Donnerstag, 18. Oktober 2012

"Sie kamen von hier!": Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet über die Tagung und die Videoprotokolle zu Rechtsterror in Jena und der Umgebung


(lsn / spiegel) - "Eine Stadt stellt sich ihrem Erbe" schreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in seiner Online-Ausgabe und Redakteurin Julia Jüttner berichtet in dem Artikel "Etwas Bedrohliches war in dieser Stadt" über die Tagung des "runden Tisches für Demokratie", zu der sich am Samstag Dutzende interessierte Jenaer und Jenaerinnen mit Gästen trafen und dabei versuchten, die Vergangenheit aufzuarbeiten, die Entwicklung des Neonazismus sowie den Widerstand zu analysieren.

Besonders über das Videoprojekt der Jungen Gemeinde / JG, für das Jugendliche zwanzig Beteiligte von damals interviewt hatten und deren drei Interviewfilmeteile (die man sich HIER, DORT und DA ansehen kann; eine Zusammenfassung von SPIEGEL TV kann man durch Anklicken des Filmsymbols oben ansehen!) während der Tagung "Sie kamen von hier!" öffentlich gezeigt wurden.

Entstanden seien eindrucksvolle Filme, schreibt Jüttner, die zeigten, wie die Menschen in und um Jena die Radikalisierung der rechten Szene wahrnahmen - sich wehrten oder machtlos fühlten. Das Auftreten der Rechtsradikalen sei in den Neunzigern "bedrohlich" gewesen, der Gewaltfaktor erkennbar, konstatiert z. B. Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter im Filminterview und Marco Schrul (heute bei der "Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen / siehe Foto links) erzählt davon, wie er in den Neunziger Jahren eine Jugendumweltgruppe gegründet habe. Schrul erzählt, er sei mit Strickpulli durch Jena gelaufen. "Da hat man schnell gemerkt, dass es da Leute gibt, die das nicht gut finden." Mehrfach sei er von Neonazis überfallen worden, sie schlugen ihm die Schneidezähne aus.

"Etwas Bedrohliches war in dieser Stadt vorhanden, wer es sehen wollte, hat es gesehen", resümiert in dem dreiteiligen Film auch Karin Kaschuba, Landtagsabgeordnete der Linken. Viele schauten weg. Zu sehen sind aber auch Originalausschnitte aus den Neunzigern: Rechtsradikale gehen in damals gängiger Neonazi-Montur in der Stadt auf "Opferjagd" oder machen Party im Jugendtreff "Winzerclub", den auch die Rechtsterroristen besuchten. Julia Jüttner im "Spiegel": "Zu Geburtstagsfeiern wird schon mal mit einer Karte eingeladen, die einen Reichsadler samt manipuliertem Hakenkreuz zeigt. Auf der Rückseite der Einladung sieht man einen Zeichentrick-Scheich und einen Schwarzen, beide durchgestrichen. Nach dem Motto: 'Wir müssen draußen bleiben.' Einer der Gastgeber im Winzerclub ist Ralf Wohlleben, der inzwischen als mutmaßlicher NSU-Unterstützer in U-Haft sitzt."

"Wir haben große Fehler gemacht!" - Das räumt Reinhard Schwabe, Mitarbeiter des Jenaer Jugendamtes, in der Video-Dokumentation ein. Dadurch, dass man in dem Club Alkohol gestattet habe, habe man zwar die rechtsgesinnten Jugendlichen von den Parkplätzen geholt, auf denen sie herumlungerten und mit Grillwurst und Bier versuchten, andere anzulocken, aber man habe ihnen so auch eine Heimat gegeben. Schwabe war schon damals Sozialarbeiter, er gehört zu den wenigen, die ihre Arbeit rückblickend kritisch sehen. "Wir haben ihnen Sachen ermöglicht, die einfach nicht in Ordnung waren."

Erschreckend auch die Einschätzung von Karin Kaschuba zu Ralf Wohlleben (Foto rechts): Als der für den Ortschaftsrat in Jena-Winzerla kandidierte, wusste jeder, wer Wohlleben ist, sagt sie im Film. Nach der Wahl habe er sich um die Jugendarbeit im Stadtteil gekümmert. Das belegt auch der Film mit einem Interview-Ausschnitt aus dem Jahre 2002, in dem Wohlleben sagt: "Jugendarbeit ist immer wichtig, Nachwuchs wird immer gebraucht." Danach lobt er, wie sehr er und seine Leute sich für eine kostenlose Kinderbetreuung und Hausaufgabenhilfe einsetzten. "Wir sind dadurch bürgernah, und das Kind kriegt schon früh mit, dass wir nicht die Bösen sind."

 2002 hatten die untergetauchten "NSU"-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bereits drei Migranten kaltblütig aus nächsten Nähe mit der Ceska-Pistole erschossen, die Wohlleben seinen Freunden Mundlos und Böhnhartdt mutmaßlich beschafft haben soll.

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