(lsn) - Kaum zu glauben, dass es erst einen Monat her ist, als mit dem Banküberfall in Eisenach und dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos deren Taten und Gesinnung in das Blickfeld der Bundesdeutschen Öffentlichkeit geriet.
Kurz danach sprach Lichtstadt.Netz mit einem erfahrenen Profiler des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden über die Anfang November 2011 noch offene Fragen in Bezug auf die ehemaligen Bombenbauer aus Jena, die wenig später als Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund"/"NSU" bekannt wurden. Nun, zum Stichtag 4. Dezember 2011, sprachen wir nochmals mit ihm über Rätsel und Ungereimtheiten, die es derzeit gibt.
Frage: Unter Bezug auf Ihre letzte Einschätzung, was weiß man inzwischen besser als vor vier Wochen?
Antwort: Durch die umfangreichen Erkenntnisse der Zwischenzeit ist ein wenig mehr Licht in das Dunkel der Ereignisse des 4. November gekommen. Die Flucht mit den Fahhrädern vom Tatort am Eisenacher Nordplatz nach Stregda in die Straße Am Schafrain ist inzwischen rekonstruiert und die Umstände des Todes der beiden Männer, also Uwe Mundlos tötete zuerst Uwe Böhnhardt mit einem Kopfschuss und dann sich selbst, ist geklärt. Widersprüchliche Meinungen gibt es zu den Gründen für den Tod der beiden Männer. Ich bleibe dabei: wer so viele Waffen im Fahrzeug hat, wie diese beiden Männer, zudem zuvor so skupellos gemordet hat, der bringt sich nicht ohne triftigen Grund um. Das Nahen einer Polizeistreife ist, zumindest für mich, kein triftiger Grund. Außerden weiß man nun, dass beide oder einer von den beiden Männern vor dem Tod noch bei Beate Zschäpe anrief bzw. anriefen und diese instruierten, was zu tun sei.
Sie haben im Vorgespräch auf Ungereimtheiten in Bezug auf die Serie der Banküberfälle durch die "NSU" hingewiesen. Können Sie dies konkretisieren?
Also: Wenn es in Deutschland eine Serie von Banküberfällen mit hoher Beute gibt - und das war ja eine Serie und der Bundesanwalt sprach von einer Beute von mehr als 600.000 Euro, noch dazu begangen über viele Jahre - dann wäre es zu erwarten gewesen, bei einem erkennbaren Muster der Überfälle, dass es eher eine bundesweite Fahndung gibt. Das identische Muster war: alle Überfälle wurden von zwei Tätern begangen, immer entfernten die Täter sich mit Fahrrädern, zwei Drittel der Überfälle gab es in Chemnitz und Zwickau. Weshalb hat man dieses Muster nicht früher erkannt? Es wäre üblich gewesen, ich sage hierzu sogar: es wäre zu erwarten gewesen, denkbar in einem Zeitfenster von 2004 bis 2007, in Sendungen wie "Kripo Live" oder "Aktenzeichen XY" diese Serie aufzugreifen. Es ist, nicht nur mir, ein Rätsel, weshalb erfahrene Ermittler die Zusammenhänge erst heute bemerkt haben wollen. Mehr kommentiere ich hierzu nicht.
Wir sprachen schon über die Rolle von Frau Zschäpe im Gesamtbild der Taten der "NSU". Es wird gemutmaßt, dass sie die DVDs der "NSU" verschickt haben soll.
Zwölf solcher CDs sind nach dem 4. November verschckt worden, sagte der Bundesanwalt auf der Pressekoferenz in dieser Woche. Eine wurde von einem Boten bei einer Nürnberger Zeitung eingeworfen. Die anderen dürfte Beate Zschäpe verschickt haben, in den für den Versand Jahre zuvor vorbereiteten Umschlägen.
Hat sie eine solche DVD auch den Polizeibehörden in Jena übergeben, als sie sich gestellt hat?
Offiziell hat dies bisher noch kein Ermittler, kein Bundesanwalt erklärt. Offiziell hat man eine DVD in der zerstörten Wohnung in Zwickau gefunden. Auch das lasse ich unkommentiert. Ich persönlich könnte nicht verstehen, wenn Frau Zschäpe die DVDs persönlich versendet oder an Dritte übergibt, aber nicht eine für sich zurückbehält, wenn sie sich in die Hände der Polizei begibt und dort sagt: "Ich bin diejenige, nach der Sie suchen."
Wird sie bald zur Sache aussagen?
Ich denke, sie hat mit den Herren Heer und Stahl inzwischen zwei Anwälte an ihrer Seite, die sie in Bezug auf die Verhöre der Bundesanwaltschaft optimal in ihren Sinne beraten und vertreten werden.
Ist zu erwarten, dass noch viele Unterstützer der "NSU" ermittelt und festgenommen werden?
Das ist der Plan der Bundeswnwaltschaft und des Bundeskriminalamtes. Sonst hätte man nicht so viele Ermittler in den Fall der "NSU" involviert. Wir wissen ja, dass rechter Terrorismus immer über Netzwerke läuft. Es gibt keine isolierte Terrorzelle von nur drei Personen. Rechnen Sie die Zahl mal zehn hoch und man dürfte den Kern der Mitwisser und Unterstützer haben. Ich gehe von mindestens zwei Dutzend weiteren Festnahmen aus. Solche Dinge entwickeln sich, sobald der erste Festgenommene umfällt und redet, weil er hierdurch Vergünstigungen erwartet. Für mich dürfte das Holger G. sein, der ja vor seiner Festnahme wohl ein harmonisches Familienleben anstrebte.
Was ist für Sie die drängenste Frage, die unbedingt schnell geklärt werden muss?
Ganz eindeutig die Zeitlücke an Taten der "NSU" zwischen dem Tode der Polizistin in Heilbronn und dem Banküberfall in Arnstadt. Das sind vier Jahre, die im Nebel liegen.
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