Donnerstag, 21. Juni 2012

"Ich bin die Beate...": Der Moment, in dem sich die "Mutter der Familie" aus dem "Nationalsozialistischen Untergrund" gelöst hat!

(lsn) - Die Terrorzelle nannte sich "Nationalsozialistischer Untergrund" / "NSU". Gebildet wurde sie von dem belesenen Professoren-Sohn Uwe Mundlos als Ideologen, dem Waffennarr und Schläger Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die innerhalb des Trios die Rolle der Hausfrau und "Mutter der Familie" ausfüllte. So soll es Zschäpe Vollzugsbeamten selbst in der Untersuchungshaft gesagt haben; Kontakt zu den Mit-Häftlingen sind ihr strikt untersagt.

Offiziell schweigt die letzte Überlebende des Terror-Trios noch, obwohl sie ihre Situation durch ihre Aussagen ganz wesentlich verbessern könnte. Aber aus Gefängniskreisen werden immer mehr Einzelheiten aus ihrem Leben bekannt, was darauf hindeutet, dass sie sich hin und wieder Mitgefangenen gegenüber öffnet und mit ihnen über bestimmte Details aus ihrem Leben spricht; dabei soll sie sich als "die Gute" des Trios darstellen. 

Zudem haben gerade die Journalisten Christian Fuchs und John Goetz unter dem Titel "Die Zelle." die erste Biografie der drei Extremisten nachgezeichnet (Foto links) und das gesellschaftliche Klima beschrieben, in dem sich das Trio zu fanatischen Mördern radikalisierte. Fuchs meinte dazu inder ARD-Sendung "ttt", Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien in der Zeit der Mitt-Neunziger-Jahre stehen geblieben, als z. B. in Rostock und Hoyerswerda Jagd auf Asyslbewerber und Ausländer gemacht wurde.

Während die Männer zu ihren Mordtouren aufbrachen, sahen Nachbarn in Zwickau Zschäpe Wäsche im Garten aufhängen. Sie habe fast jeden Tag für die beiden gekocht, berichten Hausbewohner und sagen, es habe immer appetitlich aus der Wohnung gerochen. Als Beate Zschäpe am 4. November 2011 zum Zwickauer Bahnhof flieht, gerade ist die von ihr angezündete Wohnung in der Frühlingsstraße explodiert, rennt sie nicht nur vor der Polizei davon sondern auch vor ihrem bisherigen Leben. Nach zwei Kilometern Irrlauf durch Zwickau holt sie André E. mit seinem Auto ein, den Sie mehrmals verzweifelt um Hilfe gebeten hatte. Sie will sich vor einen Zug werfen, erzählt sie E.; der läd sie in sein Auto und sie fahren erst einmal aus der Stadt heraus. So soll es Zschäpe in der Untersuchungshaft erzählt haben.

Doch sie kann sich noch nicht umbringen, muss den gerade gestorbenen Männern ihres Lebens noch zwei wichtige Aufträge erfüllen, sagt sie. Die "Frühling"-DVDs sollen verschickt werden, die André E. mit erstellt haben soll. E. erklärt, dass er "aus der Sache raus" sei, das müsse Zschäpe alleine machen. Dann bittet Zschäpe ihn, sie zum Hauptbahnhof zu bringen. Anschließend sei sie mit dem Zug nach Chemnitz gefahren um "die Aufträge" zu erledigen. 

Beate Zschäpe hat nun überhaupt keine Vertrauten mehr, hat sich bei ihrer Mutter und ihrer Großmutter seit über einem Jahrzehnt nicht gemeldet, hat ebenso den Kontakt zu früheren Freunden und Bekannten seit ihrem Untertauchen konsequent gemieden. Sogar ehemalige Kameraden der rechten Szene glauben, Zschäpe lebe im Ausland oder sei sogar inzwischen gestorben. Wer könnte sie nun noch unterstützen, nachdem André E. weitere Unterstützung abgelehnt hat? - Zschäpe ahnt: Niemand!

Im August soll die Zschäpe-Anklage stehen, von der Tag für Tag neue Details bekannt werden: So sei sie "emotionaler Mittelpunkt" der Terrorzelle gewesen, organisierte den Alltag der "NSU" in Zwickau. Vom 1. Mai 2001 bis zum 30. April 2008 im Erdgeschoss des Hauses in der Polenzstraße 2 (= 77 Quadratmeter, vier Zimmer, Küche, Bad / Foto rechts), ab Mai 2008 bis zum 4. November 2011 fünf Kilometer entfernt in der Frühlingsstraße 26 (großes Foto unten). Dort, in Weißenborn, war sie bekannt und beliebt, auf der Straße hielt sie ab und zu einen Plausch, beim Siedlerfest im Park schenkte sie Bier aus, donnerstags bekam sie immer Besuch; eine Freundin sei gekommen, heißt es (wahrscheinlch die Frau von André E.), mit ihren Kindern.

