Dienstag, 25. Juni 2013

"NSU" - Der Prozess # 15: Der Beginn der Beweisaufnahme - Richter Götzl überrascht die Beteiligten - Tatortbilder und die "NSU"-Videos werden gezeigt



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(tim schwarz) - Am gestrigen Montag, den 24.06.2013, dem 14. Verhandlungstag im Prozess um den "Nationalsozialistischen Untergrund", begann die Beweisaufnahme. Zeugen wurden gehört zum zweiten "NSU"-Mordanschlag am 13. Juni 2001, begangen an dem Schneider Abdurrahim Özüdogru in Nürnberg.

Zu Beginn stellte der Hamburger Rechtsanwalt der Nebenklage Thomas Bliwier den Antrag, im weiteren Verlauf des Prozesses neue Zeugen vorladen zu lassen. Einer davon solle der in Bielefeld inhaftierte Robin Sebastian* sein, der in Briefwechsel mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe stehe. Als die Verteidigung von Beate Zschäpe protestieren will, erklärt Bliwier, dass er überhaupt nicht an der Verlesung des Briefes interessiert ist, den die Angeklagte an Sebastian* geschrieben habe. Aber er werde das später erläutern, sagte der Anwalt, der den Vater des in Kassel ermordeten Halit Yozgat vertritt. Ein weiterer Zeuge soll, nach Bliwiers Willen, der Ex-Chef des "Thüringer Heimatschutzes", Tino Brandt sein. Er solle, so der Anwalt, als Zeuge vorgeladen werden, da er V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes war und bereits im März 1999 Angaben zum möglichen Aufenthaltsort des Terrortrios in Chemnitz gemacht haben soll.

Danach wird mit Polizist Karlheinz B. der erste Zeuge des Tages in den Zeugenstand gerufen. Er kam am 13. Juni 2001 um 21 Uhr 32 zuerst am Tatort an und sagte aus: "Ein Passant hatte gesehen, dass in der Schneiderei ein Mann liegt und blutet. Ich öffnete die Tür, es brannte Licht. Da saß ein Mann am Boden, angelehnt an eine hölzerne Tür. Er machte einen leblosen Eindruck. Ich fühlte und merkte, dass er schon ziemlich kalt war. Ich sah eine Schusswunde an der Schläfe." Danach wurden ausführlich Fotos des Tatorts gezeigt, auf denen die Leiche Abdurrahim Özüdogrus zu sehen ist mit vielen schrecklichen Details, teilweise wendeten sich die Zuschauer bei Bildern ab, die die erhebliche Blutmenge um die Leiche herum oder die Einschusswunden im Kopfbereich zeigen. Etwa um 11 Uhr 45 unterbrach der Vorsitzende Richter Martin Götzl dann die Verhandlung zur Mittagspause, offenbar auch deshalb, damit sich die Anwesenden von den Bildeindrücken erholen konnten.

Nach der Pause bekam noch einmal Anwalt Bliwier das Wort und begründete seine Anträge zur Zeugenvernehmung. Es bestünden Anhaltspunkte, führt Bliwier aus, dass "Herr Böhnhardt und Herr Mundlos im Jahr 2006 auf einem Konzert der rechten Band 'Oidoxie' u. a. mit dem Dortmunder Neonazi Robin Sebastian*, an den Frau Zschäpes Brief aus der Haft adressiert war, zusammengetroffen waren". Vor seiner Inhaftierung habe Sebastian*, so Bliwier, in Kontakt mit der Neonazi-Gruppe "Sturm 18" aus Kassel gestanden und dies offenbare möglicherweise enge Kontakte zwischen Neonazis aus Dortmund und Kassel, den Orten der beiden letzten "NSU"-Morde an Ausländern.

Es sei zudem zu ergründen, ob sich Beate Zschäpe und Robin Sebastian* bereits länger kennen würden, als zuvor angegeben, führte Bliwier aus und fügte an: "Es wird bewiesen werden, dass Frau Zschäpe nach wie vor Kontakt in die gewalttätige Neonazi-Szene hält". Richter Götzl fragte anschließend ob von Anwaltsseite aus Bedarf besteht, zum Bliwier-Antrag Stellung zu nehmen. Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm äußerte sich dann kurz zur beantragten Vorladung von Robin Sebastian*: Es sei ein "Schuss ins Blaue", denn der Akte nach habe sich nichts Tat- und Schuldrelevantes aus dem Kontakt ergeben und Gleiches sei auch aus seiner Vernehmung zu erwarten. Bliwier konterte darauf: Der Kontakt zu einem gewalttätigen Neonazi sei für die Schuldfrage von Belang, worauf ihn Beate Zschäpe böse angesehen haben soll.

Anlässlich einer kurzen Unterbrechung, in der ein neuer Zeuge aufgerufen wird, sagte Richter Martin Götzl unvermittelt: "Wir nutzen jetzt mal die Zeit und spielen mal das Video 'Paulchen Panther' ab." Damit überraschte er ganz offensichtlich die Angeklagten, wie auch deren Verteidiger, die kaum reagieren können, als das erste, noch unvollendete, "NSU"-Bekennervideo gezeigt wird. Links über die Angeklagten und rechts über die Nebenkläger wird es an die Wand geworfen, Musik der rechten Rockband "Noie Werte" ist zu hören, den rosaroten Panter sucht man vergeblich, dann sieht man plötzlich erneut den ermordeten Abdurrahim Özüdogru, einmal im Foto der Mörder, die den sterbenden Schneider fotografiert hatten, zynisch mit "Original" gekennzeichnet, und einmal in der für die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" nachgestellten Szene, die als "Fälschung" gekennzeichnet wird. Und "Özüdogru weiß jetzt, wie ernst es uns um den Erhalt der deutschen Rasse ist", heißt es im Bildtext, während der Sänger den Refrain des Liedes "Kraft für Deutschland“ grölt. Viele Zuschauer schüttelten dabei entsetzt den Kopf.

Dann kommt doch noch der rosarote Panther und eine grün-bunte Landschaft erscheint im Bild. Durch die Lautsprecher ist jetzt fröhliche Musik zu hören, das "NSU"-Logo sieht man, schließlich den Titel "Frühling / DVD 1 / Nationalsozialistischer Untergrund". Beate Zschäpes Anwalt Heer nimmt derweil, die Hand seiner Mandantin und scheint sie damit beruhigen zu wollen, als habe er Bedenken bezüglich einer unüberlegten Reaktion der Hauptangeklagten. Im Video zu sehen: Fernsehbilder von rechten Demonstrationen, Zeitungsausschnitte mit Artikeln wie "Der Kopfschuss-Killer ist nicht zu fassen".

Dann ein Ladenschild: "Türkische Schneiderei". Die Zeichentrickfigur geht in den Laden, der Sprecher sagt: "Was kanns denn schaden, ich seh mir mal von drinnen an den Laden. Hier hat die Strafe sich beeilt." Beate Zschäpe starrt währenddessen an die Decke, runzelt die Stirn, hat die Arme verschränkt. Eingeblendet wird erneut das von den Mördern selbst aufgenommene Bild des toten Özüdogru. Schüssen knallen durch den Sitzungssaal. Nach der Vorführung legt Richter Götzl eine weitere Pause ein und Zschäpe verlässt sofort den Gerichtssaal, als wolle sie es nicht wahr haben, dass sie auf ihrer Flucht von Zwickau nach Jena im November 2011 ein gutes Dutzend dieser "Frühling"-Video-DVDs verschickt hat. Aber die Spuren sollen eindeutig sein, sagt zumindest die Anklagebehörde.

Nach der Unterbrechung begrüßt Richter Götzl die Rentnerin Rita G. als Zeugin, eine Nachbarin des Mordopfers. Die ältere Dame spricht vom "Schneiderlein", wie sie den Ermordeten nennt, in den höchsten Tönen: "Er war ein Kunde und ein ganz lieber Nachbar. jeden Tag holte jeden Tag die 'Hürriyet' bei mir. Es war ein ganz netter Mann. Er war an dem Tag noch bei mir im Geschäft, kaufte seine Zeitung. Dann bin ich auf die Bank gefahren. Ich plauderte ein bisschen nach der Rückkehr mit meiner Kollegin, da kam dieser Man rein, hat Zigaretten gekauft. Ich habe den von dem Phantombild erkannt. Spätabends rief mich jemand an und sagte, dass das Schneiderlein tot ist."

Abschließend wird Augenzeugin Sabine M. in den Zeugenstand gerufen. Sie wohnte damals gegenüber der Änderungsschneiderei und behauptet, gesehen zu haben, wie Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am Tattag aus dem Geschäft gestürmt sind. Frau M.: "Ich habe die Schüsse gehört und rausgeschaut. Dann sah ich sie zu zweit herrauslaufen." Die beiden Männer habe sie schon ein paar Tage zuvor vor ihrem Wohnzimmerfenster gesehen, zusammen mit einer blonden Frau, einer der beiden Männer soll sogar mit Özüdogru ein Gespräch geführt haben, sagt sie. Eine Anwältin befragt die Zeugin, ob die blonde Frau von damals Ähnlichkeit mit der Angeklagten Zschäpe gehabt habe. Frau M. schaut Zschäpe an und schweigt, wirkt extrem eingeschüchtert.

Die Anwältin spielt auf einen Aktenvermerk an, demzufolge die Zeugin beate Zschäpe am Tatort gesehen habe will. Frau M. antwortet: "Ich weiß es nicht mehr. Ich habe Angst, furchtbare Angst." Zschäpe registriert die Verunsicherung der Zeugin scheinbar mit großer Freude, scheint erleichtert. Die Zeugin bringt anschließend kaum mehr ein Wort hervor. Die Anwältin fragt noch einmal: "Also könnten Sie uns mehr erzählen, aber Sie wagen es nicht, mehr zu sagen?" Frau M. antwortet kleinlaut mit: "Ja, genau." Worauf die Verteidiger von Beate Zschäpe miteinander flüstern. Richter Götzl bemerkt wohl, dass am heutigen Verhandlungstag kaum mehr Konstruktives von dieser Zeugin ausgesagt werden wird  und nachdem Nebenklage-Anwalt Narin anregt, den Zeugentisch in Richtung des Senats zu drehen, damit die Zeugen nicht permanent mit Angeklagten Auge in Auge sitze und sich eingeschüchtert fühlen müsse, beendet Götzl den 14. Verhandlungstag.

* = Name von der Redaktion geändert!

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