Samstag, 19. November 2011

DIE "V"-AFFÄRE (IV): Ein smarter Junge namens Uwe M. baut mit Freunden einen Jugendclub auf und lernt ein nettes Mädchen kennen

(lsn) - September 1991. Die Menschen in Jena gehen noch mit Stoffbeuteln zum Einkaufen auf den Markt. In der Innenstadt sieht man mehr Trabis als andere Autos. Der "Platz der Kosmonauten" ist zum Parkplatz geworden. In umgebauten Wohnwagen werden Bratwürste verkauft.

Jena hat zwei Plattenbausiedllungen. Neu-Lobeda, direkt an der Autobahn gelegen, um 1970 erbaut für die vielen Zeiss-Arbeiter, die untergebracht werden müssen, und Winzerla, das Neubaugebiet der Mitte-Achtziger Jahre für die weiter expandierende Stadt, das aus dem einst beschaulichen Dörfchen gleichen Namens, eine kleine Trabantenstadt werden ließ, in der anfangs noch die Schafe vor den Balkonen weideten.

Nach der Wende bekommt die Jugend von Winzerla erstmals das, was sie schon lange braucht und sich sehnlichst wünscht: einen Jugendclub. Der damalige Jenaer Jugenddezernent Stephan Dörschner eröffnet ihn am 14. September 1991 und auf dem Foto oben begrüßt der die ersten Jugendlichen, die in den "Winzerclub" kamen. Neben ihm sitzt einer, der lächelt und sieht so smart aus, dass man ihn glatt mit Clueso verwechseln könnte. Nicht der Trickfilmfigur aus der TV-Serie "Paulchen Panther" sondern mit dem Rapper aus dem Zughafen in Erfurt.

Auf dem s/w-Foto bemerkt man kaum, was damals schon auffällig an dem jungen Mann war: Er trug schwarz-rot-goldene Hosenträger. Auffällig aber nicht beunruhigend. Hätte er sie fünfzehn Jahre später getragen, zur Fußball-WM in Deutschland, hätten sie nach der BILD-Zeitung "Schwarz-rot-geil" ausgesehen.

Aber der Junge, heute kennt man ihn deutschlandweit als Uwe M., ist nicht wirklich smart. Er ist, wie Heinz Rudolf Kunze es vor vielen Jahren in seinem Text "KILIAN - Eine Jugend in Deutschland" beschrieb, schon damals "nicht auszurechnen". Auf ihn passt fast jedes Wort, das Kunze 1985 dichtete:

"Kilian fand sich selber manchmal schon ein wenig sonderbar
ich denke oft an Kilian, Kilian der nie auszurechnen war."


Uwe M. war damals 18 Jahre alt. Die Idee für einen Jugendclub fand er gut, denn er war 1991 Mitglied einer Gruppe von etwa 20 Jugendlichen, die sich selbst "Winzer-Clan" nannte, und die mit anpackte, um mit dem "Winzerclub" künftig ein Dach über dem Kopf zu haben. In der Osttüringer Zeitung vom 15. September 1991, Lokalausgabe Jena, wird er sogar aus der Reihe der Jugendlichen zitiert: "Wir haben einen Raum gesucht und haben einen Raum gekriegt." Und die Jugendarbeiter im Club findet Uwe M. damals toll: "Wenn wir Probleme haben, können wir mit den Streetworkern quatschen, und wenns hart auf hart kommt, gehen wir einen trinken."

"Mit 18 sieht man dich seltener. Wehrdienst oder Zivildienst, jedenfalls Dienst an einem Gemeinwesen, wovon du eines begriffen hast: Sein Wesen ist vorzugsweise das Gemeine.

Kilian hatte Angst vor etwas, wußte nicht den Namen der Gefahr
ich denke oft an Kilian, Kilian der nie auszurechnen war."


Neben den schwarz-rot-goldenen Hosenträgern zieht Uwe M. gerne seine Bomberjacke und Springerstiefel an. Die Lokalzeitung, die ihn zitiert, beschreibt M. und seine Freunde vom "Winzer-Clan" als "Überwiegend national eingestellt, sind sie jedoch nicht militant". Zum Konzept des "Winzerclubs" gehörte allerdings auch, Andersdenkende zu tolerieren und sich als Gruppe nach und nach einzubinden. Etwas, was Uwe M. schon damals ablehnte.

Bomberjacke und Springerstiefel: Es war diese Kleidung, die über Jahre im Stadtteil vorherrschte, so erinnert sich Sandy Hildebrandt, gleichaltrig wie Uwe M., die heute als Straßensozialarbeiterin in Winzerla arbeitet. Der OTZ sagt sie: "Die rechte Szene beherrschte den Stadtteil. Jeder, der andere Sachen trug, wurde gejagt." Nicht nur das: Andersdenkende Jugendliche wurden geschlagen, getreten und vertrieben. In Jena-Winzerla rekrutierte der "Thüringer Heimatschutz" seine Anhänger, erklärte den Stadtteil Ende der Neunziger Jahre zur "national befreiten Zone".
Auch Beate Zschäpe wohnte hier, in der Ernst-Zielinski-Straße, nur wenige Meter vom "Winzerclub" entfernt. Uwe und Beate lernen sich kennen und werden ein Paar.

Gestern schlachtete die BILD-Zeitung ein Fotoalbum aus, veröffentlichte Fotos aus dieser Zeit. Wer damals so intime Fotos von Uwe M. und seiner "Nazi-Braut" (siehe links einen Ausschnitt aus dem BILD-Teaser) knipsen durfte, ist der Zeitung offensichtlich egal gewesen. Mit Sicherheit waren es Uwe M.s Freunde aus damaliger Zeit. So werden rechte Ideen und Ideologien auch heute noch willfährig finanziert.

"Du wohnst in einer Bude ohne Bad. Einmal die Woche spritzt dich die Polizei ab. Täglich meldet sich eine Stimme zu Wort. Du weißt täglich weniger, wie du ihr widersprechen sollst.

Kilian wurde älter, namenlos und sprach nur noch in bar
ich denke oft an Kilian, Kilian der nie auszurechnen war."


Die Stadt musste handeln. Und Jena handelte. Anders als viele Städte in vergleichbarer Situation. 1999 wurde der "Winzerclub" geschlossen und neu strukturiert wieder eröffnet, heißt heute "Hugo", nach der Hugo-Schrade-Straße, in der er sich befindet. "Das ganze Spektrum an Kindern und Jugendlichen kommt zu uns, es ist viel bunter", sagt Sandy Hildebrandt der OTZ.

Es hat sich viel geändert in Winzerla, in Jena seit 1991. Auch heute gibt es hier rechts und links orientierte Jugendliche, die Mehrheit der Jugendlichen ist jedoch völlig unpolitisch. Viele von ihnen gingen trotzdem gestern Nachmittag auf die Straße und setzten so bis in den Abend ein Zeichen gegen Rechts. Sie trafen sich mit Jenaer Bürgern aller Alterstufen und Klassen auf dem Holzmarkt inmitten der Saalestadt und legten Blumen in Gedenken der Opfer des Rechtsextremismus nieder.

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Textauszug "KILIAN - Eine Jugend in Deutschland" © Heinz Rudolf Kunze / Weltverbesserer Verlag
Foto © Frank Döbert 1991 - Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung. Wir bedanken uns hierfür!

1 Kommentar:

eddy hat gesagt…

Es gab bereits einen Jugendclub in Winzerla, dieser nannte sich "Trend"!