Freitag, 15. November 2013

"Der 'NSU'-Prozess - 54. bis 56. Tag": So etwas wie eine Neuorientieurng der zu verhandelnden Themen und schwierige Zeugenaussagen


(schwarz und szabo) -
Im "NSU"-Prozess gab es in dieser Woche eine Art Neuorientieurng der zu verhandelnden Themen und schwierige Zeugenaussagen. Erstmals wurde das direkte Umfeld, Nachbarn, Freunde und Bekannte der Täter und Angeklagten vernommen - ein Vorgang, der sich in diesem Jahr noch öfters wiederholen wird: u. a. sollen noch Uwe Böhnhardts Mutter Brigitta und Beate Zschäpes Mutter Annerose in den Zeugenstand treten.

Neun der "NSU"-Morde sind inzwischen verhandelt, dazu wichtige Dinge aus dem Ablauf der Geschichte des "Nationalsozialistischen Untergrunds" in den Prozess eingeführt, wie der Brand der Wohnung in Zwickau und der Tod der beiden "NSU"-Männer Böhnhardt und Mundlos am 04.11.2011. Was nun folgt wird zäher, zeitaufwendiger, im Ergebnis möglicherweise weniger ergiebiger sein, als die bisherigen Themen.

Der 54. Verhandlungstag am 12.11.2013:

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat sich für den 54. Verhandlungstag ein großes Pensum vorgenommen, will insgesamt sieben Zeugen vernehmen. Allerdings zog sich schon die Befragung der drei Autovermieter, bei denen Böhnhardt und Mundlos über Jahre Wohnmobile angemietet hatten, wesentlich länger hin als vom Gericht geplant, weshalb Götzl drei Zeugen (darunter Mandy Struck, deren Identität Beate Zschäpe in der Illegalität oft für ihre Zwecke genutzt hatte) schon am späten Vormittag wieder nach Hause schickte, noch bevor diese auf der Zeugenbank Platz nehmen konnten.

Dann trat Silvia S. in den Zeugenstand, eine 33 Jahre alte Friseurin aus Hannover. Ihr wird zur Last gelegt, die AOK-Karte gegen die Zahlung von 300 Euro an Holger Gerlach gegeben zu haben, der die Karte von Silvia S. dann an Beate Zschäpe weitergab, die sich damit während ihrer Zeit in Zwickau mehrfach hatte ärztlich behandeln lassen. Doch Silvia S. antwortete auf Götzls Fragen ausweichend, sagte, dass sie kaum noch etwas davon weiß, sich nicht mehr richtig daran erinnern kann.

Frau S. begründete dies gegenüber Götzl damit, dass sie inzwischen "mit der Sache" nichts mehr zu tun haben will. Sie blende das aus, habe deshalb so gut wie alles vergessen, könne nur sagen, dass sie sich "damals" keinerlei Gedanken gemacht habe, wofür Holger Gerlach ihre AOK-Karte gebraucht haben könnte. Wann exakt "damals" war, konnte sie ebensowenig sagen und als der Vorsitzende Richter nachhakte, weshalb Silvia S. dafür Geld bekam und ob sie es gefordert habe, antwortet sie ihm lediglich: "Ich bin eine arme Friseurin", sie habe bei der Sache "nur das Geld gesehen." Den kompletten Rest des 54. Verhandlungstages befragt Götzl die Friseurin - bis gegen 20 Uhr zieht sich das Prozedere hin.

Wer den Kontakt zu Gerlach hergerstelltr habe, will der Richter wissen. Ihr Mann sei ein Freund von Holger Gerlach gewesen, räumte sie ein, mit Betonung auf "gewesen". Wie die Übergabe abgelaufen sei? Kaum noch eine Erinnerung habe sie, berichtete S., vielleicht habe man "damals" etwas zusammen getrunken und "was geraucht". Die Karte hatte sie jedenfalls später bei der Krankenkasse als verloren gemeldet, worauf sie problemlos eine neue bekommen hätte, sagt Frau S., denn die alte Karte wäre ja ohnehin bald abgelaufen gewesen.

Manfred Götzl korrigiert die Zeugin. Die an Zschäpe weitergereichte Karte war 2005 das erste Mal von der "NSU"-Frau in Zwickau genutzt worden und noch bis 2008 gültig. Der Vorsitzende Richter: "Überlegen Sie mal, ob das, was Sie hier sagen, plausibel ist!" Andere Mitglieder des Senats fragten ebenfalls nach, z. B. was S. mit den 300 Euro gemacht habe, ob sich die Friseurin nicht gefragt hätte, was ein Mann mit der Karte einer Frau machen wolle? Die Antwort: Schweigen.

Einmal hat Götzls Geduld mit Silivia S. ein Ende, fragte, ob die Zeugin seine Fragen tatsächlich nicht verstehe oder einfach nicht verstehen will, denn häufig antwortete sie ihm mit einer Gegenfrage, erweckte dabei den Eindruch, als habe sie akustisch nichts verstanden, nahm sich dabei aber offensichtlich Zeit zum Überlegen, um möglichst nichts für sie problematisches auszusagen.

"Haben Sie Herrn Gerlach weitere Informationen, etwa über Ihre Brillenstärke, gegeben?" wollte Götzl wissen. "Nein", antwortete die Zeugin. "Aber Ihre AOK-Karte haben Sie ihm schon überlassen!", legte Götzl nach und spielt edamit auf den Hintergrund an, dass die AOK-Karte ist nicht das einzige war, was Beate Zschäpe mit Silvia S. verbindet. Im Brandschutt der Zwickauer Wohnung wurden auch ein Brillenpass und Behandlungsnachweise gefunden, ein Bibliotheksausweis - alles mit dem Namen der Hannoverander Friseurin.

"Was haben Sie denn mit Ihrem Mann besprochen, nachdem Sie in einer polizeilichen Vernehmung mit der Verwendung Ihrer Karte und Ihrer Adresse konfrontiert worden waren?" fragte Götzl abschließend. "Dass es Scheiße ist", antwortete ihm die Zeugin und fügte zögernd an, sie könne dies nicht besser ausdrücken, ihr Kopf sei ganz leer. Trotzdem spricht Silvia S. nooch ine Art Schlusswort, indem sie sagte, sie sei "halt in was reingerutscht", etwas, dass sich niemand habe vorstellen können.

Unter den drei Zeugen, die am 54. Verhandlungstag nicht gehört wurden ist auch Uwe Böhnhardt Mutter. "Wir haben Frau Brigitte Böhnhardt jetzt auf den 19. November geladen", erklärte ein Gerichtssprecher zum Schluss der Verhandlung.

Der 55. Verhandlungstag am 13.11.2013:

Ein interessanter Schachzug von Ralf Wohllebens Verteidiger, RA Olaf Klemke, beeinflusste den 55. Verhandlungstag. Als Zeuge war Andreas S., geladen, der 1999 und 2000 Mitarbeiter und Co-Chef des rechten Szeneladens "Madley" in Jena war: der Mann, der die Ceska 83 Pistole verkauft hatte, mit der später vom "NSU" neun Menschen hingerichtet wurden.

In drei ausführlichen Aussagen wähhrend des Ermittlungsverfahrens hatte S. dem Bundeskriminalamt gegenüber den Waffenverkauf ohne Umschweife zugegeben, auch, dass er Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kannte. Während die Bundesanwaltschaft bei Andreas S. wegen der strafrechtlichen Verjährung der Weitergabe der Waffe kein relevante Beihilfehandlung sah, erklärte RA Klemke vor Gericht, der Zeuge befnde sich "in der Gefahr, dass gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord ermittelt werden würde, falls er sich vor Gericht äußert". Aus seiner Sicht bestehe durchaus ein Anfangsverdacht, führte Klemke aus und brachte damit Richter Götzl in Schwierigkeiten, denn der hatte Andreas S. zuvor nicht über dessen dann bestehendes generelles Aussageverweigerungsrecht belehrt..

Auch wenn er seinen Mandanten damit mittelbar belastete, so könnte das von RA Klemke beabsichtigte Ergebnis Wohlleben doch weiterhelfen. "Es gibt eine Menge Anhaltspunkte dafür, dass S. bekannt gewesen sein kann, für wen die Waffe bestimmt war", erklärte der Anwalt und brachte die Münchner Strafkammer dazu, hierüber zu beraten, denn Andreas S. kennt die Akten nicht, weiß nicht, was andere Zeugen im Prozess bereits ausgesagt haben, weiß nicht, was das Gericht schon an Fakten kennt. Eine einzige unbedachte Äußerung, eine vorschnelle Antwort und - wie von RA Klemke vorhergesagt -  belastet sich S. selbst.

Nach der Beratung des Gerichts ist klar: Götzl hatte S. nicht weitgehend genug belehrt, was in einer Revision gerügt werden könnte, weshalb der Vorsitzende Richter Andreas S. nochmals und nun umfassend belehte. Mit der Folge, dass S. an diesem Verhandlungstag nicht mehr aussagen musste, sich nun anwaltliche Beratung nehmen kann und diese muss ihm zum Eigenschutz raten, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.

Der 56. Verhandlungstag am 14.11.2013:

Am 56. Tag des "NSU"-Prozesses sagten ehemalige Nachbarn des Terror-Trios aus der Zwickauer Polenzstraße aus, und das, was sie erzählten, dürfte die Anwälte von Beate Zschäpe zufriedengestellt haben. Karin F. heißt eine ANchbarin und nach ihrer Aussage war klar: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verkrochen sich nach ihrem Untertauchen nicht etwa in irgendeinem Keller, sie wohnten inmitten der Gesellschaft und führten nach außen hin ein scheinbar biederes Leben.

