(lsn) - Ein Schulungsfilm auf DVD unter dem Titel "Jugendextremismus mitten in Deutschland", hergestellt vom einstigen Jenaer Landtagsabgeordneten, dem Historiker Reyk Seela (und, wie sich später herausstellte, finanziert vom Thüringer Verfassungsschutz), sorgt derzeit erneut für Wirbel.
Das war aber schon im Jahre 2000 der Fall und zwar bei der Vorstellung des Filmes durch den damaligen Thüringer Verfassungsschutzchef Dr. Helmut Roewer. Knapp zwei Jahre zuvor, 1998 (also im gleichen Jahr, als Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach dem Auffinden von 1,4 Kilo TNT in einer Jenaer Garage untertauchten), sprengte sich in der Plattenbausiedlung Jena-Lobeda ein junger Mann in die Luft. Die unmittelbaren Nachbarn kamen zwar noch einmal mit dem Schrecken davon, aber es gab (angesichts der zuvor aufgefundenen 1,4 Kilo TNT) die Frage, ob der Jugendliche dem braunen Milieu zuzurechnen ist und womöglich Beziehungen zum Fahndungs-Trio hatte. Dies hatten Polizei und Staatsanwaltschaft 1998 bestritten.
Im November 2000 fragte die Thüringer Landeszeitung Roewer anlässlich der Filmpremiere noch einmal danach, ob es sich bei dem jungen Mann nicht doch um einen Rechtsterroristen gehandelt haben könnte. Die Vermutung wurde genährt durch die Art und Weise, wie in dem Film Rechtsradikale Jugendliche (darunter auch der später als V-Mann des verfassungsschutzen enttarnte Tino B. und das Mitglied der "Kameradschaft Jena", André K.) zu Wort kamen und nun gab es von Seiten des Verfassungschutzes eine andere Antwort.
Am Rande dieser Veranstaltung verteidigte es Helmut Roewer, den 1998 verstorbenen Jenaer Bombenbauer in seinem Amt in einem Atemzug mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe genannt zu haben. Es gebe eine Anzahl "nicht zu unterschätzender Einzeltäter und Kleinstgruppen", so ließ sich Roewer damals zitieren.
Der Lobedaer Sprengstoffbastler sei solch ein Einzeltäter, ein Einzelgänger zwar, jedoch bekannt in der lokalen Naziszene. Das habe man mühsam nach dessen Tod rekonstruieren können. Kurz danach war der Verfassungsschutzchef nach Vorwürfen der Zusammenarbeit mit dem Neonazi Thomas Dienel und ungeklärten Geldausgaben vom Amt suspendiert worden.
Interessantes Detail am Rande: Thomas Dienel aus Weimar stand damals an der Spitze der "Deutsch Nationalen Partei", die sich ihrer Programmatik zufolge als eine legal arbeitende Nachfolgeorganisation der NSDAP sah. Als Mieterin der beiden Wohnungen in Zwichau, in denen Beate Zschäpe und wohl auch Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zehn Jahre lang lebten, nannte sich Zschäpe selbst "Susanne Dienelt" oder "Susann Dienelt" - ein Zeichen um auf eine Art Seelenverwandtschaft zu Thomas Dienel, einem der damals führenden Köpfe der braunen Szene, hinweisen?
Die gestern bei uns präsentierte statistische Auswertung der bisherigen Taten des "NSU" wirft auch noch eine ganz andere Frage auf. Zwischen 1999 und 2007 gibt es ein umfassendes Register von zwei Dutzend Taten der Terror-Zelle. Dann klafft eine zeitliche Lücke von vier Jahren. Erst im September und November 2011 setzten sich die Taten fort. Wirklich erst im Herbst 2007? Was machte der "NSU" zwischen Sommer 2007 und Herbst 2011. Das ist eine der großen ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit der "V"-Affäre.
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