(tim schwarz) - Am heutigen dritten Verhandllungstag im "NSU"-Prozess gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, André Em*ng*r und Carsten Sch*ltz* stehen die ersten Vernehmungen an.
Zuvor aber hier noch einige Zitate aus dem Anklagevortrag von Bundesanwalt Dr. Herbert Diemer, der gestern einzelne Anklagepunkte detaillierte, die zwar zuvor schon aus der Presse bekannt geworden waren, im Verfahren aber erstmals erwähnt wurden. Wie kleine Wortfilme beschreibt Diemer die Geschehnisse an den jeweiligen Tatorten.
Zum Beispiel in Nürnberg: "Am 9. September 2000 erschossen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 12 Uhr 45 und 14 Uhr 45 den 38-jährigen türkischen Blumenhändler Enver Simsek durch die geöffnete Seitentür auf der Ladefläche seines Transporters, den er hinter seinem mobilen Blumenverkaufsstand in der Liegnitzer Straße in Nürnberg geparkt hatte und in dem er gerade Blumen sortierte." (...)
...oder in München: "Am 29. August 2001 betraten sie (= Böhnhardt und Mundlos) zwischen 10 Uhr 35 und 10 Uhr 50 den Frischemarkt der Familie Kilic in der Bad-Schachener-Straße 14 in München und schossen dem hinter dem Kassentresen stehenden 38-jährigen türkischen Gemüsehändler Habil Kilic mit der Pistole Ceska 83 seitlich in den Kopf. Er erlitt im Bereich der linken hohen Wangenregion einen Gesichtsdurchschuss und duckte sich weg, als ihn ein zweiter Kopfschuss von hinten traf." (...)
...und in Kassel: "Böhnhardt und Mundlos betraten das Geschäft, in dem sich Kunden aufhielten, und schossen dem hinter seinem Schreibtisch sitzenden Halit Yozgat mit der Pistole Ceska 83 zweimal in den Kopf. Der erste Schuss traf ihn horizontal in die rechte Schläfe, der zweite traf ihn im Zusammensinken im Bereich des rechten Hinterhaupts. Halit Yozgat starb noch am Tatort an den erlittenen Schädel-Hirn-Verletzungen."
Mit der Beschreibung von Zschäpe (= "...die freundliche Nachbarin...", "...immer zu einem Tratsch bereit...", "...hielt die kleinbürgerliche Fassade aufrecht, die ihre beiden Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt brauchten, um ihre Morde, Überfälle und Sprengstoffanschläge zu begehen...") wurden durch den Bundesanwalt auch die Leihidentitäten des "NSU"-Trios erstmals im Gerichtssaal erwähnt: Böhnhardt = "Gerri", Zschäpe = "Liese", Mundlos = "Max" - Namen, die das Trio im Untergrund benutzte und die wiederum eine Verbindung herstellen zu den Mitangeklagten Em*ng*r, der Wohnungen und Wohnmobile angemietet hatte und Holger "Gerri" Gerlach, der Böhnhardt seinen Führerschein und Reisepass zur Verfügung stellte.
In der heutigen Verhandlung kam es zu einigen Vorfällen. Zuerst wurde Maik Em*ng*r, der Zwilligsbruder des Angeklagten André Em*ng*r (beide sind Söhne eines Skispringers der einstigen B-Nationalmannschaft der DDR) aus dem Saal geführt; der Grund sollen Provokationen sein, die er in den vergangenen Tagen gegenüber Journalisten begangen hat.
Danach regte sich Zschäpes Anwalt Stahl mehrfach über Gelächter im Saal auf, als er erneut grundsätzliche Anträge stellen will. Darauf beschwerte sich Zschäpe-Anwalt Heer bei Richter Götzl darüber, dass auf Nebenkläger-Seite gelacht werde. So könne sein Kollege nicht arbeiten, sagt er und fordert Götzl schließlich auf, zu veranlassen, dass nicht mehr gelacht wird. Heers Kollege Wolfgang Stahl ruft danach erregt "Das Lachen ist unerträglich!", worauf Heer in Richtung der Opferanwälte brüllt: "So kann man nicht verhandeln!" - Danach zog Heer wütend seine Robe aus und verließ den Gerichtssaal.
Unter Journalisten wurde daraufhin diskutiert, ob dies eine Taktik der Zschäpe-Verteidigung sei, um den Vorsitzenden Richter Götzl zu provozieren, um für den Fall, dass er vermeintlich unangemessen auf die Provokation reagiert, diesen als befangen abzulehnen. Die Mittagspause wurde bis 13 Uhr 30 angesetzt. Danach sollen Carsten Sch*ltz* und Holger Gerlach befragt werden, wozu es aber nicht kommt, da die Verteidiger der Angeklagten erneut eine ganze Anzahl von Anträgen stellen.
Zschäpes Verteidigung fordert neue Vertreter der Bundesanwaltschaft einzusetzen. Anwalt Wolfgang Heer verlangt zudem die Aussetzung des Prozesses oder zumindest dessen Unterbrechung für mindestens drei Wochen, damit er sich in Vernehmungsprotokolle einarbeiten kann. Zusätzlich soll bei Stellungnahmen zu Anträgen bei Gericht zunächst der Verteidigung das Wort erteilt werden, fordert er. Sein Antrag umfasst mehrere Seiten, die er langsam vorliest. Inzwischen ist es fast 15 Uhr.
Anschließend kommt Zschäpes Anwältin mit einem eigenen Antrag zu Wort, wogegen die Opferanwälte protestieren, da sie auch Anträge stellen wollen. Die Forderung der Anwältin: Der gesamte Prozess soll auf Bild- und Tonträgern aufgezeichnet werden, zudem solle ein Wortprotokoll geführt werden. Die Anwältin von Ralf Wohlleben kündigt für den nächsten Prozesstag einen eigenen Antrag an, in welchem sie ebenfalls fordern will, die gesamte Hauptverhandlung zumindest akustisch aufzuzeichnen.
Gegen 16 Uhr 30 kommen endlich auch Vertreter der Nebenkläger zu Wort und diese sprechen sich geschlossen gegen die Eröffnung eines zweiten NSU-Verfahrens aus, das sich ausschließlich mit dem Nagelbombenanschlag in Köln 2004 auseinandersetzen sollte. Ein Anwalt: "Eine Abtrennung würde dem NSU zu einem späten Erfolg verhelfen. Damit würde man die Spaltung zwischen Deutschen und Migranten vergrößern." Darauf ruft Zschäpe-Anwalt Stahl Richter Götzl eine Bemerkung zu, hat dabei - absichtlich oder nicht - sein Mikrofon nicht geöffnet. Der Richter antwortet gut hörbar: "Was soll die Spitze? Warum sind Sie ständig so unhöflich zu mir?"
Über die einzelnen Anträge des Nachmittags wurde am dritten Verhandlungstag nicht befunden; um 17 Uhr 15 wurde der Prozesstag beendet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen