Donnerstag, 3. April 2014

100 Tage "NSU" Prozess - Ein Zwischenfazit von Tim Schwarz


(lsn / schwarz) - Um es vorweg zu sagen: Ich bin überrascht - überrascht weil Beate Zschäpe nach wie vor eisern schweigt vor Gericht - überrascht vor allem deshalb, weil es ihr (nach dem bisherigen Verlauf des Prozesses vor dem OLG München) nichts nützen wird.

Denn in den 100 Tagen, die das Verfahren bisher gedauert hat, wurden eindeutige Erkenntnisse zu Zschäpes Rolle im "Nationalsozialistischen Untergrund" dokumentiert, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass sie wusste, was ihre Freunde und Mitbewohner Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt  über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt taten. Die "Heimchen am Herd" Theorie ihrer Verteidigung scheint schon jetzt vom Tisch und der Prozess wird ja noch mindestens acht Monate andauern.

So trat etwa der Mitangeklagte Holger Gerlach in den Zeugenstand und gab als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft eine Erklärung ab, dass er im Beisein und mit WIssen Zschäpes dem Trio eine Waffe übergeben habe und die Drei mit gefälschten Ausweisen versorgte. Der Hauptangeklagten übergab er eine AOK-Karte und andere Dokumente.

Nachbarn von Zschäpe, ihrem Lebensgefährten Böhnhardt und von Mundlos sagten aus, dass Zschäpe nicht zuließ, dass diese einen Blick in das Zimmer werfen konnten, in dem - nach späteren Erkenntnissen - Waffen gelagert wurden. Außerdem war der Waffentresor in der letzten "NSU"-Wohnung geöffnet, als dort das Feuer ausbrach. Selbst wenn Zschäpe den Code des Safes nicht gekannt haben sollte, musste sie dennoch wissen, was in dem Tresor war, denn sie hatte freien Zugang zu allen Räumen im Haus und verließ es als letzte Person. Zudem wurden einem Brandgutachten zufolge nach dem Brand in der Zwickauer Wohnung an Zschäpes Socken Benzinspuren gefunden; ein Hinweis darauf, dass es die Hauptangeklagte war, die das Feuer gelegt hat, um damit Spuren zu verwischen.

Andere Zeugen berichteten außerdem über verschiedene Fehmarn-Urlaube der Trios, bei denen Beate Zschäpe das Geld der Drei, die "Urlaubskasse", verwaltet habe - also im Gefüge der Lebensgemeinschaft, die später als der "Nationalsozialistische Untergrund" enttarnt worden war, eine gleichberechtigte Rolle inne hatte.

Nur wenige Male trat Entlastendes zutage, etwa wenn eine Zeugin, angab, sie habe Zschäpe vor einem "NSU"-Mord in Dortmund gesehen, sich später als wenig glaubwürdig erweist oder ein ehemaliger Nachbar aussagt, Zschäpe habe ihm geraten, sich von rechten Kreisen fernzuhalten, denn sie wisse selbst, wie leicht man dadurch "im Knast landen" könne. Alles in allem scheint Zschäpe ihr Schweigen also wenig zu nutzen und man wird sehen, wie sie es und vor allem bis wann sie es weiter durchhalten wird.

Etwas anderes hat mich in den ersten 100 Tagen des Prozesses dann doch überrascht. Die Frage "Was wußte die rechte Szene tatsächlich über die drei Untergetauchten Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt?" Geklärt ist diese Frage nicht und lässt sich wohl auch nicht klären. Und dennoch wurde klar: In jenem Milieu, in dem die mörderischen Pläne der Hauptangeklagten und ihrer Helfer entstanden, gibt es einen starkenZusammenhalt - Gleichgesinnte können sich aufeinander verlassen in Bezug auf die beschworene Kameradschaft. Wenn es im Zeugenstand hart auf hart kam, herrschten angeblichen Gedächtnislücken, Versicherungen, man habe "damals" nicht begriffen, worum es ging und man hätte sich längst aus der Szene gelöst oder sogar dreiste Lügen vor.

Auch am 100. Verhgandlungstag war das so. Der Zeuge heißt eher zufällig Thomas R., hätte auch einen anderen Namen haben, aussehen können und an Tag 16, 26, 36, 46 und so weiter geladen gewesen sein. Es war ein Zeuge aus der rechten Szene. Beruf? Antwort: "Nix". Wohnten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos einmal bei ihm? "Möglich, weiß ich nicht mehr so genau". Weshalb? "Bei mir kamen damals öfter mal Leute zum pennen." Wie lange waren sie da? "Kann sein zwei, drei Wochen. Was soll ich da erzählen?" Hat er sie gekannt. "Nee." Was habe man die drei Wochen lang gemacht? "Computerspiele, DVDs angesehen. Wir haben uns gut verstanden." Inwiefern? "Gemeinsame Interessen." Welche Interessen waren das? "Computerspiele und Fahrradfahren." - So wenig Preisgabe von Fakten scheint im rechten Lager Methode zu sein und da schließt sich wieder der Kreis zu Beate Zschäpes Schweigen.

Aber: wie tritt die Gegenseite im Verfahren auf? Zum Beispiel der Verfassungschutz? Auch am 100. Tag geladen war der Mann, der den Chef des Thüringer Heimatschutzes, Tino Brandt, als "Quelle" führte. Brandt stieg seinerzeit rasant auf in der rechten Thüringer Szene. Mit Billigung des Verfassungschutzes, wie sich vor dem OLG München herausstellte, denn der Verfassungschutz (also der Staat) stattete den Heimatschutz in Persona Tino Brandt mit so viel Geld aus, dass dieser die rechtsradikale Szene nähren und ausbauen konnte, statt ihr Treiben zu verhindern. Und weshalb geschah das alles? Der Zeuge vom Verfassungsschutz gab zu, man habe Brandt "mit Geld verführt" um ihn in der Szene "glaubwürdig" zu machen - was immer das bedeuten mag. Bis zu 400 Euro pro Woche habe er erhalten plus "Prämien", zum Beispiel, wenn Brandt aktiv an Aufmärschen für Rudolf Heß mitgewirkt habe. Der Vorsitzende Richter fragte an, ob die denn nicht hätten verhindert werden sollten. "Doch, aber wir wollten da ganz nah dran sein."

Auch das habe ich, habendie Nebenklägeranwälte, hat die ganze Nation, durch diesen Münchner Prozess gelernt: geschlossener Kameradschaft der einen Seite stand / steht die Nichtverhinderung von Verbrechen auf der staatlichen Seite gegenüber oder anders ausgedrückt: Die Tolerierung von rechtem Gedankengut, damit man nur "nahe genug dabei" sein konnte. Ermöglicht durch Steuergelder. Zum Schaden der Allgemeinheut und möglicherweise unter Billigung von Opfern. Und das - hüben wie drüben - ohne an den eigenen Handlungen etwas Unrechtes zu erkennen.

Ich bin gespannt, was im "NSU"-Prozess vor dem OLG München noch alles ans Tageslicht kommen wird.

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