(lsn / stern / tim schwarz) - "Sage mir, was ein Mensch spricht und ich sage Dir, was der Mensch ist."- Ganz so einfach ist es im Leben nicht und trotzdem könnte daran ein Körnchen Wahrheit sein. Zumindest in Bezug auf Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im "NSU"-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht.
Dachte man bisher, ihr Schweigen hätte vor allem taktische Gründe, denn die Anklage hat hierbei größere Schwierigkeiten zu beweisen, dass Zschäpe die Morde an zehn Menschen tatsächlich wollte oder gebilligt hat. Ihre Verteidigung dagegen stellt die Frau des Terror-Trios deshalb eher als unbedarfte Freundin der bösen "Uwes" dar, eine Frau, die wohl früher einmal rechtsextrem war, sich aber später, im Untergrund, gar nicht mehr für das interessierte, was Böhnhardt und Mundlos machten: ihre Morde und Raubüberfälle und Bombenanschläge. Als ein im Grunde guter Mensch, dem es am Ende nur noch darum ging, seine Freunde, die "Familie", nicht hängen zu lassen, so soll Beate Zschäpe nach dem Willen ihrer Verteidigung erscheinen.
Aber stimmt diese Rollenverteilung? War Mundlos der Denker und Stratege, Böhnhardt der Waffennarr und Haudrauf und Zschäpe lediglich die Wirtschafterin im Hause "NSU"? Das Hamburger Nachrichtenmagazin "Stern" hat in diesem Jahr zwei anerkannte Sprachwissenschaftler damit beauftragt, ein forensisch-linguistisches Gutachten zu erstellen über Zusammenhänge zwischen Beate Zschäpes Sprach- und Wortwahl in Briefen an Dritte und dem einzig unversehrt gebliebenen "Manifest des Nationalsozialistischen Untergrunds".
Die beiden Wissenschaftler analysierten unabhängig voneinander Sprache, Stil und charakteristische Fehler im Manifest und Briefen von Zschäpe und Uwe Mundlos. In seiner aktuellen Ausgabe stellt der "Stern" das überraschende Ergebnis vor:
1.) findet sich zum Beispiel im "Manifest" eine von Zschäpe gern gebrauchte doppelte Verneinung: "DER NSU WIRD NIEMALS DURCH EINE KONTAKTADRESSE ODER NUMMER ERREICHBAR SEIN, WAS ABER NICHT BEDEUTET DAS ER UNERREICHBAR IST."
2.) wurde im "Manifest" etwas festgestellt, das die Sprachwissenschaftler als "hyperkorrekte Flexionssilben" bezeichnen: Beate Zschäpe schreibt in Briefen etwa über die Ergebnisse "eines Einkaufes" im Gefängnis...nicht "eines Einkaufs". Sie schreibt weiter ebenso Formulierungen wie: "solchen Ausmaßes" oder "dieses Balanceaktes". Im Manifest findet sich auch diese spezielle stilistische Eigenart wieder, die nicht die eine Uwe Mundlos war: "KEINE PARTEI ODER VEREIN IST DIE GRUNDLAGE DES NATIONALSOZIALISTISCHEN UNTERGRUNDES" heißt es dort, während es an anderen Stellen "UNTERGRUNDS" heißt.
3.) Auf Zschäpes Mit-Autorenschaft weisen, so analysierten die beiden Wissenschaftler für den "Stern", auch falsch platzierte Leerzeichen hin: sogenannte "Spatien". Beate Zschäpe lässt diese Spatien in ihren Briefen vor oder nach Gedankenstrichen immer wieder weg. So heißt es etwa, als sie mit einem in einer anderen Strafanstalt inhaftierten Mann brieflich flirtet: "Meine winzige Vorstellung über die Ausstattung des im Mittelfeld Deines Körpers befindlichen 'Anhanges' -landläufig auch als Gehirnverlust Grund betitelt-, verschweige ich vorsorglich."
Im Manifest findet man an einer Stelle das Folgende: "GIB DEIN BESTES– WORTE SIND GENUG GEWECHSELT".
Die Fährte führt die Experten hier direkt zu Beate Zschäpe, denn Uwe Mundlos setzt Leerzeichen in seinen Briefen nach der Expertenmeinung großzügig und auch dort, wo sie gar nicht hingehörten, etwa vor und nach Klammern. Zwei andere Stellen im "Manifest" belegen dies: "KEINE PARTEI ODER VEREIN IST DIE GRUNDLAGE DES NATIONALSOZIALISTISCHEN UNTERGRUNDES ( NSU ) SONDERN DIE ERKENNTNIS..." bzw. "DER EMPFÄNGER DES SCHREIBENS ( GLEICHGÜLTIG OB HAUPTANSCHRIFT ODER ABSENDER ) DARF...".
Das "Manifest", ein Aufruf zu Radikalität und Konsequenz, wurde 2002 auf einer Festplatte des "NSU" abgespeichert. Zu dieser Zeit hatte der "NSU" bereits vier Menschen umgebracht und mehrere Banken überfallen; Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt lebten damals seit vier Jahren im Untergrund. Vielleicht schweigt Beate Zschäpe auch deshalb so eisern, weil ihre Wortwahl sonst verräterisch für sie sein könnte.
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