Dienstag, 5. März 2013

"Wie eine Blaupause für den Prozess gegen Lothar König": Dresdner Gericht verurteilt einen Demonstranten zu knapp zwei Jahren Haft - Nun liegt die Urteilsbegründung vor!


Wie fair diese Gerichtsverhandlung ablaufen könnte (selbstverständlich gilt hier wie anderswo der Grundsatz "in dubio pro reo", also: "im Zweifel für den Angeklagten") zeigt der Umgang mit dem vor Kurzem verurteilten Anti-Neonazi-Demonstranten Tim Hempel*. Der Industriemechaniker ist von auffallend großer Gestalt und das wurde ihm zum Verhängnis. Ein Jahr und zehn Monate soll der Vater einer kleinen Tochter ins Gefängnis wegen eines "besonders schweren Falles" des Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Und dies, obwohl ihn kein einziger Zeuge erkannt hatte.

Hempel soll Durchbruchsversuche von Demonstranten durch eine Polizeikette per Megafon "koordiniert" und "Countdowns laut vorgezählt" haben, einen Polizeibeamten habe Hempel als "Nazischwein" beschimpft. So sah es jedenfalls das Gericht und der zuständige Richter im Verfahren gegen ihn erklärte gar, das Gericht wolle mit dem Urteil auch "eine abschreckende Wirkung" erzielen, denn die Dresdner Bürger seien es leid, dass ihre Stadt "von beiden Seiten, Rechten und Linken" ausgenutzt werde, wie er bei der Urteilsverkündung im Januar 2013 sagte.

Nun liegt die schriftliche Begründung für die Verurteilung zu 22 Monaten Haft vor und diese sei, so Hempels Anwalt im Nachrichtenmagazin SPIEGEL, "verblüffend unscharf", vor allem, was den strafverschärfenden Vorwurf des "besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs" angehe.

Auffällig sei, dass sich aus der Begründung des Gerichts nicht ergibt, aufgrund welcher Äußerung Hempel verurteilt wurde - dies obwohl ihm doch ein "Aufruf" vorgeworfen worden war. Der Grund sei einfach, so der Anwalt: die Staatsanwaltschaft habe im Gerichtsverfahren versucht zu erklären, dass Hempel Ansagen wie "Durchbrechen!" oder "Nicht abdrängen lassen!" getätigt habe. Auf einem Polizeivideo war jedoch nur zu hören gewesen, dass die betreffende Person am Megafon gerufen habe: "Kommt nach vorne!".

Selbst, wenn diese Person sein Mandant gewesen sei, fragt sich der Anwalt: ist eine solche Äußerung ein Aufruf zu Gewaltexzessen? Zwar steht in der Urteilsbegründung für ein Jahr und zehn Monate Gefängnishaft zu lesen, dass kein einziger Zeuge Hempel erkannt habe, selbst Polizeibeamte nicht. Und auch der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft - ein Anwohner, der die Situation von seinem Balkon aus beobachte hatte - betonte vor Gericht, dass der Mann, der in das Megafon gerufen habe auf keinen Fall Tim Hempel gewesen sei. Doch das Dresdner Gericht entschied im Zweifel gegen den Angeklagten. Hempel sei "eine überdurchschnittlich große Person und ragt aus der Masse hervor. (...) Für das Gericht bestand keine Verwechslungsgefahr." Auch sein Beruf wurde Hempel negativ ausgelegt, wie die schriftliche Begründung des Schöffengerichts belegt: Der Angeklagte sei "aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Organisator bzw. Koordinator" in die "Aktionen gegen Rechtsextreme" fest eingebunden gewesen.

Das schriftliche begründete Urteil liest sich wie eine Blaupause für das im Kürze beginnende Verfahren gegen Lothar König. Auch ihm wirft die Anklagebehörde schweren Landfriedensbruch, versuchte Strafverteilung, Nötigung und Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. König selbst bestreitet die Vorwürfe und bezeichnete sie als absurd. Trotzdem rechne er nicht mit einem Freispruch vor dem Dresdner Amtsgericht, sondern damit, mindestens in die zweite Instanz gehen zu müssen, sagte er im  letzten Jahr der OTZ und fügte an: Der "Filz von Justiz und Politik" sei in Sachsen "zu dick".

* = Name von der Redaktion geändert

Keine Kommentare: