Sonntag, 16. Juni 2013

"Eine Reise durch den Wahnsinn - durch Licht und Dunkelheit": Bringt ein Brief die Verteidigungsstrategie von Beate Zschäpes Anwälten zum Einsturz?


(lsn / sz) - Die "Süddeutsche Zeitung" / SZ schreibt in ihrer gestrigen Ausgabe, dass Beate Zschäpe seit April 2013 einen Brieffreund habe, der in der JVA Bielefeld-Senneseit einsitzt. Er soll Robin S. heißen, aus Dortmund kommen und rechtsradikal sein; verurteilt sei er, weil er auf einen Tunesier geschossen hat, der nur durch eine Notoperation überlebte.

Ein persönlicher Brief an ihn könnte jetzt Teil des Münchner "NSU"-Prozesses werden, jedenfalls, wenn es nach Nebenkläger-Anwalt Jens Rabe geht, der Semiya Simsek vertritt - so schreibt es die Süddeutsche Zeitung. Rabe: "Es ist an der Tagesordnung, dass beschlagnahmte Briefe von Häftlingen verlesen werden." Die Beweggründe und die Persönlichkeit Beate Zschäpes könne der Brief erhellen, da ist sich Rabe sicher.

Beate Zschäpe, die sich bisher beharrlich jedem Gespräch verweigert hat und im Prozess nicht aussagen will, äußert nach Angaben der SZ in diesem Brief auf 26 Seiten Gedanken und Gefühle. So zweifelt die "NSU"-Terroristin daran, einen fairen Prozess zu bekommen und fühlt sich durch Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vorverurteilt. Doch viel mehr geht es in dem Brief um private Gedanken der Angeklagten.

Diese berichtet laut der SZ ihrem Brieffreund, ihr bisheriges Leben sei "eine Reise durch den Wahnsinn gewesen, durch Licht und Dunkelheit". Schon als Kind sei sie stets ungerecht behandelt worden "aber das ist nun einmal mein Leben und diese Bürde müss ich erhobenen Hauptes tragen", schreibt Zschäpe Robin S. nach Angaben der Zeitung. Deshalb werde sie auch nicht vor Gericht ein Lebensgeständnis machen. Wie sich sich fühe? Als Unikat, ist sich Beate Zschäpe in dem Schreiben sicher: sie sei ein Einzelstück.

Der handschriftliche Brief, mehr als zwei Dutzend Seiten lang, war bei einer Postkontrolle in der JVA Bielefeld-Senne aufgefallen. Das Oberlandesgericht München hatte das Schreiben offensichtlich bei der dortigen Postkontrolle unbeanstandet passieren lassen. Erst die Bielefelder JVA-Leitung übermittelte den Inhalt dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz; über ungeklärte Wege gelangte er in die Öffentlichkeit.

Sollte der Brief tatsächlich im Prozess verhandelt werden, dann könnte dies für Zschäpes Verteidigung zu einem echten Problem werden. Derzeit verfolgt man ganz offensichtlich das Ziel, Beate Zschäpe als von der rechten Szene gelöst darzustellen. Auch will man den Eindruck erwecken, dass sie mit den Morden an Ausländern, die deren Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt (beide verstorben am 04.11.2011) verübt hatten, nicht konform ging. Da könnte Zschäpes Kontakt mit einem Rechtsradikalen, der auch auf einen Ausländer geschossen hat, dieser Darstellung zuwiderlaufen.

Beate Zschäpes Verteidiger wollten sich gegenüber der SZ jedoch nicht äußern. Allerdings kann sich Nebenkläger-Anwältin Angelika Lex, die im "NSU"-Prozess die Witwe des ermordeten Griechen Theodoros Boulgarides vertritt, durchaus vorstellen, Robin S. als Zeugen zu laden, denn "...vielleicht weiß er noch mehr über die Haltung von Frau Zschäpe, da gibt es spannende Aspekte", sagte sie der SZ.

Und wie reagierte das Münchner Oberlandesgericht? Dieses hatte den Inhalt des Briefes seinerzeit wohl nicht auf seine Relevanz hin geprüft, hatte die nun von der Zeitung erwähnten Passagen auf 26 Seiten mit banaler wie erotischer Sprache ("Für eine Thüringer Bratwurst oder eine Grillhaxe würde ich nackt im Hof ein Rad schlagen vor Freude...") und Zeichnungen von Schafen und Landschaften übersehen oder übersehen wollen. Wie die Zeitung WELT heute berichtete, könnten in dem Schreiben sogar rechtsradikale Codes enthalten sein. Einmal hätte Zschäpe ohne Bezug zu dem zuvor geschriebenen berichtet "...und was käme als nächstes...Frieren bei 18 Plus Graden?" - die Zahl "18" ist in der Tat ein Code in der Szene, da die Initiatlen von Adolf Hitler der 1. und dem 8. Buchstabe des Alphabets sind. Gerichtssprecherin Andrea Titz sagte jedoch vorsorglich zur SZ: "Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass etwas versäumt wurde oder übersehen." Der Brief sei jetzt zwar den Verfahrensbeteiligten bekannt, aber über seine Bedeutung könne man noch nicht urteilen, so Titz.

Interessant werden dürfte er aber auch für die Gerichtspsychologen, die daraus ein wenig schließen können, ob Zschäpe ein eher unselbstständiger oder dominanter Mensch ist. Dabei ist auch eine Äußerung wie die folgende wichtig. Ihr Körper sei zwar "...nicht ohne...", schrieb Zschäpe an S., doch dass sie bei ihrer Verhaftung "nur einen alten Sportanzug ohne Wäsche darunter" getragen habe, hätte ihr Selbstbewusstsein "deutlich unter Druck" gesetzt. Gutachter Henning Saß z. B. (im Prozess damit beauftragt Beate Zschäpe zu beoachten, da sie sich geweigert hatte, mit ihm persönlich zu sprechen) hatte in seiner Vorab-Expertise der Angeklagten durchaus ein lebhaftes, selbstbewusstes und burschikoses Wesen bescheinigt, sieht sie als jemand, der Anerkennung in seiner Jugendclique in Jena fand, später wohl fest im "NSU" verwurzelt war.

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