Sonntag, 20. November 2011

DIE "V"-AFFÄRE (V): "Draufgeher oder Draufgänger" - Wie Beate Zschäpe plötzlich zur Frontfrau des Neo-Nationalsozialismus geworden ist

(lsn) - Im September 1991 bekommt die Jugend der Plattenbausiedlung Jena-Winzerla das, was sie schon lange braucht und sich sehnlichst wünscht: einen neuen Jugendclub. Der damalige Jenaer Jugenddezernent Stephan Dörschner eröffnete ihn und auf dem Foto rechts unterhält er sich mit einem Jugendlichen, der sich gut zwanzig Jahre später nach einem Bankraub umbringen wird: Uwe Mundlos. Schwarz-rot-goldene Hosenträger trägt er und Springerstiefel; seine Bomberjacke hat er ausgezogen.

Bomberjacke und Springerstiefel: Es war diese Kleidung, die über Jahre in dem Jenaer Stadtteil Winzerla vorherrschte. Nicht nur das: Andersdenkende Jugendliche wurden geschlagen, getreten und vertrieben. In Jena-Winzerla rekrutierte der "Thüringer Heimatschutz" seine Anhänger, erklärte den Stadtteil Ende der Neunziger Jahre zur "national befreiten Zone". Auch Beate Zschäpe wohnte hier, nur wenige Meter vom "Winzerclub" entfernt. Uwe und Beate lernen sich kennen und werden ein Paar.

Beide gehören zuerst dem "Winzer-Clan" an, werden dann Mitglied im NPD-nahen "Thüringer Heimatschutz", lernen dort Uwe Böhnhardt kennen. Ab da treten sie fast nur noch im Trio auf, fahren zu Kameradschaftstreffen nach Schwarza und Gorndorf, rechten Rockkonzerten, zur Gerichtsverhandlung gegen den Holocaust-Leugner Manfred Roeder so nach Erfurt; das Kennzeichen ihres roten Ford Kombis: J - AH 41.

Es wird davon berichtet, dass sich Beate Zschäpe Ende der Neunziger Jahre immer mehr zu dem martialischen Uwe Böhnhardt hingezogen fühlt, aber die tiefe Freundschaft zu Uwe Mundlos, dem Intellektuellen, bleibt trotzdem bestehen. Die Jenaer Landtagsabgeordnete Katharina König, eine Kennerin der rechtem Szene in Thüringen, sagte dem SPIEGEL: "Die Drei waren ein sehr enges Dreiergespann, aber es schien mehr freundschaftlich zu sein als sexueller Natur".

In der Tat war Beate Zschäpe weder das "Killer Luder", wie sie in der Presse betitelt wurde, noch stumm, verlässlich, arglos, eine willfährige "Nazi-Braut", die dienstbare Hausfrau des Trios. Wenn man die Sache mit ein wenig Abstand betrachtet, war und ist sie die ideale Ergänzung des Trios, das den harten Kern der NSU bildete.

In Zwickau war Zschäpe nicht unbeliebt, sogar der griechische Gastwirt, über dessen Restaurant die "NSU" vier Jahre lang lebte, mochte sie, sagte in einem Interview, dass man sich Nachbarn wie sie nur wünschen könne. Nett im Gespräch, oft zu Gast zum Essen bei ihm. Sie mochte Katzen, brachte die beiden Tiere in Sicherheit, bevor sie die Wohnung sprengte. Zschäpe trug keine Nazi-Kluft, liebte aber die Farben Schwarz und Rot.

Und nun ist Beate Zschäpe plötzlich letzte Überlebende der "NSU"-Führungsriege, Nachlassverwalterin einer Terrorzelle und deren erschrekenden Philosophie "Taten statt Worte". Man kann sich vorstellen, dass sie das verteidigte, was Böhnhardt und Mundlos auf ihrem Amoklauf ohne Brensspur quer durch Deutschland anrichteten. Es musste halt endlich mal etwas "getan" werden, weil andere so lange nur geredet haben.

Am Ende ging sie gründlich vor, überlegte am 04. November 2011 (nachdem Böhnhard und Mundlos verstorben waren) in Ruhe, was sich aus der Wohnung mitzunehmen lohnt, ließ - nicht ohne Hintergedanken - die verräterrischen Waffen zurück, packte ihre Katzen in eine Katzenbox, zündete dann die gemeinsame Wohnung an, ein Sprengsatz explodierte.

Schließlich begab sie sich in die Obhut von Unterstützern der "NSU"; möglicherweise waren es zuerst diejenigen, mit denen sie in Zwickau und Umgebungcoft Kontakt hatte, deren Bahnkarte, Namen und Ausweispapiere Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos benutzten: im ersten Fahndungsaufruf nach Beate Zschäpe nannte die Polizei "Mandy Struck" und "Susann Dienelt" als Decknamen.

