Freitag, 9. August 2013

"Ich sehe was, was du nicht siehst": Dr. Gyula Kovács ist neuer Professor für kognitive Neurowissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena


(lsn / fsu) - Schachbrettmuster, in denen die senkrechten und waagerechten Linien scheinbar wellenförmig verlaufen. Kugeln exakt gleicher Größe, die dennoch unterschiedlich groß erscheinen oder ein Doppelbild, das - je nach Blickwinkel - eine junge oder eine alte Frau zeigt. Von optischen Täuschungen wie diesen hat sich wohl jeder schon einmal aufs Glatteis führen lassen. „Diese Bilder machen deutlich, dass wir zum Sehen zwar unsere Augen brauchen“, erklärt Prof. Dr. Gyula Kovács von der Friedrich-Schiller-Universität Jena /FSU. „Wie wir die visuellen Informationen aber tatsächlich wahrnehmen, darüber entscheidet unser Gehirn“, so der neue Professor für Kognitive Neurowissenschaften weiter. Und das kann je nach Situation ganz unterschiedlich sein.

„Das Gehirn hilft uns damit, aus der Umwelt die für uns relevanten Informationen zu selektieren“, sagt der ungarische Forscher, der gerade von der Uni Regensburg nach Jena gewechselt ist. So sei für unsere visuelle Wahrnehmung der zeitliche und örtliche Kontext oftmals entscheidend: In einem Fußballstadion „erkennen“ wir einen Fußballspieler auf dem Rasen ohne Probleme, selbst aus großer Entfernung. „Würden wir aus der gleichen Distanz dieselbe Person in einem anderen Umfeld sehen - etwa auf einem belebten Marktplatz - würden wir sie vielleicht für einen Händler halten.“ Das bedeute aber auch, dass zwei Personen in der gleichen Umgebung in aller Regel niemals dasselbe wahrnehmen. „Unsere bisherigen Erfahrungen modulieren unsere Sinneswahrnehmung ganz wesentlich“, unterstreicht Kovács. „Wir sehen vor allem das, was wir erwarten oder was wir sehen wollen.“ In Vorträgen über seine Arbeit beginnt Kovács daher häufig mit dem Bibelzitat: „Der Weise hat seine Augen in seinem Kopfe“ (Prediger 2:14).

Gyula Kovács ist mit einer Heisenberg-Professur der Deutschen Forschungsgemeinschaft / DFG an die FSU Jena gekommen. Mit dem Team um Prof. Dr. Stefan Schweinberger vom hiesigen Institut für Psychologie arbeitet er bereits seit einigen Jahren eng im Rahmen der DFG-Forschergruppe „Person Perception“ zusammen. Hier möchte er nun den Schwerpunkt Kognitive Neurowissenschaften gezielt ausbauen und nicht nur weitere Kontakte zu Institutskollegen, sondern auch in die Biologie und die Medizin knüpfen. Der vielseitige Wissenschaftler hat in seinem Heimatland an der Universität Szeged zunächst Biologie studiert. Anschließend ging er für zwei Jahre an die belgische Katholische Universität von Leuven und wurde 1996 - inzwischen zurück in Szeged - an der dortigen Uni in medizinischer Biologie promoviert. Es folgten Forschungsaufenthalte am Karolinska-Institut in Stockholm, der Universität Rochester im US-Bundesstaat New York und der Universität St. Andrews in Schottland. Seine Habilitation legte er dann 2003 im Fach Psychologie an der Universität Pécs / Ungarn ab.

Bevor Kovács 2006 nach Deutschland kam, war er Professor an der Technischen Universität Budapest. Auch wenn er die klassischen Fächergrenzen immer wieder überschritten hat, dem Gehirn als Forschungsgegenstand ist der heute 48-Jährige stets treu geblieben. Dass er dabei vor allem das Sehen und die dazugehörenden neuronalen Prozesse im Blick hat, erklärt er so: „Wir Menschen sind visuelle Wesen. Etwa zwei Drittel aller Informationen, die wir im Gehirn verarbeiten, sind visuelle Reize.“ Außerdem seien die Prozesse beim Sehen inzwischen sehr gut verstanden - weshalb das Sehen ein gutes Modell ist, um Rückschlüsse auf die neuronale Verarbeitung insgesamt zu ziehen. Mit Abbildern der Umwelt - von Gesichtern bis Landschaften - befasst sich Kovács auch gern in seiner Freizeit: Der verheiratete Vater einer Tochter ist zudem passionierter Fotograf.

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