Montag, 11. November 2013

"Der 'NSU'-Prozess - 51. bis 53. Tag": Der Moment, als klar wurde, "bei den Toten handelt es sich nicht nur um Bankräuber"


(schwarz und szabo) -
Die insgesamt 15 Raubüberfälle des NSU und einen weiteren Sprengstoffanschlag in Köln hatte der Münchner Strafsenat bislang in der Beweisaufnahme nur gestreift. In dieser Woche jedoch widmete man sich u. a. ausführlich den Vorfällen am 04. November vor zwei Jahren:

Der 51. Verhandlungstag am 05.11.2013:

Manchmal sagen Bilder mehr als Worte: Während am 51. Tag des "NSU"-Prozesses vor dem OLG München Angehörige des am 04.04.2006 erschossenen Mehmet Kubasik aussagten, blickte die Hauptangeklagte Beate Zschäpe mit verschränkten Armen auf die Witwe des in Dortmund ermordeten Deutschtürken, während die mitangeklagten Ralf Wohlleben und André Em*ng*r meistens in die Luft schauten oder auf einem Laptop herumtippen. Dagegen wirkten die geständigen Holger Gerlach und Carsten Sch*ltz* erstarrt, bei dem, was die unmittelbaren Opfer der Ermordung Kubasiks der Strafkammer um Richter Manfred Götzl berichteten.

Gamze Kubasik und ihre Mutter Elif leiden noch heute unter Angstzuständen und Schlafstörungen, wobei nicht abzusehen ist, dass und ob die Qual jemals ein Ende nehmen wird. "Ich kann es einfach nicht wahrhaben, dass mein Mann getötet worden ist“, sagte Elif Kubasik. Es war der achte Mord des "NSU" an einem Migranten, wie allen zehn Tötungsverbrechen feuerten die Mörder dem Opfer gezielt in den Kopf. Gamze Kubasik kam an jenem Tag ahnungslos zum Kiosk, in dem sie mitarbeitete. Ein älterer Polizist habe ihr gesagt, "Frau Kubasik, Ihr Vater ist tot". Sie begriff es erst nicht, dann kam auch die Mutter zum Tatort. "Ich habe geschrien", sagte Elif Kubasik. Als sie erfuhr, ihrem Mann sei in den Kopf geschossen worden, sei sie war in einen Schockzustand gefallen.

Doch der Schrecken nahm kein Ende für die Familie, berichtete Gamze. Kurz nach dem Mord durchsuchte die Polizei mit Spürhunden die Wohnung der Kubasiks nach Drogen. Die Beamten fanden nichts, doch der Verdacht, der Ermordete sei ein Dealer gewesen, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. "Die Leute haben getuschelt, mein Vater wurde erschossen, der hat wohl Drogen an Kinder und Jugendliche verkauft hätte", berichtete die Tochter und kann im Gerichtsaal mit Blick auf die Angeklagten nur mit Mühe die Fassung wahren. Nachdem ausgeschlossen werden konnte, dass Mehmet Kubasik etwas mit Drogengeschäften zu tun hatte, kam der Verdacht auf, das Opfer könnte seinen Tod selbst verschuldet haben, sei mit der PKK verbunden gewesen, der militanten kurdischen Separatistenorganisation. "Danach soll es die türkische Mafia gewesen sein“, sagte die 28 Jahre alte Frau aus und fügte an, am Ende sei sie gefragt worden, "ob mein Vater Beziehungen zu anderen Frauen hatte".

Gamze Kubasik erklärte außerdem, das alles habe sie nicht ausgehalten, eine Ausbildungsstelle hätte sie deshalb nicht angetreten und "ich habe damals beschlossen, dass ich das Haus nicht verlasse, ich bin ein Jahr nicht rausgegangen", sagte sie zum Vorsitzenden Richter Götzl..

Die 49-jährige Mutter berichtete: "Am Tag nach der Ermordung kamen Polizisten und haben Fingerabdrücke genommen. Ach von meinen Kindern". Außer Gamze mussten auch die zwei kleinen Söhne zu erkennungsdienstlichen Behandlung. Der Elif Kubasiki setzten Trauer und Stress so stark zu, dass sie an Neurodermitis erkrankte, auch wegen der andauernden Spekulationen in den Medien. Als Schlusswort sagte sie: "Es mag komisch klingen, aber in einem Land der Demokratie müssen wir uns mit solchen Dingen abgeben". Aber Mutter und Tochter haben trotzdem eine Hoffnung und zwar "dass der Staat die Täter bestraft werden", wie die WItwe es sagte.


Der 52. Verhandlungstag am 06.11.2013:

Es sagte der Leitende Polizeidirektor, Michael Menzel, aus Gotha aus. Er führte 2011 anlässlich ähnlich strukturierter Banküberfälle in Thüringen und Sachsen eine Sonderkommission, die nach zwei Tätern fahndete, die bei ihren Überfällen maskiert und bewaffnet waren, einer davon ein Linkshänder, und stets auf Fahrrädern von den tatorten flüchteten.

"Wir gingen davon aus, dass die Täter die polizeilichen Fahndungsmethoden wie die Ringfahndung kannten. Also bemühten wir uns, die Wege von einem Tatort weg so schnell wie möglich zu besetzen, die von Radfahrern benutzt werden konnten", sagte er zu dem Vorsitzenden Richter Martin Götzl. Nachdem einige Wochen zuvor das Räuberpaar in Arnstadt aufgefallen war, kam am 04.11.2011 um 9 Uhr 30 ein Anruf aus Eisenach: die dortige Sparkasse war überfallen worden und zwar von zwei Männern, die auf Fahrrädern geflüchtet waren.

Menzels These war, dass die Täter die Fahrräder nicht lange nutzten und dann auf ein Kraftfahrzeug umsteigen würden. "So wurde Eisenach fast abgeriegelt", sagt er aus. Noch bevor er in Eisenach eintraf, habe eine Zeugenaussage in einem Gewerbegebiet ergeben, dass dort zwei Männer gesehen worden seien, wie sie auf einem Parkplatz Räder in ein Wohnmobil verluden. Ein Glücksfall: Der Zeuge hatte sich den ersten Buchstaben des Fahrzeugkennzeichens gemerkt: "V", für Vogtland. "Ich verlegte die Polizeiführung von Gotha nach Eisenach, denn ich musste davon ausgehen, dass die Täter bewaffnet sind und möglicherweise eine Geiselnahme verüben werden", sagte Michael Menzel aus.

Dann der Zugriff. Polizisten entdeckten kurz nach 12 Uhr in einer Seitenstraße im Eisenacher Stadtteil Stregda ein weißes Wohnmobil mit einem "V"-Kennzheichen. Um 12 Uhr 05 stiegen die beamten aus und gingen in Richtung des Fahrzeugs. In diesem Moment seinen Schüsse gefallen, berichteten die Kollegen über Funk, sagte Menzel. Hinter einer kleinen Mauer versteckten sie sich und forderten Verstärkung an. Nach dem zweiten Schußgeräusch sei das Wohnmobil gegen 12 Uhr 07 Uhr in Brand geraten. Um 12 Uhr 20 sei die Feuerwehr eingetroffen und habe mit den Löscharbeiten begonnen. Zeitgleich traf auch der leitende Polizeidirektor in der Seitenstraße in Stregda ein.

"Als ich das Fahrzeug gegen 12 Uhr 30 Uhr betrat, war der Innenraum des Wohnmobils durch den Brand schwer beschädigt, zwei männliche Personen - vermutlich tot. Für mich war noch ungeklärt, wer geschossen hatte. Die Kollegen sagten: wir nicht.", kommentierte Menzel die Vorgänge. An den Toten habe er, Menzel, "großflächige Kopfverletzungen" in der Form von Zerstörungen des gesamten Gesichtsfelds festgestellt, wie sie erfahrungsgemäß nur durch eine großkalibrige Waffe wie eine Pumpgun herbeigeführt werden können.

Die Dachhaut sei komplett durchgebrannt gewesen. "Aluminium tropfte ins Innere auf einen Tisch. Da habe ich auf dem Tisch eine Waffe gesehen, aus der eine Patrone ausgetreten war. Die konnte ich als Polizeipatrone identifizieren", sagte Menzel aus. Die Seriennummer sei sofort weitergegeben worden. Um 16 Uhr des 04.11.2011 habe schließlich unzweifelhaft festgestanden: Es war die Waffe der vier Jahre zuvor in Heilbronn ermordeten Kollegin Michèle Kiesewetter gewesen. "Das war für uns der erste Punkt für die Annahme, bei den Toten handle es sich nicht nur um Bankräuber", sagte Menzel zu Richter Götzl.

Wichtig sei aber vor allem die Identifizierung der Leichen gewesen, berichtete Michael Menzel. Dies habe er sogar noch vor Aufnahme der Tatortarbeit veranlasst. Zwischen 13 und 14 Uhr trafen die Spezialisten der Rechtsmedizin ein; zu diesem Zeitpunkt sei auch bereits der Halter des Fahrzeugs ermittelt worden - ein Autoverleih in Zwickau. Von diesem sei am späten Nachmittag des 04.11.2013 die Information gekommen, ein Mann namens Holger Gerlach habe das Wohnmobil gemietet; er sei bei der Anmietung in Begleitung einer Frau und eines Kindes gewesen. Eine Überprüfung des Mannes beim Kriminaldauerdienst habe ergeben, dass Gerlach bei Hannover leben würde, als "rechtsmotivierter" Mann einzuschätzen sei und aus Jena stammte, sagte der Leitende Polizeidirektor aus. Gegen 1 Uhr 30 am 05.11.2011 habe es dann im Bereich Bad Nenndorf die Festnahme von Holger Gerlach gegeben.