Beate Zschäpe lieh in diesen gut zehn Jahren mehr als 300 Filme und Egoshooter-Computerspiele bei einer Videothek in Zwickau aus, kaufte sich und den Männern Mountainbikes und Brillen. Wenn Böhnhardt und Mundlos ihre Taten planten, suchte Zschäpe ihnen Unterkünfte in der Nähe oder Mietwohnwagen. Aber noch mehr Informationen gaben die 9,3 Terrabyte der "NSU"-Festplatten preis, wie die Bundesanwaltschaft im August bekannt geben wird. Was nicht auf Festplatte war, brachten Ermittlungen hervor. So verwaltete Zschäpe das Geld der Gruppe, bezahlte Rechnungen immer in bar, egal ob in Fahrrad-Läden oder auf Campingplätzen; in zwei Fällen im Oktober 2011 eindeutig mit Geldscheinen aus einem Überfall auf ein Geldinstitut, heißt es. Die Mitwirkung an einer terroristischen Vereinigung sei "sicher nachweisbar", wie die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf die Ermittler meldet. 

In den frühen Morgenstunden des 5. November 2011 kommt Beate Zschäpe in Chemnitz an, sie hat die Nacht im Zug und auf der Straße verbracht. Kurz vor 8 Uhr wählt sie die Nummer der Familie Mundlos. Uwe Mundlos’ Mutter nimmt ab. Der Uwe, sagt Beate Zschäpe, sei nicht mehr am Leben. Dann ruft sie die Eltern ihres Lebensgefährten Uwe Böhnhardt an. In die Luft gesprengt habe Uwe sich, es sei doch groß in den Nachrichten berichtet worden, sagt sie. Die Mutter hört erschrocken zu, sie wusste davon nichts. Nie mehr werde sie anrufen, sagt Beate Zschäpe noch, dann legt sie auf. Kurz danach nimmt Zschäpe den Zug nach Leipzig

In Leipzig angekommen, wirft sie in der Innenstadt Umschläge in einen Briefkasten. In den Tagen danach erhalten Büros der Linkspartei, die BILD- Zeitung, das türkische Generalkonsulat, Moscheevereine, aber auch ein Neonazi-Versandladen Kopien des "NSU"-Bekennervideos "Frühling", dem politischen Testament der Neonazi-Gruppe, mit derm der "Nationalsozialistische Untergrund" schlagartig bekannt wird.

Für Beate Zschäpe soll ihr Leben im Untergrund nicht umsonst gewesen sein. Und für die beiden Männer nicht der Tod. Nun hat sie ihre Aufträge erfüllt. Vor einen Zug wirft sie sich jetzt trotzdem nicht; unbedingt will sie noch dorthin fahren, wo ihre Freunde starben. In Eisenach angekommen, nimmt sie ein Taxi zu einem Baumarkt bei Stregda und  läuft von dort aus durch das Wohngebiet, in dem sich Mundlos und Böhnhardt am Tag zuvor in ihrem gemieteten Wohnmobil erschossen haben. Zschäpe will den Ort noch einmal sehen, an dem ihr Leben, ihre "Familie" zerbrach. Anschließend fährt sie nach Halle an der Saale.

Dort streift sie ziellos durch die Innenstadt, läuft vor eine Straßenbahn: der Fahrer kann im letzten Moment bremsen. Zitternd steht sie da, eine ältere Frau nimmt sie in die Arme. Die beiden setzen sich auf eine Bank und gehen dann noch einen Kaffee trinken. Auf die Rentnerin wirkt Zschäpe aufgewühlt, verängstigt, eingeschüchtert. Auch wenn es ihr nicht gut gehen würde (die alte Frau sieht eine äußerlich verwahrloste Beate Zschäpe, die nun schon tagelang auf der Flucht ist und nicht geduscht hatte), sagt die Rentnerin zu ihr, sei dies kein Grund "so etwas" zu tun.

"Ich bin die Beate...", sagt Zschäpe zu ihr. "Es reicht, wenn Sie da sind und mir Ruhe und Sicherheit geben", fügt sie an. Es ist dies der Moment, da sich Beate Zschäpe zum ersten Mal seit Jahren Außenstehenden mit ihrem echten Namen vorstellt. Er zeigt, so die Psychologen des BKA, dass sich Zschäpe in genau diesem Moment aus den Verstrickungen des "NSU" gelöst habe. Danach war sie bereit gewesen, sich der Polizei zu stellen.

Die inzwischen über sechs Monate andauernden Ermittlungen des Bundeskriminalamts und der Generalbundesanwaltschaft werden derzeit zu hunderten Aktenseiten zusammen gefasst, die ganz wesentlich auf den Festplatten des Verbrechertrios und Hunderten von Augenzeugenberichten basieren wird; voraussichtlich am 6. August soll sie beim Bundesgerichtshof eingereicht werden. Christian Fuchs und John Goetz haben einen Teil davon in ihrem Buch "Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland" veröffentlicht, das am 8. Juni 2012 im Rowohlt Verlag erschienen ist.

Keine Kommentare: