Montag, 2. Dezember 2013

"Von einem respektvollen Umgang mit der Planungsarbeit ist wenig zu spüren": Statement des Jenaer Baukunstbeirates zu den Protesten zur geplanten "Eichplatzbebauung"


(lsn / baukunstbeirat) - In der "Moratorium" genannten "kreativen Denkpause" zur Klärung von Fragen der geplanten Eichplatzbebauung, sowie den Protesten der BI "Unser Eichplatz - IT'S ME!" wir immer von einem respektvollerer Umgang mit- und untereinander gesprochen.

Von einem respektvollen Umgang mit der aufwendigen Planungsarbeit vieler Fachleute war allerdings in den letzten Wochen, nach Meinung des Jenaer Baukunstbeirates, wenig zu spüren, wie er nun in einem Statement mitteilte. Der Grund: das Gesamtvorhaben werde öffentlich als "Wahnsinn" diffamiert, die Bebauung als "Betonklotz". Nahezu jedes Detail der vorliegenden Pläne, die über viele Jahre unter Abstimmung vieler Beteiligter enbtstaden waren, werde kritisiert, schreibt der Fach-Beirat und moniert, dass grotesker Weise sogar Gegenteiliges vorgeschlagen werden, weil "die Bebauung zu hoch und zu dicht" sei, es "zu viel Handel, zu wenig Wohnen, zu wenig Grün, Licht, Luft und Sonne im Zentrum der Stadt" gebe.

Der Baukunstbeirat schreibt weiter: "Ein Beitrag fordert den Erhalt der durch Bombenangriffe 1945 verursachten Sichtschneise Weigelstrasse – Rathausgasse. Begründung: Generationen von Bewohnern hätten sich nun daran gewöhnt. Nun soll jeder einzelne Bürger der Stadt über das gewünschte Ausmaß einer zukünftigen Bebauung abstimmen. Die Auseinandersetzung hat mittlerweile, mit Hilfe der Bürgeraktionen, die Dimension eines vorgezogenen Wahlkampfs Opposition – Koalition erreicht. Vorwürfe der Unwahrheit, der Täuschung und fachlichen Unvermögens stehen im Raum. Tenor aller kritischen Stimmen ist: Ja, wir wollen eine Bebauung des Eichplatzes, aber nicht SO! Im Hintergrund wird dann geäußert, man könne doch problemlos noch 10, 20, 30 … Jahre warten. Dann gäbe es andere Bedingungen, neue Ideen und möglicherweise eine bessere Architektur. Nun ist ein Baukunstbeirat nicht legitimiert, die politischen Positionen und Aktionen von Parteien und Bürgerinitiativen zu bewerten.

Vielmehr hat die Stadt Jena diesen Baukunstbeirat berufen, um den Stadtrat, den Stadtentwicklungsausschuss und die Stadtverwaltung konkret in Fragen von Architekturqualität, Stadtgestaltung und Denkmalpflege zu beraten. Dies tun wir bei vielen Bauvorhaben. Die überarbeiteten Angebote zur Eichplatzbebauung haben wir bereits im Vorjahr einer fachlichen Bewertung unterzogen und ein klares Votum zur Variante OFB – jenawohnen abgegeben. Die momentane Flut widersprüchlicher Aussagen und Forderungen veranlasst uns zu diesem Statement, weil viele der aufgeworfenen Probleme eben die Arbeit von Architekten, Stadtplanern und Denkmalpflegern betreffen. Vorab. Selbstverständlich haben die Bürger ein Recht zu wissen, wie sich ihre Stadt entwickeln soll, ein Recht auf Information und Teilhabe. Diese Bürgerbeteiligung ist daher für Planungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben und sie kann sehr nützlich sein, weil sie auf der Kenntnis des Ortes und langjähriger Lebenserfahrung basiert. Wird nun, darüber hinausgehend, eine öffentliche Entscheidungsfindung auch über Handelsangebote, Wohnungsgrundrisse, räumliche Strukturen und einzelne Bauformen bis hin zur gewünschten Materialwahl verlangt, wäre ein Planungsprozess überfordert und käme sehr schnell zum Stillstand.

Die Arbeit vieler Fachleute würde konterkariert. Finanzierungszusagen würden fraglich. Eben wegen der gesuchten Finanzierung einer Eichplatzbebauung hatte die Stadt einen Investorenwettbewerb ausgeschrieben, mit der Auflage, neben innerstädtischem Handel eine beträchtliche Anzahl Wohnungen zu planen und zugleich Gestaltungsvorschläge der zukünftigen Bebauung einzureichen. Aus diesem Verfahren sind letztlich zwei Bewerber hervorgegangen, die nach kritischer Beratung ihre Vorschläge qualifiziert haben. Diese stehen nun zur Debatte. Das erwähnte Votum des Baukunstbeirates gründet auf der Einschätzung, dass diese Variante, ausgehend von der Gestaltung des Bereichs MK 3, Stadtgrundriss, Kleinteiligkeit und Modernität in der Lösung vereint. Nicht die beargwöhnte Belanglosigkeit, sondern eine qualitätvolle, eigenständige Architektursprache für diesen Ort in Jena ist hier möglich. Zu den Fragen, welche die Initiative besorgter Bürger der Stadt aufwirft, können hier nur einige Anmerkungen gemacht werden. Gegen ein Gesamtkunstwerk Stadtplanung/Stadtgestalt wird niemand Einwände haben. Aber die Einheit von Historie und Modernität ist eben nicht einfach zu entwerfen. Zumal Krieg und spätere Entwicklungen einen riesigen Leerraum hinterlassen haben.

