. Gezündet werden kann die Nagelbombe mit einer Fernbedienung für Modell-Flugzeuge. Nicht vorstellbar ist für die Ermittler gewesen, dass BM eine solche Bombe bauen, ohne die Funktionsweise zuvor auszuprobieren; für den Nachweis, dass beide zuvor (möglicherweise in einem Waldstück) einen Test durchgeführt hatten, fehlten allerdings bis Mitte Juli 2012 genauere Erkenntnisse.
Es ist Mittwoch der 09.06.2004, als in Köln-Mülheim eine Straßenkamera des in der Nähe befindlichen TV-Senders VIVA filmt, wie B ein Fahrrad in Richtung der Keupstraße schiebt, auf dessen Gepäckträger sich eine Hartschalenbox befindet. Es ist das Fahrrad, das zuvor bei Aldi gekauft worden war.
Insgesamt fünf Mal filmt die Kamera ihn an diesem Morgen. Auf dem "NSU"-Computer ist einer dieser Clips als "gerry auf kamera.avi" zu finden; später wird er in das "Frühling"-Video des "NSU" eingebaut.
B hat (wie bei fast allen "NSU"-Aktionen) ein Basecap auf und trägt eine Sonnenbrille. In der Transportbox auf dem Gepäckträger ist die Bombe angebracht. B will das Fahrrad vor einem Geschäft abstellen, doch dort sind an diesem Tag Gerüstbauarbeiten. Die Arbeiter bitten ihn, das Fahrrad auf die andere Straßenseite zu schieben, was B auch macht. Dort stellt er es vor einem Friseurladen ab. M kommt hinzu, hat die beiden Mountainbikes in die Keupstraße geschoben. Beide steigen auf ihre Trekkingräder und fahren in sichere Entfernung, zünden dann die Bombe. Ist es erneut ein purer Zufall, wann der "NSU" ein Gewaltverbrechen gegen Ausländer begeht, eiin Zufall, dass es eine Nagelbombe ist, genauso wie den Bombenanschlägen der "Blood and Honour"-Splittergruppe "White Wolfes" vom April 1999?
An diesem 09.06.2004, dem Tag des sog. "Führerbefehls" an Generalfeldmarschall Rommel im Jahre 1942 zur standrechtlichen Erschießung aller deutschen, politischen Flüchtlinge, explodiert in der Keupstraße in Köln-Mülheim die von BM gebaute Nagelbombe durch Fernzündung. 22 Menschen werden bei der Explosion verletzt, vier davon schwer, ein Friseursalon gerät in Brand und wird vollständig verwüstet, mehrere weitere Ladenlokale und zahlreiche parkende Autos durch die Wucht der Explosion und herumfliegende Nägel erheblich beschädigt. Trotz des Datums "9. Juni" und der Umstände wie fünf Jahre zuvor in Londen, deutete für die ermittelnden Behörden wenig bis gar nichts auf einen ausländerfeindlichen Hintergriund der Tat. B und M haben ein weiteres Mal triumphiert, feiern später im Bekennervideo ihre Tat ausländerverachtend als "Aktion Dönerspieß", zeigen Menschen mit Nägeln in ihren Köpfen.
Aus heutiger Sicht spricht alles für einen Anschlag nach dem Londoner Muster, nicht zuletzt die 14 Fenster für Mordopfer auf der damals aktuellen Bekenner-Videoversion des "NSU": Die Zahl 14 ist eine Art Code der "Blood and Honour"-Bewegung und leitet sich aus der rassistischen "14 Words"-Parole des US- Amerikaners David Lane ab: "We must secure the existence of our people and a future for White children" / "Wir müssen den Fortbestand für unsere Rasse und eine Zukunft für weiße Kinder sicherstellen." Hinzu kommt der enge Kontakt zwischen BMZ und der "Blood and Honour" Bewegung. So berichtete etwa Professor Siegfried Mundlos, der Vater von B, dass sich auf dem 1998 beschlagnahmten Computer seines Sohnes "Kontaktdaten von herausragenden Personen" der rechtsradikalen Szene in Chemnitz befunden hätten. Darunter auch die von "Blood and Honour"-Aktivist Thomas St. aus Chemnitz, der das Trio an Max-Florian Bu. vermittelt hatte und von dem auch jener Sprengstoff stammen soll, der 1998 bei den Terroristen gefunden worden war.
Durch ihre Kontaklte zu AE und die "Weiße Brunderschaft Erzgebirge" waren B und M schließlich auch an den Sprengstoff für die Kölner Bombe gekommen. Auf der Festplatte im Schutt der Frühlingsstraße 26 in Zwickau fanden die Ermittler aber nicht nur private Dateien von AE sondern auch solche seines Zwillingsbruders Maik. Rekonstruiert werden konnte u. a. ein Ordner mit Fotoaufnahmen, die Maik Em*ng*r bei einer Reise nach Schweden zeigen. Er hatte dort an dem sog. "Wretström"-Trauermarsch in Salem teilgenommen.
Direkt nach dem Kölner Anschlag machen BMZ Urlaub an der Ostsee, der "NSU" legt eine zweite Arbeitspause ein, dieses Mal von exakt 365 Tagen. Und man ist nun auch spendabel HG gegenüber, lädt in dazu ein, gemeinsam Urlaub zu machen: HG stimmt zu. So können BMZ HGs Loyalität testen und ihn über sein aktuelles Leben ausfragen, denn B ist ja schließlich HG, wenn auch in einem andern Bundesland.
[Die Fortsetzung folgt in Teil 4 von "INSIDE NSU" am 6. August 2012 hier im "Lichtstadt.Netz"]
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