Donnerstag, 6. Juni 2013

"NSU" - Der Prozess # 09: Am heutigen 7. Verhandlungstag sagte Holger Gerlach aus und belastete u. a. Beate Zschäpe schwer



(tim schwarz) - Heute, am siebten Prozesstag in München, wird Holger Gerlach beim sog. "NSU"-Prozess, vernommen. Er bildete einst, zusammen mit den "NSU"-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt (beide verstorben am 4. November 2011 in Eisenach) sowie den Angeklagten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben den "harten Kern" der rechtsradikalen "Kameradschaft Jena".

Zu Beginn des Prozesstages um 10 Uhr scheinen alle Beteiligten hoch konzentriert, Wohlleben und Zschäpe wirken nervös, keiner der Anwälte stellt einen Antrag. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ruft bereits um 10 Uhr 10 den Angeklagten Holger Gerlach in den Zeugenstand und beginnt sofort mit der Vernehmung. Dieser erzählt, ähnlich wie Carsten Sch*ltz* gestern und vorgestern, zunächst von seiner Kindheit, dem Verhältnis zu seinen Eltern.

Gerlach scheint äußert angespannt, redet sehr und oft undeutlich, merkt u. a. an, dass er seine Arbeit wegen des Prozesses verloren habe. Richter Götzl und die Nebenkläger-Anwälte können den Ausführungen Gerlachs teilweise nicht folgen. Götzl ermahnt ihn: "Sie müssen sich bremsen und langsamer sprechen." Daraufhin werden die Mikrofone neu justiert und es werden Kopfhörer an die Nebenkläger verteilt, damit diese den Aussagen Gerlachs besser folgen können.

Holger Gerlach scheint äußerts nervös, wird von Ralf Wohlleben beinahe ohne Pause fixiert; auch Beate Zschäpe blickt ihn oft an. schaut aber immer wieder auch auf die Nebenkläger und beobachtet, wie diese auf Gerlachs Aussagen reagieren. Dessen Anwalt Stefan Hachmeister meldet sich zu Wort, berichtet, dass sein Mandant nun eine schriftliche Erklärung vorlesen werde und fügt an: "Im Anschluss an die Verlesung dieser Erklärung wird unser Mandant erstmal keine weiteren Fragen beantworten". Es sei jedoch möglich, so der Anwalt, dass Gerlach zu einem späteren Zeitpunkt weitere Aussagen machen werde.

Die Verlesung beginnt aber noch nicht und Holger Gerlach berichtet darüber, dass er schon immer "einen Hang zur Subkultur" gehabt habe, zunächst als Punk, später dann in die andere Richtung. "Ich habe keinen mehr ernst genommen oder respektiert, bin aus der Schule geflogen", berichtet er. Über Bestrafungen habe er damals, Mitte der 1990er-Jahre, "nur gelacht".

Dann redet Gerlach über seine Spielsucht, er sei ein Zocker gewesen: "Ich habe viel und exzessiv an Geldautomaten gespielt. Ich war deswegen auch in Therapie. Das Problem ist immer noch latent vorhanden. Wenn ich 300 Euro mit hatte, habe ich die auch ausgegeben", sagt er.

Richter Götzl befragt den Angeklagtenh nun nach Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und Wohlleben. Gerlach sagt über Böhnhardt und Mundlos - und bei der Äußerung horchen einige Nebenkläger auf - "Das waren meine Freunde damals. Ich habe es als Aufwertung empfunden, mit ihnen bekannt zu sein. Sie haben Autorität verkörpert, wirkten echt. Es war eine soziale Aufwertung für mich, ich fühlte mich in der Gegenwart der Uwes sicher.". Aber er bringt Distanz in die Sache, als er sagt "man" habe damals rechte Überzeugungen vertreten.

Gegen 12 Uhr 15 beginnt der angeklagte Holger Gerlach mit der Verlesung seiner schriftlichen Erklärung und spricht sichtlich bewegt: "Mein tief empfundenes Mitgefühl geht an die Opfer. Ich bin selbst tief erschüttert über die Ausmaße und übernehme die Verantwortung für mein Handeln. Es tut mir fürchterlich leid."