Menzel hatte da bereits die Vermisstenakte "Uwe Mundlos" angefordert. Dieser war 2005 von seinem Vater als vermisst gemeldet worden, seine Fingerabdrücke in der Datenbank des Bundeskriminalamts gespeichert. EIn Abgleich der Fingerabdrücke des einen Toten aus dem Wohnmobil hatte ihn als Uwe Mundlos identifiziert. Gemeinsam mit den Informationen zu Mundlos habe er die Information erhalten, dass dieser gemeinsam mit einem anderen Mann, Uwe Böhnhardt, untergetaucht war. Böhnhardts Identität wurde dann u. a. durch dessen Tattoo auf der linken Wade klar.

"Es ergab sich in diesem Moment ein neues Bild für uns. Die jüngsten Ereignisse wurden in Zusammenhang gebracht mit Vorfällen aus den Jahren 1998/1999, bei denen Böhnhardt, Mundlos und eine Beate Zschäpe eine Rolle spielten", sagte Menzel vor dem OLG München aus. Es sei sehr schnell gegangen, am 05.11.2011, berichtete der Polizeidirektor. Der gleiche Kollege, der sich in Zwickau um das Kennzeichen des Fahrzeugs gekümmert hatte, meldete ihm nun eine Explosion in der Zwickauer "Frühlingsstraße 26" am Nachmittag des Vortages mit Zeugenaussagen, dass in letzter Zeit dort öfter ein weißes Wohnmobil mit Vogtländer Kennzeichen gesehen worden sei. Das Bild rundete sich damit für den Polizeiführer ab: zwei Männer, eine Frau. Untergetaucht in Jena. Banküberfälle, Zwickau, das Wohnmobil, die Frau, die bei der Anmietung dabei war. Wo war sie jetzt?

"Ich ging davon aus, dass sie geflohen war", sagte Menzel. Schließlich seien die Medien damals schnell zur Stelle gewesen. Schon kurz nachdem er um 12 Uhr 30 das Wohnmobil betreten hatte, habe sich ein privates Fernseh-Team am Tatort in Eisenach aufgehalten. Eine erste Pressemitteilung sei kurz vor 13 Uhr veröffentlicht worden. Antenne Thüringen hätte kurz nach 14 Uhr 15 erstmals öffentlich mitgeteilt, in einem Wohnmobil in Eisenach hätten sich zwei Leichen befunden. Die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße sei dann kurz nach 15 Uhr in Brand gesetzt worden. Das sei für ihn eine logische Abfolgekette, sagte Menzel vor dem OLG München.

Der 52. Verhandlungstag am 07.11.2013:

Am 07.11.2013 wurde Frank L. befragt, einst Betreiber des rechten Szeneladens "Madley" in der Jenaer Wagnergasse. Hartnäckig befragt der Vorsitzende Richter an diesem Tag den Zeugen und der sagt zuerst fast nur: "Ich weiß es nicht mehr" oder "ich kann mich nicht erinnern". Erst spät am Verhandlungstag bricht sein Unwissenheitskonstrukt etwas zusammen, als er zugibt, dass es "wohl so gewesen ist, dass ich dem Bundeskriminalamt gesagt habe", ergo: Ralf Wohlleben hätte ihn im Jahr 2000 oder später nach einer Waffe gefragt.

Frank L. ist genau deshalb ein wichtiger Zeuge, da in Jena im "Madley" eben die Pistole Ceska 83 mit Schalldämpfer an Carsten Sch*ltz* übergeben worden war, mit der später von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun Menschen ermordet worden waren. Und doch zeigte sich L. im Gericht hierüber zunächst weitgehend ahnungslos und brachte Richter Martin Götzl dazu, ihn eindringlich an seine Wahrheitspflicht zu erinnern. Denn Frank L.s damaliger Mitarbeiter Andreas S. hatte bereits gestanden, die Waffe seinerzeit an Carsten Sch*ltz* ausgehändigt zu haben, zusammen mit einem Schalldämpfer und Munition.

L. behauptete dagegen zuerst, das Protokoll des BKA gebe seine Aussagen "nicht wortwörtlich" wieder und er habe "das Papier auch nur überflogen", bevor er es unterschrieb. Weshalb das so gewesen sei, wollte Götzl von ihm wissen und L. antwortete ihm: "ich wollte raus, das ging mir einfach auf den Sack". Doch der Vorsitzende Richter bleibt hartnäckig, befragt L. Stunde um Stunde, hält ihm vor, Frank L. habe vor der Polizei ausgesagt, er habe den nach einer Waffe fragenden Wohlleben damals "wahrscheinlich an den Mitarbeiter Andreas S. verwiesen". Als Götzl L. schließlich nachhakt, was an dieser Aussage im Protokoll nicht stimmen soll, sagte L. zuerst wieder "es kann sein, es kann nicht sein", bevor er nach fast sechs Stunden im Zeugenstand schließlich einräumte, dass es wohl so gewesen sei.

Immer wieder blickte er dabei zu Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben; während Zschäpe ihn intensiv anschaute, würdigte ihn Wohlleben keines Blickes. Trotzdem dürfte dem Jenaer Ex-NPD-Funktionär u. a. wegen dieser Aussage von Frank L. eine Gefängnisstrafe drohen.

Der Prozess wird am 12.11.2013 fortgesetzt.

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