Doch nun wird nach dem Platz für Riesenrad, Märkte und Feste gefragt. Die allerorten gepriesene historische Raumstruktur ist nun zu eng, die moderne Bebauung zu hoch, Rathaus und Stadtkirche sind nicht mehr über hunderte Meter zu sehen. Also keine Bebauung oder nur ein bisschen Bebauung, um einen möglichst großen Platz zu bewahren? „Grün statt Wühltische“. Dass es der Stadt Jena angesichts der herrlichen Umgebung, Paradies und Saaleaue an Grün mangelt, bleibt zu klären. Partielles Grün, wie in dichten Stadtlagen üblich, ist in den Planungen am neuen Eichplatz vorgesehen, ebenso die Begrünung der Dachlandschaft. Auch die Forderung „Wohnungen statt Läden“ ist kaum zutreffend, denn für 30 bis 50 % der Geschoßflächen waren innerstädtische Wohnangebote zu planen. Ein reines Wohngebiet im Zentrum zu errichten, wird wohl niemand verlangen. Der eigentliche Kern der Kritik sind jedoch die Handelsflächen. Jena brauche kein weiteres Einkaufen in der Innenstadt, will keine Einkaufsstadt sein. Das vorhandene Angebot sei reichlich und genug! Ob das so ist, müssen die Einwohner selbst einschätzen und Handelsexperten genauer prognostizieren. Jena gilt überregional als „Boomtown“ mit dem besten Entwicklungspotential in Thüringen. Weitere Arbeitsplätze sind zu erwarten. Es gibt schon jetzt zu wenige Wohnungen. Sollen Handelsflächen dann wieder an der Peripherie entstehen, während in der ganzen Welt, ja, shoppen und bummeln ohne Auto im Stadtzentrum wieder attraktiv ist? Urbanes Leben ist vielseitig, aber ohne Handel und Gastronomie, etc. eben auch nicht denkbar.

Nochmals zum Anliegen des Baukunstbeirats. Stadtplaner, Architekten und Ingenieure brauchen klare Aufgabenstellungen, um die Wünsche und Vorgaben ihrer Auftraggeber in qualifizierte Lösungsvorschläge umzusetzen. Insbesondere im Fall eines großen, stadtbildprägenden Vorhabens sollte ein gemeinsamer Bürgerwille schon im Vorfeld Eingang in den Entscheidungsprozess finden. Das geschieht normalerweise durch demokratische Verfahren in Ausschüssen und Stadtparlamenten, die dann auch die Entwicklung des Vorhabens kontrollieren. Die Ideenentwicklung zur Bebauung des vormaligen Eichplatzareals war bisher durchaus logisch: Ein Überdimensionierter Platz, als Ergebnis einer rigiden Planung über Jahrzehnte heftig kritisiert, sollte auf Basis der historischen Straßenstruktur eine moderne städtische Bebauung erhalten. So der Bürgerwille 1993, Wettbewerbsergebnis und Bebauungsvorschlag, über viele Jahre akzeptiert.

Der heute vorgelegte Bebauungsplan modifiziert diese Struktur nochmals und war Planungsvorgabe für die eingereichten Entwürfe der Investoren. Nun erzeugt das Ergebnis Unbehagen. Die immer geforderte dichte Stadtstruktur gefällt nicht mehr, wird als Fehler angesehen. Der von den Bürgern akzeptierte Turm verlange nun ein anderes innerstädtisches Raumempfinden. Was das in Konsequenz auch bedeutet. Es wäre in der Tat eine völlig veränderte Aufgabenstellung, die vor allen Beteiligten stünde. Neue Ziele müssten formuliert und geprüft werden. Der Planungsprozess müsste neu beginnen und viel Zeit würde abermals vergehen. Ob das im Interesse aller Bürger Jenas ist? Eine sachliche und fachlich fundierte Auseinandersetzung bleibt zu wünschen. Der Baukunstbeirat wird seine Position weiterhin respektvoll äußern und steht für fachliche Fragen immer zur Verfügung." 

Erstellt ahben das Statement Falko Bärenwald, Friedrich Bürglen, Armin Huber, Dr. Hannes Hubrich, Dr. Lutz Krause, Hans-Georg Sallen und Wolfram Stock vom Baukunstbeirat der Stdt Jena.

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