Einer der Unterstützer soll Fachmann für Videobearbeitung sein und André E. heißen; die BILD-Zeitung schreibt, in dem Wohnmobil, in dem die Leichen von Mundlos und Böhnhardt gefunden wurden, sollen die Bahncards von André E. und seiner Frau Susann gewesen sein. Die private Webseite von André E. ist inzwischen von Netz, bei www.archive.org ist aber noch ein Abbild aus dem Jahre 2007 vorhanden. Der STERN schreibt weiter, eine Bekannte Zschäpes aus Schwarzenberg soll Friseuse sein und Mandy S. heißen: Zschäpe wird anschließend blonde Haare haben.

Es ist weiter anzunehmen, dass Zschäpe noch im Raum Zwickau mit Holger G. telefonierte, mit dessen Reisepass das Wohnmobil angemietet worden war; er ist inzwischen in Haft. Nach Pressemeldungen soll G. in der Vergangenheit oft von Telefonzellen aus telefoniert haben, obwohl er sowohl ein Handy als auch ein festnetztelefn hatte.

Bei all diesen Personen soll sich der Kreis der Ermittler inzwischen sicher sein, was eine Unterstützung von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angeht, denn die Namensübereinstimmungen mit den benutzten Decknamen von Beate Zschäpe sowie die Verwendung der Ausweisdokumente sei mehr als eindeutig für eine solche Annahme.

Am Samstag, den 05. November 2011 ruft Zschäpe dann die Mutter von Uwe Böhnhardt an und die Eltern von Uwe Mundlos, sagt ihnen, das beide tot seien und es habe "etwas mit der Sache in Eisenach" zu tun. Ob dieser Anruf noch aus dem Raum Zwickau erfolgte oder bereits aus Jena selbst, ist unklar. Mit großer Wahrscheinlichleit befand sich Beate Zschäpe aber bereits am Sonntag, den 06. November 2011 in der Sicherheit ihrer ehemaligen Kameradschaft in der Saalestadt.

Sie, Mundlos und Böhnhardt bildeten zusammen mit Holger G. zwei Drittel der "Kameradschaft Jena", das andere Dritel waren André K. und Ralf W., die Eigentümer de "Braunen Hauses" in Jena; gegen beide ermittelt inzwischen die Bundesanwaltschaft. Wer mit Zschäpe nach Jena gefahren ist, das ermitelt dagegen die Polizei.

Am Montag, den 07. November 2011 suchte Zschäpe in Jena stundenlang jedenfalls nach einem Anwalt, nachdem der erste ein Mandat abgelehnnt haben soll. Zschäpe findet endlich einen, der sie vertretenwill, bespricht sich in Ruhe mit ihm und stellt sich in dessen Begleitung am darauf folgenden Tag, dem 08. November 2011, in Jena in den Räumen der dortigen Polizeidirektion den Behörden. Danach "sprudelten" die Ermitlungsergebnisse nur so. Timing ist also eine der Stärken der Beate Zschäpe.

Ihre weitere Stärke ist das, was sie aus der Wohnung in Zwickau, aus dem "Nationalsozialistischen Untergrund", ans Tageslicht mitgenommen hat und dessen Veröffentlichung mehr als brisant werden kann. DIE "V"-Affäre ... "V" für Verfassungsschutz, "V" für Veröffentlichung, "V" für Vertrauensverlust unserer Gesellschaft.

Ein steiler Aufstieg: Als Jugendliche soll Beate Zschäpe, geborene Apel, oft kleinere Diebstähle begangen haben, das berichtet die "tageszeitung". Auch sei sie hin und wieder bei Schwarzfahren erwischt worden, aaber das ist im Grund nichts wirklich Ungewöhnliches für eine Tochter, deren Eltern sich getrennt hatten, die von der Mutter in einer Plattenbausiedlung alleine aufgezogen wurde. Zschäpe machte eine Gärtnerlehre, wurde danach aber nicht übernommen, war seither arbeitslos und fand durch ihre Beziehung mit Uwe Mundlos Kontakt zu den militanten rechtsradikalen Anhängern des "Thüringer Heimatschutzes". Die beiden begehen mit Uwe Böhnhardt eine erste Straftat: sie klauen den Tresor des "Winzerclubs", werden schnell erwischt, weil sie mit ihrer Tat geprahlt haben, geloben so etwas nicht wieder zu tun.

