(lsn) - Sie waren gewaltbereite Neonazis und verschwanden 1998 vor den Augen des Thüringer Verfassungsschutzes. Wie man heute weiß, nannten sie sich daraufhin "Nationalsozialistischer Untergrund / NSU" und begannen schon kurz nach ihrem Verschwinden terroristische Untaten: 1999 die ersten Banküberfälle, 2000 der erste Mord an einem Ausländer, danach weitere Überfälle, Morde und Attentate. Trotzdem dauerte es mehr als ein Jahrzehnt, bevor die Öffentlichkeit hiervon Kenntnis bekam.
Uwe Mundlos († 38), Uwe Böhnhardt († 34) und Beate Zschäpe (oben Titelbld des SPIEGEL vom 14.11.2011) waren das perfide und gleichermaßen perfekte Terrortrio: Böhnhardt der brutale Vollstrecker, Mundlos der intellektuelle Planer und Mittäter, Zschäpe die willfährige Komplizin. Aber es gab noch weitere Helfer aus der rechten Szene, die es dem "NSU" möglich machten, raubend und mordend durch ganz Deutschland zu ziehen, während Zielfahnder sie im Ausland vermuteten.
In Hannover wurde am heutigen Sonntag Holger G. verhaftet, mit dessen Papieren sich das Trio Wohnungen und Fahrzeuge beschaffte: schon 2001 wurde von Zschäpe in Zwickau eine Wohnung angemietet; geprüft wird jetzt, ob G. auch hiermit etwas zu tun hat, denn den Mietvertrag soll ein Mann unterschrieben haben. Holger G. war nach Recherchen des SPIEGEL Mitte der 1990er-Jahre zusammen mit den Dreien Mitglied der "Kameradschaft Jena", einem Kreis von nur sechs Gleichgesinnten, dem auch Ralf W. (der frühere stellvertretende Landesvorsitzende der Thüringer NPD) und André K. (Mitorganisator des "Fest der Völker") angehörten.
Die Bundesanwaltschaft geht, so SPIEGEL-Online in einem Bericht vom Samstag, derzeit dem Verdacht nach, dass diese und andere Rechtsextremisten aus dem Umfeld des "Thüringer Heimatschutzes" bis in die jüngste Vergangenheit Kontakt zu den Untergetauchten gehalten hätten. In der Thüringer Landesregierung werde mittlerweile von einem größeren "rechtsextremen Netzwerk" gesprochen, das die drei "NSU"-Terroristen bis zur letzten Minute unterstützt habe.
Die Frage, weshalb die Täter mit ihren Taten so viele Jahre nicht an die Öffentlichkeit gegangen sind, lässt sich derzeit noch nicht beantworten. Gleichwohl liegt dem SPIEGEL inzwischen eine der DVDs vor, die im zerstörten und teilweise ausgebrannten Zwickauer Hauptquartier des "NSU" gefunden wurden. In einem 15-minütigen Film würden sogar weitere Anschläge und Aktivitäten ankündigt, für den Fall, dass es (Zitat) "keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit" gebe. Weiter sollen sich Böhnhardt und Mundlos zu hren Taten bekennen, der "Döner"-Mordserie aus den Jahren 2001 bis 2006, sowie Bombenanschlägen im Westen Deutschands gegen ausländische Mitbürger.
Wie der SPIEGEL berichtet hatten Böhnhardt und Mundlos viele der getöteten Opfer sogar am Tatort fotografiert und als Bilddokument in die DVD aufgenommen; Experten würden die Fotos für echt halten, hieß es. Und diese DVDs könnten nicht ohne Hilfe "mehrerer Unterstützer" (so zitiert die BamS die Ermittler) erstellt worden sein; einige werden noch immer in Jena vermutet, wo sich Beate Zschäpe nach ihrer Flucht aus Zwickau versteckt hielt, bevor sie sich der Polizei stellte.
Neue Erkenntnisse gibt es auch zum Tod der beiden Terroristen in Eisenach am Freitag, den 4. November 2011, wie "MDR Aktuell" heute berichtete. So sollen die beiden Männer nicht, wie zuerst angenommen, zu Fuß in das Wohnmobil geflüchtet sein, sondern, wie bei vielen anderen Taten (auch Morden und dem Terroranschlag in Köln), mit ihren Fahrrädern. Durch eine Autobahnunterführung der A4 seien sie auf die andere Seite nach Stregda gefahren und hatten sich dann in ihrem gemieteten Wohnmobil versteckt; Anwohner der Straße "Am Schafrain" hätten dies wohl bemerkt.
Durch Abhören des Polizeifunks hätten Böhnhardt und Mundlos offensichtlich feststellen müssen, dass eine Polizeistreife das Wohnmobil kontrollieren wollte und Verstärkung angefordert hatte. Daraufhin, schreibt SPIEGEL-Online, hätten sie Beate Zschäpe in der Zwickauer Wohnung angerufen und ihr mitgeteilt, sie seien aufgeflogen und es gehe nun zu Ende. Daraufhin habe wohl Böhnhardt zuerst Mundlos mit einem Kopfschuss getötet und anschließend sich selbst, nachdem er das Wohnmobil angezündet hatte.
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