Anschließend berichtet der Angeklagte, wie er mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und der Angeklagten Beate Zschäpe während deren fast 13 Jahren im Untergrund in Kontakt gestanden hat, ihnen u. a. seine Ausweispapiere zur Verfügung stellen musste, damit die beiden Männer seine Identität hätten nutzen können. Einmal jährlich habe es außerdem, so Gerlach, "Checks" gegeben: Im Urlaub habe man sich getroffen, um sich miteinander auszutauschen. Er habe sich damals aber nicht vorstellen können, dass sie zu "diesen schlimmen Taten" fähig seien; wörtlich sagte Gerlach: "Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass die drei möglicherweise Gewalt in dem hier vorgeworfenenen Ausmaß gegen andere ausüben könnten."

Holger Gerlach, genannt "Gerry", gibt außerdem ohne Ausflüchte zu, weshalb er dem "NSU" fremde Ausweispapiere besorgte, dann sogar Uwe Böhnhardt seine eigenen zur Verfügung gestellt hatte: "Ich wollte meinen Freunden helfen. Ich hatte gelernt, anderen beizustehen. Ich fühlte mich damit einfach gut und aufgewertet". Der Angeklagte liest vor, stockt aber immer wieder, macht kleine Pausen. Auch seinen Führerschein habe er Uwe Böhnhardt abgetreten, gibt er zu, fügt aber an: "Ich hätte nie gedacht, dass sie mit dem Führerschein Straftaten begehen."

Schon als Gerlach sich 2004, so gibt er es jedenfalls an, von der Neonazi-Szene abzuwenden begonnen habe, sei er immer wieder unter Druck gesetzt worden. Uwe Mundlos habe ihn irgendwann einmal um seinen Reisepass gebeten und ihn darauf hingewiesen, dass er ohnehin "mit dran sei", falls Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe erwischt werden würden. Holger Gerlach zu Götzl: "Es kam mir wie eine Drohung vor, ich fühlte mich unwohl. Aber ich wollte damit doch keine Morde unterstützen!" Wofür seine Identität missbraucht worden sei, habe er erst nach dem Auffliegen des "NSU" im November 2011 erkannt, sagte der Angeklagte.

Dann geht es um Beate Zschäpe und ihr Wissen um den "NSU". Wohlleben habe Gerlach, so berichtet dieser, aufgetragen, nach Zwickau zu fahren und ihm einen Stoffbeutel übergeben. Erst im Zug, so der Angeklagte, habe darin eine Waffe ertastet, sei daraufhin nach eigenen Angaben "erschrocken und entsetzt" gewesen. Anschließend beschuldigt Holger Gerlach Zschäpe schwer: "Beate hat mich vom Bahnhof in Zwickau abgeholt und in die Polenzstraße gebracht. In der Wohnung übergab ich die Waffe an die Uwes und Beate war dabei", sagt er. Dann ist die schriftliche Erklärung verlesen.

Der Vortrag scheint Holger Gerlach erschöpft zu haben, gegen Ende der Erklärung machte er immer öfter längere Pausen, atmete tief durch. Da er, nach Aussage seines Verteidigers, am heutigen Tag keine Fragen beantworten möchte, unterbricht Richter Götzl den Prozess gegen 13 Uhr 35 und kündigt an, dass die Verhandlung Dienstag nächster Woche, also am 11. Juni 2013, fortgeführt werden soll. Dann soll auch, so Götzl, die Vernehmung von Carsten Sch*ltz* fortgesetzt werden.

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Die Zeitung "DIE WELT" schreibt über die Berichterstattung von Radio LOTTE vom "NSU"-Prozess u. a. das Folgende: "Vom Jingle-gute-Laune-Dauerhit-Mix ist man bei Radio Lotte Weimar nicht nur geografisch weit entfernt (...) und als Prozessberichterstatter fungiert Friedrich Burschel, womit Antifa-Kreise schon wissen, was sie an diesem Stadtradio haben, das nicht nur mit dem "NSU-Watch"-Blog kooperiert, sondern 22 andere Bürgerradios in Deutschland und Österreich beliefert. Niemand wird bezweifeln, dass gerade Thüringer Lokalmedien, die seit Jahren über Rechtsextremismus berichten, eine Zuständigkeit für den Prozess um das Trio aus ihrer Region geltend machen können. (...)  Chefredakteur Shanghai Drenger nutzt die Häme, die sich über seinen Sender ergossen hat, um die Kompetenz der sogenannten großen Medien seinerseits infrage zu stellen. Richtig geärgert hat er sich über die 'taz', die Lotte Weimar unterstellt hatte, eine Radiostation zu sein, die dann wohl bald mal die (Zitat) 'Top-Ten-Hits des Terrortrios' durchdudelt."

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