Die Zeugen kannten das Trio nicht von Raubüberfällen, Bombenanschlägen oder Mordtaten her, sondern trafen sie im Treppenhaus oder am Wäscheplatz, saßen im Hinterhof mit ihnen zusammen oder man half sich gegenseitig bei den Dingen des Lebens aus. Katrin F., von Beruf Reinemachefrau,  wohnte in der Polenzstraße in der Etage über den drei Terroristen. Beate Zschäpe? Die kenne sie nur als "Lisa Dienelt", und "die Lisa" war stets hilfsbereit, nett, freundlich und vor allem lieb zu Kindern. Ein kleiner Engel sei sie für die Nachbarschaft gewesen, berichtet Frau F., jemand, der den Nachbarn kleine Geschenke gemacht und für Bedürftige im Haus Lebensmittel eingekauft habe. "Die Sachen hat sie denen sogar in die Wohnung hochgeschleppt. Ich kann gegen die Frau Zschäpe nichts Schlechtes sagen", endet Katrin F. mit einer ersten Personenbeschreibung.

"Lisa" habe im Erdgeschoss gewohnt, zusammen mit ihrem Lebensgefährten und dessen Bruder. Allerdings habe Katrin F. nie gewusst, wer von beiden Zschäpes Partner gewesen sei, berichtete sie. Erst nach der Enttarnung der "NSU"-Terrorzelle erfuhr sie, dass es sich bei dem Trio um den "NSU" gehandelt habe, der zehn Menschen getötet und 14 Banken überfallen haben soll. Zschäpe habe ihr erzählt, sie bräuchte nicht zu arbeiten weil beide Männer in der Computerfirma ihres Vaters arbeiteten und dort würden sie genug verdienen. Deshalb habe sie auch keine Geldsorgen, hätte "Lisa" berichtet.

Wie Zschäpe damals ausgesehen habe, will der Vorsitzende Richter von der ehemaligen Nachbarin wissen. "Genau so wie jetzt. Ich kann mich nur so an sie erinnern, wie sie jetzt da sitzt", antwortete ihm die Zeugin. Einmal als Katrin F. sich bei ihrer Aussage verspricht ("Die haben alle so hochdeutschmäßig gesprochen."), schlägt Zschäpe sogar ihre Hände vors Gesicht und lacht laut. Kein Zweifel: die beiden Frau kennen sich gut.

Wie das Leben mit den Dreien im Haus so gewesen sei, möchte Götzl wissen und Karin F. antwortet offen und ehrlich. "Ganz anders als bei uns. Die drei sind viel verreist. So, ein-, zweimal pro Jahr für sechs Wochen. Immer mit dem Wohnmobil hoch an die See", sagte sie. Und sonst, fragte der Vorsitzende Richter. Auch sonst seien sie viel unterwegs gewesen, meist mit dem Fahrrad. Kann sich die Zeugin an etwas ungewöhnliches erinnern, wollte Götzl anschließend von ihr wisen und spielte auf eine Begebenheit im Keller der Polenzstraße an. Katrin F. wird kurz ernst. Als die Männer einmal ihre Räder aus dem Keller gehievt hatten, habe sie gehört, wie sich die beiden über Waffen unterhalten haben. "Da dachte ich ja nicht, dass die echte haben", berichtete sie aus. Vielmehr habe sie geglaubt, es gehe um die "Computer-Ballerspiele", die sie und ihre Familie im Stockwerk darüber oft gehört hätten, bevor das Trio für 2.000 Euro ein Zimmer mit Dämmwolle ausgelegt habe.

"Haben Sie auch mal über Politik geredet?", fragte Richter Manfred Götzl nach und die Frage wird verneint. Ob Katrin F. auch einmal in der Wohnung des Trios gewesen sei, will Götzl abschließend wissen. Ja, sagte die Zeugin, aber nur einmal, weil es dort einen Wasserschaden gegeben habe und damals sei sie auch nur in der Küche gewesen. Sonst habe keiner das Zuhause des Trios betreten dürfen. "Die hat immer nur einen Spalt die Tür geöffnet", erinnerte sich Katrin F. vor Gericht.

Auch Martin F., Ehemann der Reinemachefrau, und der frühere Hausmeister in der Zwickauer Polenzstraße, konnten nichts Schlechtes über das Trio berichten. Die Männer seien ihnen nicht aufgefallen, ließen sich so gut wie nie blicken, sagten beide aus. Uwe S., ein weiterer Nachbar in der Polenzstraße, erinnert sich vor Gericht, dass Zschäpe seiner Tochter erzählt habe, sie habe keine Verwandten, nur eine Freundin mit Kind, die ab und an zu Besuch käme. Dem Schwiegersohn von Uwe. S., der Zschäpe einmal nach ihrer Handy-Nummer gefragt habe, hätte sie die Nummer nicht geben wollen. "Obwohl wir genau wussten, die hat ein Handy", sagte der Zeuge.

Auch nachdem das Trio in die Frühlingsstraße im Zwickauer Stadtteil Weißenborn umgezogen war, kreuzten sich noch immer Zschäpes Wege mit denen ihrer ehemaligen Nachbarn: Sowohl S. als auch Katrin F. begegneten "Lisa" mehrfach in der Innenstadt, u. a. bei einem Stadtfest. Immer sei Zschäpe, so erzählten beide, auf sie zugekommen, habe geplaudert und sich nach deren Befinden erkundigt. "Sie war sehr zuvorkommend", berichtete Uwe S. der Münchner Strafkammer.

Der Prozess wird voraussichtlich am 19.11.2013 fortgesetzt.

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