Doch Zschäpe kann sich einmal nicht beherrschen und steht wegen Körperverletzung vor dem Jugendrichter. Die Sozialstunden, die sie vom gericht auferlegt bekommt, will sie im Jugendclub ableisten. Dort glaubt man erneut an eine Besserung der Persönlichkeit Zschäpes und stimmt zu. Nun ist Beate aber bei ihren Kameraden des "TH" anerkannt, hat gezeigt, dass auch sie austeilen kann.

Die Ideen und Ideologien des "TH" gefielen ihr, regelmäßig hat sie bis 1998 die politischen Versammlungen besucht, sich dort aber selten zu Wort gemeldet. Zschäpe wurde eine linientreue Aktivistin, die der SPIEGEL schreibt Wenn sie gereizt wurde, konnte die liebe, brave, junge Frau aber auch schon mal grob und handgreiflich werden. Es gab einige heftigen Übergriffe, bei einem auf dem Jenaer Weihnachtsmarkt tritt Zschäpe einer Punkerin, die am Boden liegt, immer wieder auf die Hand, bis deren Arm gebrochen ist. Das verschafft ihr den Respekt von Ralf Wohlleben, dem späteren NPD-Vize in Thüringen, der ebenfalls in Winzerla lebt.

Zschäpe soll es gewesen sein, die die Anregung gab eine "Kameradschaft Jena" zu gründen, heißt es, der neben ihr, Mundlos und Böhnhardt auch Ralf Wohleben, dessen "rechte Hand" André K. und der später bei Hannover verhaftete "NSU"-Unterstützer Holger G. angehörten - mehr Mitglieder hatte diese elitäre Kameradschaft nicht.

"Es ist lächerlich zu glauben, Beate Zschäpe habe aus reinem Mitläufertum oder gar Liebe 13 Jahre im Untergrund verbracht. Das erfordert eine feste Gesinnung und eisernen Durchhaltewillen", sagt Michaela Köttig vom "Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismusder" der Fachhochschule Frankfurt am Main im SPIEGEL. Weiterhin erscheint es lächerlich, zu glauben, Zschäpe hätte von den Taten ihrer Freunde Mundlos und Böhnhardt, ihrer "Familie" wie sie die beiden gegenüber der Polizei nannte, nicht gewusst.

Und ein Informant der BILD-Zeitung behauptet, dabei gewesen zu sein, als sich Zschäpe (schon sechs Jahre im Untergrund lebend) mit führenden Mitgliedern der NPD getroffen haben soll.
Man habe sich zu langen Gesprächen zurückgezogen. Ein Verbandsvorsitzender der NPD habe ihm später verraten, dass in Köln bald "eine große Sache" steigen werde, behauptet er. Kurz darauf, im Juli 2004, wurden bei einem Bombenanschlag in Köln viele Menschen verletzt. Der "Nationalsozialistische Untergrund", bekannte sich in einem Film zu dieser Tat.

Welches Ziel verfolgt Zschäpe also, nachdem sie sich freiwillig festnehmen ließ? "Zschäpe wollte unter den Frauen der Jenaer Kameradschaftsszene die Nummer eins werden", glaubt der Journalist Andreas Speit, der ein Buch über rechtsextremistische Frauen (Abbildung links) geschrieben hat. Das war bis Anfang 1998 und seit her sind Zschäpes Ansprüche wohl weiter gestiegen, denn die Dimension der Taten des "NSU" sprengt alles bisher Dagewesene und es gäbe "keinen Zweifel an ihrer Gesinnung", sagt Speit.

Jetzt hat sie ihr Ziel erreicht: Beate Zschäpe, die gelernte Gärtnerin, der "heiße Feger", das "Killer Luder", die angeblich stumme, verlässliche, arglose, willfährige "Nazi-Braut", die Katzenfreundin und dienstbare Hausfrau des Trios, die nette Nachbarin, die gerne mal "beim Griechen" essen ging. Sie ist vielleicht all das und trotzdem noch viel mehr: Zschäpe ist die jetzt Forntfrau der Nationalsozialisten. Und es ist zu befürchten, dass sie in der Öffentlchkeit auch in genau dieser Rolle agieren wird.

Die Ermittlungsbehörden suchen immer noch im Schutt der Wohnung in Zwickau nach einem Manifest der "NSU", nach deren wahrer Ideologie, nach einem Buch, das Uwe Mundlos geschrieben haben soll. Zeit genug, das alles für die Nachwelt zu sichern und zu retten, hatte Beate Zschäpe am 04. November 2011, bevor die Wohnung in Zwickau explodierte.

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Schwarz/Weiß-Foto © Frank Döbert 1991 - Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung. Wir bedanken uns hierfür!

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